Andreas Altmann: das langsame ende des schnees

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Andreas Altmann: das langsame ende des schnees

Altmann-das langsame ende des schnees

DAS DORF

die sterne über den wolken erfinden sich
augen, die durch sie aufsteigen. sie entfernen,

sie schließen sich. die gärten wachsen zurück
in die wiesen an beiden seiten der steine,

die eine straße unter sich begraben. sie liegen
in den sätzen fest, die ihre seiten gewechselt haben.

an den laternen baumeln die gelöschten lichter.
die zeiger der kirchenturmuhr hängen an ihrer zeit.

solange es regen und wind zulassen,
weisen die dächer sie ab. nur die worte

der toten sind noch die häuser. der morgen
ist der abend ist der mittag ist die nacht,

schritte, die an tiere erinnern, sind das geflüster
der bäume über die holzwege. gesetzte segel

halten in ihnen stimmen gefangen, die aus
dem nachbarort gelingen. vor dem himmel

tauschen die farben ihre namen. die lippen
bleiben rot, verbergen sich. nur im winter, so heißt es,

unter dem schnee kommt das skelett des friedhofs
zum vorschein, als würde es sich bewegen.

 

 

 

Ankunft im Reich des Erinnerns 

Heimat, das ist der Ort, wo alles anders ist als früher. Diese Feststellung trifft auch der Berliner Dichter Andreas Altmann (geb. 1963 in Hainichen/Sachsen) in seinem neuen Gedichtband das langsame ende des schnees. Im Gedicht „heimat“ ist nichts mehr wie es war: 

bäume dem boden entrissen. der teich
erstickt. ein betonberg voll häuser
die stille der vögel fliegt auf die worte
der kindheit sammeln im niemandsland
sätze, die aus dem leeren mund kommen.

Der kleine Ort Hainichen, zwischen Dresden und Chemnitz gelegen, imaginär und real gleichermaßen, zeigt alle Symptome der Zeit: Leere und Glattheit des Unverbindlichen, verbaute Felder und Straßen. Tristesse. Andreas Altmann geht auf alten Wegen, ohne Nostalgie in seine Verse zu mischen. Das allerdings kann ein Gewinn sein, um den Ort der Jugend zu rechtfertigen. Der alte Bahndamm und die stillgelegte Brücke der Schmalspurbahn, auf denen noch die Schienen liegen, verweisen auf bewegtere und erfülltere Zeiten einer intakten Kindheit. Die Realität ist anders: 

knietief ragen brückenpfeiler aus dem boden,
durch gestrüpp und junge bäume getrennt.

ihnen wurde die zeit abgenommen. einen ruf
weit stellt sich das haus seiner leere.

(aus: „groß und still“) 

Und dann: 

nur die holzbohlen bewegen noch die schienen.
aus ihren rissen wachsen gräser und farne.
wo sie zu sehen sind, zerbricht das sonnenglas
an ihrem rost. der weg geht auf sie zurück.

Gleichzeitig aber an anderer Stelle dieser genauen, großen Verse, die Trakl alle Ehre machen könnten: 

im weiher sind die treibenden
wolken gefroren. Auf ihnen gehst du
ans andere ufer des schnees.

Hier kreuzt dem Leser immer wieder der Schnee, ein Archetyp des Vergänglichen auf. Schönheit und Zauber des gefrorenen Wassers, Verwandlung, Kälte, Übergang. Vor allem aber Metapher auf das Unerreichbare, Traumhafte, wie es auch die Erinnerung ist, die mal gefriert und wieder taut vor unseren Augen, erwacht und verlöscht. Diese Gedichte sind kleine Stücke davon, im Band eingeteilt in acht Kapitel, welche signifikante Überschriften tragen wie „sehen und schweigen“ oder „vater meiner“. Auch hier beweist der Dichter sein Gefühl für Komposition und wirkungsvolle, wohldurchdachte Anordnung.
Altmann erzählt: Von der Landschaft, von mancher Liebe als in einem stillen Du, von seinem früh verstorbenem Freund, vom Vater. Und in seinem Wortkanon fügen sich immer wieder die gleichen zusammen: Augen, Kopf und Stimmen. Bach, Brücke, Gleise, Holz, Blätter und Baum. Schritte, Himmel und Wolken. Krähe, Taube und Spatz. Haus, Dach, Zimmer und Zaun. Das Prinzip seines Dichtens: Die Empfindungen alogisch zusammendenken, die Sinne verbinden: 

die schreie der krähen klaren die luft auf
schon vor wochen haben sich die bäume ausgeschüttet.

Gehörtes geht in Sichtbares über, seltsam belebt, vereinigen sich Realität und Bewußtsein. Das Gedicht wird auf sehr subjektive Weise zum Wahrnehmungsmuster der Wirklichkeit. Die Logik steht Kopf und schichtet sich neu: 

nur die augen erliegen ihren blicken,
die deine schritte tragen.
wenn das licht zurückfällt,
gelingen die bilder den worten.

Objekt und Subjekt des Satzes werden geschickt vertauscht. Das surreale Schreiben Altmanns ist immer aus der Position des Abstandes verstehbar. Reife und Älterwerden, erste Verluste und Trauer stellen sich ein. Das macht die besondere Stärke der Gedichte aus, weil sie ehrlich und wahrhaftig von einem Ich erzählen, das um Bilder ringt, die aus dem Unbewußten hervorsprudeln und von einer kühlen Sprache gezähmt werden. 

Heinz Weissflog, Ostragehege, Heft 42, 2006

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Porträt + Preis 1 + 2
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Andreas Altmann

 

Andreas Altmann liest sein Gedicht „ein mann ohne schlaf“.

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