BEIM ABSCHIED ZU SINGEN
Wenn ich tot bin, seid so gut
Singt mir nicht Lieder nach
Pflanzt mir nicht Blumen auf den Kopf
Ich brauch auch kein Baumschattendach:
Es deckt mich zu das grüne Gras
Und Erde, es bleibt kein Rest
aaaaaUnd wenn ihr wollt, dann denkt an mich
aaaaaUnd wenn ihr nicht wollt, vergeßt.
Ich sehe nicht Licht und nicht Schatten
Ich fühle nicht den Regenfall
Ich schmecke nicht das frische Brot
Ich hör nicht eurer Stimme Schall:
Träumend in dem Zwielicht
Das ich nie ermess
aaaaaVielleicht, daß ich an euch denke
aaaaaVielleicht, daß ich euch vergess.
Diese Poesie handelt von dem, was sich der Ausssage entzieht, was den Redenden in sprachlosem Schrecken und in sprachloser Verstummung stehen läßt. Aufklärung als Erinnerungm und wo diese blind bleibt, Neuerschließung Schritt um Schritt.
Helmut Heißenbüttel
Eine ungewöhnlich starke Traditionsbewußtheit, ja Besessenheit verbindet sich mit einem ausgeprägten Widerspruchsbewußtsein.
Richard Pietraß
Man wird diese Gedichte, die von ferne kommen, noch lange brauchen können.
Martin Zingg
Er ist in seinen kristallinen Texten ein genauer, geradezu berückend karger Erzähler. Er blickt kalt, aber nicht herzlos auf Utopien in der Sackgasse. Dennoch läßt er den glutroten Sehnsuchtshorizont nicht aus dem Blick. Verse ohne Schwere, sie vereinen kreative Distanz und harte Bodennähe. Alle Texte, will man sie denn auf einen Nenner zwingen, hinterlassen eine seltsam verwirrende Benommenheit – durch leisen Schmerz.
Hans-Dieter Schütt
Tragelehns zynisches Pathos hat die schönsten Früchte getragen.
Lorenz Jäger
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2017
B.K. Tragelehn, einer der prägenden deutschen Theaterregisseure, hat Lust an jenen produktiven Wirrnissen, die durch dialektisches Denken entstehen. Macht und Glaube, so spricht es aus diesen Gedichten, vertragen sich nur bedingt. Darum ist es gut, der Macht nicht jenen Glauben zu lassen, sie dürfte ewig während. Kern dieser Lyrik ist der zerrende Konflikt zwischen Zuständen des Werdens und Vergehens. Alles Schöne bleibt diesem Schüler Brechts die Kehrseite künftigen Verrats. Gegen das Dunkel der deutschen Wege und Wenden setzt der Dichter – ein Gegenlicht.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2017
– Jubiläums-Poesiealbum 333 mit Gedichten von B.K. Tragelehn. –
Das Poesiealbum war und ist ein 32seitiges Grundnahrungsmittel für Lyrik-Fans. Vor 50 Jahren erschien in der DDR Heft Nr. 1, gewidmet Bertolt Brecht, ihm folgten Heft um Heft Ausgaben über Querdenker wie Wulf Kirsten, Sarah Kirsch oder Günter Kunert, aber auch internationale Lyriker in deutscher Übersetzung. Nach der Wende gab es zwischenzeitlich eine Auszeit, aber der MärkischeVerlag Wilhelmshorst setzt seit 2007 die Publikation des Poesiealbums fort. Hier wird ein Querschnitt durch das Werk der Dichterin oder des Dichters versammelt, von den Anfängen bis zum Erscheinen des ihm oder ihr gewidmeten Heftes.
Zum Jubiläum nun erscheint Poesiealbum 333 mit Gedichten von B.K. Tragelehn. Der berühmte Theaterregisseur, 1936 in Dresden geboren, arbeitete unter anderem mit Einar Schleef am Berliner Ensemble. Doch in der DDR wurde er zum „aufgehörten“ Regisseur, wie Tucholsky es formulieren würde und inszenierte also ab 1979 im Westen.
Sein Poesiealbum sollte bereits 1978 in der DDR erscheinen, doch politisch in Ungnade gefallen, ließ man die Lyrikauswahl einfach verschwinden. Häufig wählt der Lyriker Tragelehn die Form der Elegie. Die Kenntnis der großen Theater-Literatur, das Verbundensein mit der Natur und eigenen Wurzeln und Veränderungen, vor allem die politischen, lassen dieses Poesiealbum zu einem kleinen, großen lyrischen Werk über das Doppel-Deutschland werden, dessen Spuren zu verschwinden drohen. Traum, Angst, Hoffnung, die Gespenster der Vergangenheit, nie larmoyant, sondern im Ton hart und klar besingt der Lyriker Tragelehn keine Utopien, sondern deren Protagonisten und schmerzhaft erscheinen deren Opfer. Und natürlich bleiben Brecht, Heiner Müller und Shakespeare Tragelehns Dichter. Das Heft endet mit Tragelehns Gedicht „Der Schlaf“, in memoriam Walter Benjamin:
Wecken was Jahr und Tag in Schlaf gebannt
Wartet auf seine Zeit. Es irrt im Kreis die Uhr.
Die Welt besitzt längst den Traum einer Sache
Von der sie um sie wirklich zu besitzen nur
Das Bewusstsein besitzen muß. Ich erwache.
Es ist zu spät zu früh. Ich stehe an der Wand.
B.K. Tragelehn weiß eben, „Die Hoffnung kommt aus den Wünschen; deshalb macht sie sich schnell Illusionen, aber deshalb ist sie auch nicht umzubringen.“
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