Robert Gernhardts Gedicht „Weils so schön war“

ROBERT GERNHARDT

Weils so schön war

Paulus schrieb an die Apatschen:
Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen.

Paulus schrieb an die Komantschen:
Erst kommt die Taufe, dann das Plantschen.

Paulus schrieb den Irokesen:
Euch schreib ich nichts, lernt erst mal lesen.

1970er Jahre

aus: Robert Gernhardt: Gesammelte Gedichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2005

 

Konnotation

Ein Klassiker des humoristischen Genres ist der hier von Robert Gernhardt (1937–2006) inszenierte Zusammenprall der biblischen Apostelgeschichte mit den Abenteuermythen des Schriftstellers Karl May (1842–1912). Wenn die Paulus-Briefe, also die ersten theologischen Episteln des Christentums, hier ausgerechnet an die berühmten Indianerstämme der Karl May-Romane gerichtet werden, produziert das einen enormen Heiterkeits-Effekt.
Der mächtigste Agent des Vergnügens in diesem Gedicht ist natürlich der wunderbar absurde Reim, der die unvereinbar scheinenden Sphären der christlichen Grundregeln und der Indianer-Kultur miteinander verknüpft. Die Komik kulminiert im letzten Zweizeiler, der die bei Karl May eher maliziös geschilderten „Irokesen“ als ein Exempel des Bildungsnotstands verspottet. Dass dieses vergnügliche Spiel beliebig fortsetzbar ist, signalisiert der Titel des Gedichts, der die Begeisterung des Autors über seine eigene Reimkunst annonciert.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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