Huda Ablans Gedicht „Farben“

HUDA ABLAN

Farben

Ich schreibe nicht in Blau
damit das Meer nicht austrocknet
Ich schreibe nicht in Grün
damit der Garten nicht verdorrt
Ich schreibe nicht in Rot
damit kein Blut fließt
Ich schreibe in Schwarz
damit die Nacht vergeht

(Übersetzung: Mustafa Al-Slaiman)

2007

aus: „Die Minze erblüht in der Minze“. Arabische Dichtung der Gegenwart. Hrsg. von Ilma Rakusa und Mohammed Bennis. Hanser Literaturverlag, München 2007

 

Konnotation

Der Ursprung der Poesie liegt nicht, wie das eurozentrische Bewusstsein vermutet, in den Metropolen des Westens, sondern im Vorderen Orient, an den Ufern von Euphrat und Tigris. Der französische Philosoph Maurice Blanchot hat berichtet, dass die alten Sumerer Zeichen ihrer Träume in Tonklumpen ritzten und diese dann in den Fluss warfen. Der Tonklumpen, so pointiert Blanchot, nahm das Gedicht vorweg, der Fluss das Publikum. Eine kunstfertige Nachgeborene dieser arabischen Pioniere der Poesie ist die jemenitische Dichterin Huda Ablan (geb. 1971).
Die Transformation der Welt in Farben war schon immer eine Domäne des Gedichts. Die im arabischen Sprachraum sehr renommierte Dichterin Huda Ablan entwirft als ihr poetisches Evangelium jedoch eine Farbenlehre, die zur Zurückhaltung rät und die nur das Schwarz der Schrift als adäquate Farbe im poetischen Prozess anerkennt. Deutlich wird dabei auch der Glaube an die unerhörte Wirkungskraft der Poesie ein Glaube, der der skeptisch gewordenen Dichtkunst des Okzidents abhanden gekommen ist.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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