Ulrike Draesners Gedicht „hyazinthenkolik“

ULRIKE DRAESNER

hyazinthenkolik

du schliefst noch ich saß
dein atem ging der tag
schob wald ans feld
die wiese fing zu blitzen
an in schatten fraß ein
taubenpaar heiß die krallen
ihr ihm ein kleiner fleck am
hals, weich noch ihre rufe
wie kindheitsmorgen schön
(wenn alles schlief nur sonne
nicht und taube und das leise
dach) du gingst die brust geölt
gingst nackt die scheibe traf
ihn an der stirn gekühlt gewärmt
erstarrt, versuchen ist ein
spielen schuld und jedes bett
am boden hart im topf
die hyazinthe probt
ob ihren duft ganz
ohne dich ich trag

2003/2004

aus: Ulrike Draesner: Kugelblitz. Luchterhand Verlag, München 2005

 

Konnotation

Die Bewegungsform ihrer Gedichte hat Ulrike Draesner (geb. 1962) mit physikalischen Kategorien beschrieben: Sie bevorzugt die schnelle Drehung, den „spin“. Der Einsicht folgend, dass sich die Grundelemente des Organischen in unaufhörlicher Drehung befinden (Planeten, Sterne, Atome, Moleküle und Kristalle), propagiert sie den „Spin der Wahrnehmung, der sich in Sprache übersetzt“.
Ein Liebespaar nach überstandener Nacht, nun wird das Erlebte bilanziert. Und siehe da – es gibt keine Gewissheiten, nur potentielle Symboliken, in denen sich das Ich spiegeln kann, wie in dem Taubenpaar auf der Wiese. In kaleidoskopisch ineinander verschränkten Versen prüft Draesners Ich die Versuchsanordnung der Liebe. Und es wird deutlich, dass die Ich-Du-Konstellation ambivalent bleibt. Wie auch die Hyazinthe eine intensiv duftende Frühlingsblume ist, aber auch toxische Wirkungen hervorrufen kann.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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