Richard Wagners Gedicht „Curriculum“

RICHARD WAGNER

Curriculum

Nicht erschlagen, fertiggemacht.
Belogen, bis ich selber log.
Nicht nackt, nur mir selber entzogen.
Nicht mit Steinen beworfen, nicht mit Worten.
Bloß mit Schweigen traktiert.
Nicht verhungert, aber der Kopf eine Höhle.
Davongekommen, überlebt, das auch, ja.

1987

aus: Richard Wagner: Schwarze Kreide. Gedichte. Luchterhand Literaturverlag. Frankfurt a.M. 1991

 

Konnotation

Der Autor, der hier in lyrischer Verknappung ein „Curriculum“ erstellt, hatte zum Zeitpunkt der Niederschrift des Gedichts (1986/87) eine lange Geschichte der Repression hinter sich. 1952 in Perjamosch im deutschsprachigen Banat in Rumänien geboren, exponierte sich Richard Wagner früh als Aktivist der Aktionsgruppe Banat, die gegen die kulturpolitische Despotie des Ceausescu-Regimes zu Felde zog. Das kommunistische Regime antwortete mit Schikanen, Publikationsverboten und Morddrohungen.
Der kleine Lehrplan in eigener Sache, den der Dichter hier vorlegt, beschreibt in fast tonloser Lakonie die Folgen des staatlichen Drucks auf poetische Dissidenten. Die Lügen der herrschenden Sprachregelungen infizieren auch den verfolgten Dichter. Sein Versuch poetischen Widerstands trifft auf ein feindseliges Schweigen. 1987 verließ Richard Wagner seine Banater Heimat und ließ sich in Berlin nieder.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00