Robert Walsers Gedicht „Wie immer“

ROBERT WALSER

Wie immer

Die Lampe ist noch da,
der Tisch ist auch noch da,
und ich bin noch im Zimmer,
und meine Sehnsucht, ah,
seufzt noch wie immer.

Feigheit, bist du noch da?
und Lüge, auch du?
ich hör’ ein dunkles Ja:
das Unglück ist noch da,
und ich bin noch im Zimmer
wie immer.

1908

aus: Robert Walser: Die Gedichte. Suhrkamp Verlag, Zürich 1978 und 1985

 

Konnotation

Dem Schweizer Dichter Robert Walser (1878–1956) fiel es schwerer als anderen, sich in der Welt der Literatur zu behaupten. Bald nach seinem 50. Geburtstag zog er sich in die Heilanstalt Waldau zurück, um keine Ansprüche mehr erfüllen zu müssen. Erst Jahre nach seinem Tod wurde er berühmt durch seine Kurzprosa und frühe Romane wie Geschwister Tanner ( 1906) und Der Gehülfe (1907). Als Lyriker, in Eichendorffs und Wilhelm Müllers Fußstapfen, ist er noch zu entdecken.
Dieses Gedicht wurde zuerst im Mai 1908 im Sonntagsblatt der Berner Tageszeitung Der Bund unter dem Titel „Kein Ausweg“ veröffentlicht. Das Ich dieser innigen und schlicht gereimten Verse ist ein Vereinsamter, der mit sich selbst und der Natur spricht „wie immer“, ein sehnender Vagabund, der Armut und „Unglück“ auch sucht, ja genießt. Wie aus Walsers Prosastücken ist auch aus den frühen Gedichten ein Kinderweinen herauszuhören.

Michael Buselmeier (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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