Gertrud Fussenegger: Zu Christine Bustas Gedicht „Am Rande“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Christine Bustas Gedicht „Am Rande“ aus Christine Busta: Unterwegs zu älteren Feuern. –

 

 

 

 

CHRISTINE BUSTA

Am Rande

Manchmal auf einer Schwelle sitzen,
ausruhn vom Gehn, das nicht ankommt,
die Tür hinter dir und nicht klopfen.

Alle Geräusche wahrnehmen
und keines verursachen.
Das Leben, das dich nicht annimmt, erhören:
im Haus, auf der Straße,
das Herz der Maus und des Motors,
die Stimmen von Luft und Wasser,
die Schritte des Menschen, der Sterne,
das Seufzen von Erde und Stein.

Manchmal setzt sich das Licht zu dir
und manchmal der Schatten,
treue Geschwister.
Staub will nisten auf dir
und unbetretbarer Schnee.

Langsam unter der Zunge
wärmt sich dein letztes Wort.

 

Rast auf der Schwelle

Ein leiser Text, ein Text der Stille, doch keinesfalls der Sprachlosigkeit, die sich heute paradoxerweise so oft wortreich literarisch formuliert und als Anzeichen innerer Wüstung verstanden sein will. Die Stille in diesem Gedicht lebt, sie ist die flüsternde Fülle des vorkreativen und dann des kreativen Augenblicks.
Da ist das lyrische Ich, das sich zuerst nur mit einem Wunsch in Form eines elliptischen Infinitivs zu Worte meldet:

Manchmal auf einer Schwelle sitzen,
ausruhn…

Wer kennt diesen Wunsch nicht? Man ist stundenlang unterwegs gewesen, man sehnt sich nach einem Rastplatz, und wäre er auch nur eine Treppenstufe, eine Schwelle, da könnte man „ausruhn vom Gehn, das nicht ankommt“, denn man will ja gleich weiter. Die Tür soll geschlossen bleiben, man klopft nicht an, will nicht bemerkt werden, denn – kaum hat man sich der sanften Wohltat der Rast überlassen, sammelt sich die eigene Aufmerksamkeit auf „das Leben, das dich nicht annimmt“ das es dennoch zu „erhören“ gilt.
Erhören? Das kann hier zweierlei bedeuten: er-hören im Sinne von erlauschen, dann aber auch im Sinn barmherziger Zuwendung. Es scheint, daß dem lyrischen Ich eins ins andere verschmilzt und verschmelzen soll, und auch dieser Wunsch wird von einem elliptischen Infinitiv transportiert, die in diesem Fall wohl zarteste Form, ein Streben auszudrücken.
Dieses Streben ist, wie ich zu erraten glaube, das noch schwankende Um-sich-Tasten und Sehnen, das jedem kreativen Prozeß vorausgeht. Es greift sich dies und das: Haus, Straße, Ticken des Mäuseherzens, Grummeln eines Motors, Stimmen von Luft, Wasser, Stein… Dann – in neuer Strophe – bricht es zu indikativischer Aussage durch; Lebenserfahrung wird resümiert:

Manchmal setzt sich das Licht zu dir
und manchmal der Schatten…

Das ist schön gesagt; noch schöner:

Staub will nisten auf dir
und unbetretbarer Schnee.

Staub – das heißt wohl Mühsal, Enttäuschung, Alltags-Banalität. Dann aber:

unbetretbarer Schnee.

Dieses Bild kann nichts anderes signalisieren als die metaphysische Kategorie, das Gipfellicht, dessen Widerschein auf der Stirn des denkenden, fühlenden, des betenden Menschen aufstrahlt.
In den nächsten zwei Zeilen erfolgt ein unerwarteter, ein rätselhafter Schluß. Was sich da „langsam unter der Zunge / wärmt…“, soll es uns an den Kieselstein erinnern, mit dessen Hilfe Demosthenes gegen die Brandung ansprechen lernte? Oder an die Münze, die man den Toten unter die Zunge schob, damit sie die Überfuhr ins Schattenreich bezahlen konnten? Oder ist hier einfach nur ein Noch-Ungesagtes angedeutet, das als Rest bleibt? (Das Rätsel ebendieser Zeile hat mich an dem Gedicht fasziniert.) Noch eins fiel mir auf: dieser Text, der doch nichts anderes als ein Selbstgespräch enthält, sagt nie ich. Er bewegt sich zuerst im Infiniten, dann wendet er sich an ein du. In dieser sanften Spaltung gibt sich weibliche Gemütsart kund, vorfeministische.

Gertrud Fusseneggeraus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zehnter Band, Insel Verlag, 1986

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