Otto Julius Bierbaums Gedicht „Faunsflötenlied“

OTTO JULIUS BIERBAUM

Faunsflötenlied

Ich glaube an den großen Pan,
Den heiter heiligen Werdegeist;
Sein Herzschlag ist der Weltentakt,
In dem die Sonnenfülle kreist.

Es wird und stirbt und stirbt und wird,
Kein Ende und kein Anbeginn.
Sing, Flöte, dein Gebet der Lust!
Das ist des Lebens heiliger Sinn.

um 1900

 

Konnotation

Im Jugendstil der Jahrhundertwende um 1900 waren mythologische Mischwesen wie der Halbgott Pan beliebte Motive. Der Pan als lustorientiertes Geschöpf mit seinen Bocksfüßen, Hörnern und dem Schwanz entsprach offenbar dem Bedürfnis vieler Autoren nach möglichst viel Ornamentik und Dekor. Der umtriebige Dramatiker und Lyriker Otto Julius Bierbaum (1865–1910) gründete 1894 mit einigen Kollegen die avantgardistische Kunstzeitschrift Pan, in der einem dionysisch-vitalistischen Kunstbegriff Geltung verschafft werden sollte.
Bierbaums Hymnus auf den hedonistischen Pan verdankt sich auch dem Einfluss von Friedrich Nietzsches (1844–1900) Philosophie, die das Dionysische bzw. Rauschhafte und Sinnliche zur zentralen Kategorie erhob. Das „Gebet der Lust“, das der Pansflöte entlockt wird, hat seinen kulturgeschichtlichen Ursprung in der Legende von der Panflöte, die entstanden sein soll, als der Hirtengott Pan liebestrunken die Nymphe Syrinx verfolgte, die sich in ein Schilfrohr verwandelte. Aus diesem in sieben Teile gebrochenen Schilfrohr soll die Panflöte entstanden sein.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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