Felix Philipp Ingold: Aufs Wort (genau) – Dass …

Aufs Wort (genau) – Teil 20

 

Teil 19 siehe hier

Dass sich selbst mit diskreten Einworttiteln literarische Verblüffungs- oder Verfremdungseffekte bewerkstelligen lassen, tut W.G. Sebald beispielhaft dar, indem er den Romantitel «Austerlitz» als Eigennamen, und nicht wie erwartet als Ortsbezeichnung einsetzt; oder Samuel Beckett mit dem mehrdeutigen homophonen Titel «Pas», der gleichbedeutend für «Schritt», «nicht» und «Meerenge» stehen kann, mithin also – solang man den Text nicht kennt – völlig disparate Assoziationen aufkommen lässt. Viel simpler ist demgegenüber die Titelgebung «Krass», mit der Martin Mosebach vordergründig eine Eigenschaft seines Romans evoziert (eine «krasse» Geschichte), die sich jedoch als der Familienname des Protagonisten erweist; dass dieser dann aber tatsächlich als ein «krasser » Charakter vorgeführt wird, macht das Wortspiel zu einem pleonastischen Leerlauf. – Echt wortspielerische (anagrammatische) Werktitel finden sich bei Robert Pinget («Abel et Bela», 1971) und Edmond Jabès, der drei Einzelbände aus dem «Buch der Fragen» mit je einem Namen versehen hat, von denen jeder als Anagramm aller andern spezifiziert ist und zugleich verallgemeinert wird: «Yael», «Elya», «Aely» (1967-1972).
Ebenso raffiniert, dabei noch simpler und äusserst diskret verfährt Jabès, indem er die geläufige Gattungsbezeichnung «récit» – französisch für Erzählung, Bericht – als Werktitel einsetzt («Récit», 1981) und gleichzeitig auf dessen unterschwellige anagrammatische Nebenbedeutungen verweist: «récit » kann durch einfachen Letterntausch zusätzlich auch als «écrit» (geschrieben) sowie als «citer» (zitieren) gelesen beziehungsweise verstanden werden. Mit Wortschöpfung hat dies durchaus nichts zu tun, die Sprache selbst – hier: das Wörterbuch – stellt sämtliche Komponenten, die es zum Anagrammieren braucht, vorab zur Verfügung: Die Leistung des Autors besteht einzig darin, dies zu erkennen und die Versetzung der (immer gleichen) Buchstaben zu bewerkstelligen.
Ein bemerkenswerter Einzelfall ist William Faulkners Romantitel «Light in August» (1932, gemeinhin übersetzt als Licht im August), der mit dem Wort «light» gleich drei unterschiedliche Bedeutungen freisetzt, die allesamt für die Handlung relevant sind in jeder Übersetzung allerdings verloren gehen. Ausser «Licht» heisst light bekanntlich auch «leicht», und dies wiederum hat die spezifische Nebenbedeutung von «geboren haben», also «wieder leicht sein»: Auf die Protagonistin des Werks, die junge Lena Grove, trifft all dies gleichermassen zu – sie ist als Tramperin «leicht» unterwegs (ohne Gepäck, ohne Anhang), um bei gleissender Hitze und Helle im Südstaat Mississippi nach ihrem abgängigen Geliebten zu suchen, von dem sie ein Kind erwartet. Dabei fühlt sie sich durchaus «leicht» (weiterhin ungetrübt verliebt), bis sie den Liebesverrat dann doch erkennt und endlich auch (durch die Geburt) wieder «leicht» wird. Als Mutter emanzipiert sie sich von der belastenden Vergangenheit, ein leichteres Leben ist ihr freilich nicht beschieden.
Faulkner gelingt es hier mit minimalem Aufwand, dem poetologischen Gebot von Francis Ponge gerecht zu werden, wonach der Dichter stets darauf zu achten habe, das Einzelwort nach seinen sämtlichen Bedeutungen abzufragen und es entsprechend vieldeutig zur Geltung zu bringen. Dem ist im Übrigen beizufügen, dass das gängige Verständnis des Werktitels – «Licht im August» – das am wenigsten plausible ist; denn weder hat das Augustlicht eine spezifische Qualität (wie etwa das Herbstlicht), noch kommt ihm im Handlungszusammenhang eine besondere (z.B. symbolische) Bedeutung zu.

… Fortsetzung hier

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00