Panorama

Ich bewege mich, irgendwie schwebend, durch ein weitläufiges, zuerst städtisches, dann ländliches Katastrophengebiet, mächtiger Schneefall, reissender Regen, praller Sonnenschein lösen sich in kurzer Folge übergangslos ab, bin unterwegs zu Fuss, gerate da und dort in eine Sackgasse, eine Mülldeponie, ein kahles Brombeerdickicht, suche vergeblich nach einem Taxi, warte vergeblich auf die Strassenbahn, erreiche auf den Knien eine abgelegne Klinik oder Wellnessstation, über die Bar hinweg greift mir H. W. mit schnarrendem Lachen ins Haar, «dein Gedicht», schreit er, «ist ein Fff-Faustschlag», die Szene verdüstert sich, wir – ich und die vielen mir unbekannten Gäste – sind gefährdet, ohne zu wissen wodurch, setzen uns ab mit einem VW-Bus durch unwegsames Gelände, umgestürzte Bäume, Schneeschauer behindern die Fahrt, der Bus, jetzt schon so gross wie ein Eisenbahnwagen, ist vollgepfercht mit Menschen, ich selbst bin auf einer Pritsche eingeklemmt unterm scheppernden Dach, ich sehe hinab auf die eng zusammengedrängten, teils hockenden, teils im Stehen schwankenden Mitfahrer, an die Wand gelehnt steht schief der Verleger K. M. redet auf die Kritikerin M. R. ein, nestelt dabei an seiner Hose, kramt ein graues Glied hervor, «aber schauen Sie», ruft jemand dem Zugbegleiter zu, «der Kerl macht’s ihr doch eigentlich ganz nett», aber «ach», sagt er abschätzig, «das ist so seine Art», als wir ankommen, sind ausser mir nur noch zwei Männchen und ein Weibchen dabei, keine Spur von den Freiern, wir sind zu spät, die Revolution hat stattgefunden.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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