24. Oktober

In einem gewaltigen, von weißen Fünfkantsäulen getragenen und mit Topfpflanzen verstellten Museumssaal soll ich über die Kunstform der Collage referieren. Shizuko Yoshikawa unterstützt mich bei den Vorbereitungen. In Vitrinen und an Schauwänden präsentieren wir Werkbeispiele. Für die geplanten Powerpoint-Projektionen stellen wir eine große Rollleinwand auf. Ich bin von der hiesigen Volkshochschule als Dozent bestellt. Das graue Publikum füllt langsam den Raum, etwas verspätet beginne ich zu reden, rede mich rasch in Rage, beschimpfe die Zuhörerschaft, werfe den Leuten geistige Trägheit und Unbedarftheit vor, wonach sich sofort einzelne, dann mehrere, schließlich alle in wortloser Trauer erheben und den Saal verlassen. Kein Anzeichen von Protest, nur dieser allmähliche schweigende Auszug. Ich selbst ziehe mich ebenfalls zurück, verlasse das Museum durch die Tiefgarage und fahre mit meinem Oldtimer – es ist ein kodakgelber Thunderbird des Jahrgangs 1956 – aufs Land, besuche (so jemanden wie) Oswald Egger oder Rainer Pretzell, und prompt zeigt mir einer von den beiden sein Gärtchen. Das Gärtchen ist auf einem aufgeschütteten Damm an der Rhône terrassenartig angelegt, besteht aus einigen noch unbebauten Beeten und einer Grabstätte. Auf dem schlichten Kreuz steht in schwarzer Flammenschrift mein Name: HIC. Ich frage mich (und gebe die Frage gleich auch an Oswald Pretzell weiter), weshalb wohl die männliche Rhône im Deutschen weiblich geworden ist.

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