Charles Olson: Charles Olson und sein Gedicht „An Gerhardt, dort, inmitten der Dinge Europas…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Charles Olson und sein Gedicht „An Gerhardt, dort, inmitten der Dinge Europas…“ aus Charles Olson: The New American Poetry: 1945–1960. –

 

 

 

CHARLES OLSON1

An Gerhardt, dort, inmitten der Dinge Europas
von denen er uns geschrieben hat in seinem
„Brief an Creeley und Olson“

so hart angepackt,
von diesem jüngst gekommnen Bärensohn

aaaaaporzellan ist keins kaputt,
aaaaadoch auch kein lächeln in meinem mund

aaaaaaaaaa28. Juni ’51, auf diesem horst
aaaaaaaaaaauf dem Glut-Äquator, mediterranes meer
aaaaaaaaaaim osten, und nördlich
aaaaaaaaaadas was Amerika vor der wüste schützt, gewässer
aaaaaaaaaaund also regenträchtige winde,
aaaaaaaaaadurch abflaun, salzgewässer
aaaaaaaaaaaaaaa(über die sie kamen,
aaaaaaaaaaaaaaadie köter, auf der suche
aaaaaaaaaaaaaaanach jugend

Die sie fanden.

aaaaaaaaaaaaaaaUnd seitdem versucht haben

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaumzubringen

aaaaaaaaaaaaaaa(ach Alter Mann,
aaaaaim winter, wenn vor mir, kreuz meinen weg 

aaaaaim sommer, wenn hinter mir, kreuz meinen weg
aaaaaWenn du dich einschließen willst, schließ dich ein
aaaaaWenn du dich nicht einschließen willst, komm heraus

aaaaaaaaaaEin Zoo
aaaaaaaaaasoweit ist er heruntergekommen, der alte
aaaaaaaaaaBeginner, der alte
aaaaaaaaaaGewinner

Der alles eine zeitlang
in bann schlug

aaaaaaaaaa(Mein großvater, meine großmutter,
aaaaaaaaaawarum seid ihr gestorben?
aaaaaaaaaaIst ein handgemenge über euch gekommen?
aaaaaaaaaaIst ein krieg so groß wie eines mannes faust gekommen?)

 

1
Die aufgabe, Gerhardt
ist genau zu sein, gleich
von anfang an.

aaaaaaaaaaaaaaaDes großen mannes knochen
aaaaaaaaaaaaaaahelft aufzutürmen.

aaaaaaaaaaaaaaaFleisch und knochen werfen wir nicht fort.
aaaaaaaaaaaaaaaWir schichten sie auf an einsamem ort.

aaaaaaaaaaaaaaaWir werfen nicht auf die erde.
aaaaaaaaaaaaaaaGrundlos dein fleisch, deine knochen.
aaaaaaaaaaaaaaaWir nehmen knochen und fleisch.

aaaaaaaaaaaaaaaO Großvater,
aaaaaaaaaaaaaaadu zogst in den krieg

Die erste pflicht ist
seine zähne auszuschlagen, zu sprechen
„Dies sind die zähne mit denen du alle tiere verschlingst.“
Ich nenn dir keine namen
großer städte
von der andern seite der zivilisation
die man bloß besuchen muß
um verflucht schnell wieder abzuhaun, per bus
oder motorrad, einfach weil ort
als triebkraft lüge ist.
oder höchstens eine kleine wahrheit,
jetzt wo der mensch kein ruder mehr hat es in die erde zu treiben, zu sprechen
hier will ich pflanzen, nicht weiß
weshalb er aufhörn sollte
ständig unterwegs zu sein 

aaaaaDu bist nach faulen beeren den baum hochgestiegen
aaaaaund heruntergefallen und gestorben
aaaaaDu hast beeren gegessen, bist vom felsen gefallen
aaaaaund gestorben
aaaaaDu hast vogelbeeren gegessen
aaaaaund bist gestorben
aaaaaDu hast himbeeren gegessen,
aaaaabist im moor versunken und gestorben 

Oder von der andern seite der zeit, von einer zeit auf der andern seite von dir
der du so großzügig männer entliehen hast, ihre namen nennend als ob,
wie in deiner litanei der städte Europas, du ihre macht ergreifen
könntest: magie, mein leichtfingriger faust,
wirkt nicht so einfach sympathetisch. Auch lassen sich die damen nicht
so zur zierde tragen.

aaaaaDie spitze vom frühlingsgewächs
aaaaageräuschvoll kauend

aaaaaDie spitze vom sommergewächs
aaaaageräuschvoll kauend

aaaaaAn einem sommertag geh vor und hinter mir
aaaaaan einem wintertag

 

2
Auch von methode kann ich nicht sprechen, angesichts deines briefs,
in versen oder anderswie,
als wäre sie ein tanz
aus regen, oder „schmerz“, aus worten als zeichen getragen
wie ein toupee auf dem kopf eines in gips gegossnen
Poe, keine andere methode als die
die er hatte, er, der’s aufgab,
nach einem sommer in der scheune seiner mutter,
weil der ort so roch, weil die zeit
seine zeit, genauso wie jetzt
Und ohne rückbezüge, ohne
quer durch Asien zu treiben, anmaßend
wie ein stoßtrupp der seiner nation voraus ist und damit
schließlich
einer sprache internationale macht verleiht
von der die dichter profitieren. Wie auch jene,
mit viel weniger grund, wegen zu viel ökonomie
vorn traum
im krummen rücken eines bauern reden, als wär es wahr
sie scherten sich den teufel
um ein gespräch mit ihm 

aaaaaaaaaaAuf einem berg mit trocknen stöcken, geh
aaaaaaaaaamit widerhallendem schritt

aaaaaaaaaaAuf einem berg mit waldgeißbart
aaaaaaaaaageh mit widerhallendem schritt

aaaaaaaaaaAuf dem weg zu deinen vätern,
aaaaaaaaaamisch dich unter sie

 

3
Auch nicht von einem film, oder von seltnen vögeln,
oder gewöhnlichen. Auch nicht mit der macht amerikanischer vokabeln
würd ich dich in Kansas bewaffnen, wenn du kommst,
oder dort, falls du bleiben mußt, wo du so stark
den toten mittelpunkt der höchsten zeit verspürst

aaaaaaaaaaIch mach dir ein geschenk

aaaaaaaaaaIch mach dir ein geschenk

Denn du vergißt (vergessen
ist vielmehr dein problem
als du weißt, rechtshänder
der mich so wunderschön erinnert
daß die vögel stehenbleiben
mitten in der luft
und daß stets, in dieser apsis
wo so viele gekniet haben
wie mir zum knien die seele fehlt, die felder
für immer abgeerntet sind, und ein glücklicher himmel
sich hintenüber lehnt
um beim sturzfall seine segnungen
auf die schwarze erde auszugießen

Zugegeben daß zwischen den trümmern
aaaaamit gleichem „schmerz“ in jedem gefäß seiner kehle
aaaaasang er, „Zwischen den trümmern, zwischen ihnen
aaaaadie schönste erinnerung des Orients“
man alte stücke hier und da auflesen wird
aaaaakrimskrams, rief er verächtlich, der nicht wußte wovon er sprach,
aaaaaer hatte schließlich erlaubt, daß man alles abräumte, fortschaffte
oder sich alles gleich aus dem kopf schlägt, wie’s welche können,
die das bauloch rasch mit einem wolkenkratzer stopfen 

doch du wirst dich erinnern daß selbst Cäsar soweit kommt, du bestimmt
der über Hamlets tod geschrieben hat, der mit so großen goldnen büchern umgehn kann
wie der klassische dichter mit banknoten in unserer zeit, bevor preise
ihm zufielen, und ich bin neidisch, der ich nichts von beidem kann
daß der grund fürs verrotten des menschen an seinem ort auch das ist
(außer dem langlebigen boden guter bauern, seinem dung,
womit, nach Duncan, Amerika und Rußland sehr gedankenlos verfahren)
was herumfegt und ein loch stopft wo der wind gewöhnlich blies. 

aaaaaaaaaaaaaaa(Als du mit halmen auf der erde gingst
aaaaaaaaaaaaaaabekamst du ein geschenk

aaaaaaaaaaaaaaaAls du mit pflanzenhalmen auf der erde gingst
aaaaaaaaaaaaaaawurde dein kopf dir zerschlagen

aaaaaaaaaaaaaaaDu konntest nichts sehn, deine augen wurden klein,
aaaaaaaaaaaaaaadu konntest dich nicht entleeren, du warst klein

aaaaaaaaaaaaaaadu konntest nicht,
aaaaaaaaaaaaaaadeshalb bist du gestorben 

Es ist ein ebereschenstab den ich dir gebe, Rainer Maria Gerhardt,
statt irgendetwas sonst, damit auch du vielleicht
linkshänder wirst, wie er es war, dein Großvater,
den du ganz vergessen hast, hast sogar das lied vergessen, wie
man ihn anzureden hatte:

aaaaaaaaaa„Großer mann,
aaaaaaaaaaals er den baum hochstieg
aaaaaaaaaabrach er sein bein.“

Ich dränge dich von hier
wo nichts brutal ist,
nicht mal die alte ökonomie
aaaaa(Ich wage nicht zu atmen
aaaaaaus sorge was die neue
aaaaatut) und nur die kinder töten
fregattvögel, weil sie’s müssen
um den arm im werfen zu üben 

aaaaaaaaaa(wie dein volk es wußte, wenn ich dich leiten kann
aaaaaaaaaaweit genug zurück zu gehn,
aaaaaaaaaadas heißt nicht einen schritt von wo du stehst 

aaaaaaaaaaaaa„Sein ohr ist die erde.
aaaaaaaaaaaaaGib acht daß du vorsichtig bist“ 

aaaaaaaaaadaß man ihn jagen muß, daß ihn zu essen
aaaaaaaaaadu ihn herunterholen sollst 

aaaaaaaaaaaaa„Dein kopf
aaaaaaaaaaaaaist wie eine kelle groß

aaaaaaaaaaaaaDeine seele
aaaaaaaaaaaaaist wie ein faden so groß

aaaaaaaaaaaaaDring nicht in meine seele ein bei tag,
aaaaaaaaaaaaadring nicht in meine träume ein bei nacht
aaaaaaaaaaaaadiese frau – die, mit mehr widerstand als du
aaaaaaaaaaaaaverstattet zu haben scheinst, genannt ist –
aaaaaaaaaaaaagibt sich ihm hin als konkubine

was du vergißt ist, du

bist ihr sohn! Du bist nicht

Telemach. Und daß du zurückkehrst

unter eigenem

dampf

Es gibt keine zerbrochnen steine, keine statuen, bilder, sätze, werke
als die
die Creeley und ich auch haben,
und ohne beziehung auf das
was im haus einst geherrscht hat
und nun mit grund vertrieben ist 

Du sollst zu ihm beten, das sagen wir
die ohne solche vaterschaft sind: 

aaaaaaaaaa„Zeig dein haus im frühling. 

aaaaaaaaaaZeig einen schneewall in deinem haus im winter.

aaaaaaaaaaIm sommer geh hinter und vor
aaaaaaaaaaden kindern.

aaaaaaaaaaDenk nicht schlecht von den menschen, geh recht.“

 

4
Oder komm her
wo wir dich begrüßen werden
mit nichts als dem was ist, mit
keinen nützlichen anspielungen, mit keinen vögeln
außer denen die wir steinigen, nichts zu essen
als uns, kein ende und kein anfang, versichere ich dir, doch
keineswegs primitiv, zu leben wie wir in einem raum den wir nicht erst ausdenken müssen
Und mit vorgängern die, obwohl sie nicht unsre substantive sind, verben
gleich sind! 

So sind wir besessen von dem was du beweinst, zeit
und magischen zahlen

aaaaaSprache,
aaaaamein feindt,
aaaaaist kein solches system:

aaaaaaaaaa„He, alter, der krieg ist da.

aaaaaaaaaaSei friedlich, alter.

aaaaaaaaaaDein mund ist zu, deine tür ist zu.“ 

Wie gesagt, ich mach dir ein geschenk.
Allen falschen dimensionen,
einschließlich seiner glänzenden
bei der die soziale frage nicht zugelassen war,
allen solchen vätern und falschen mädchen
(eine von seinen, stell ich fest, nimmst du ernst)
warum nicht sagen wovon du, irgendwo, das echo hören mußt?

aaaaaaaaaaaaaaa„Einaug
aaaaaaaaaaaaaaasieht den himmel,
aaaaaaaaaaaaaaaein anderes
aaaaaaaaaaaaaaadie Erde.“ 

Denn es geht um das problem des brennpunkts, blickfeld sowohl wie
blickpunkt: du wirst dein problem am besten lösen
wenn du nichts verschiebst

aaaaa„Einohr
aaaaahört den himmel
aaaaaein anderes
aaaaadie erde.“ 

In derlei einfachheiten sollst du zu mir sprechen,
das nächstemal.

 

5
aaaaaaaaaaDer alte, mein großvater, starb.
aaaaaaaaaaDie alte, meine großmutter, starb.
aaaaaaaaaaUnd jetzt besucht mich mein vater, gehüllt
aaaaaaaaaain ein gesicht das er nie trug, mit einem duft
aaaaaaaaaaden ich als seinen nicht kenne, da er nach waldgeißbart roch.
aaaaaaaaaaEr sitzt, vergrämt, daß sie sich sorgen mußte,
aaaaaaaaaaund ich seh ihn an wie er da sitzt
aaaaaaaaaaund wenn ich sein sohn bin, kommt dieser mann
aaaaaaaaaavon so fernem ort, so ferner zeit
aaaaaaaaaawie du, trägt an sich
aaaaaaaaaadie fremdheit die du und ich einst
aaaaaaaaaaunsern söhnen bringen werden, und aus gleichem grund,
aaaaaaaaaadaß wir solche sind, die man hart anpacken kann 

aaaaa„Wir sind keine mörder“, haben sie früher so achtsam gesagt.

aaaaa„Wir haben die knochen dessen zur ruhe gebracht
aaaaaden andere töten.“ 

Du siehst, wir sind erfahren in dem wovon du sprichst: schweigen
ohne aschendecke, geranien auch
und voller blattläuse 

aaaaaaaaaain allem außer krieg,

doch auch der krieg ist tot wie der lotus

aaaaaaaaaaUnd unsre härte 

hat man übertrieben. Du siehst,
wir sehen unten nichts: wir gehn, wie dein großvater ging,
ohne auf die füße zu blicken 

aaaaaaaaaa„Und weil wir den großen mann getroffen,
aaaaaaaaaageben wir ein fest

aaaaaaaaaaWärm dich,
aaaaaaaaaaan großvaters feuer

aaaaaaaaaaDies ist ein opfer für die gäste, ein feiertag
aaaaaaaaaades großen mannes

aaaaaaaaaaEr wird zufrieden sein

aaaaaaaaaaEr wird keine rache nehmen

Der stock ist ein andenken, Gerhardt. Und das lied? das vergessen
zu sein scheint?
Hier ist es (wie wir hier, in unsrer anti-kultursprache, sagen, zusammengestückt
aus einzelheiten lediglich, die wir aber doch mit klatsch nicht verwechseln:

aaaaaaaaaa„Zu seinem rastplatz im frühling,

aaaaaaaaaazu seinem haus im herbst,

aaaaaaaaaawill ich gehn

Mit herbstgewächs den berg aufrühren

aaaaaMit frühlingsgewächs den berg aufrühren

aaaaaaaaaaIm sommer geh hinten,
aaaaaaaaaaerschrick die kinder nicht,
aaaaaaaaaarümpf nicht die nase, weder hier
aaaaaaaaaanoch dort.“

 

Brief an Elaine Feinstein

Liebe EiB, Feinstein,                                                                                               Mai 1959

Ihre Fragen treffen mich dwars jedem möglichen neuen Begriff einer „Poetik“. Der beste frühere Versuch darüber stand in Poetry NY vor ein paar Jahren, über Projektiven Offenen oder Feld-Vers, im Gegensatz zum Geschlossenen, mit vielen Gedanken über die Zeile und die Silbe.
Die Grundidee für mich jedenfalls ist die, daß Form nie mehr ist als eine Ausdehnung von Inhalt – eine nicht-literarische Vorstellung, gewiß. Ich glaube an die „Wahrheit“! Meine Vorstellung ist, daß „Schönheit“ am besten im Ding selber bleibt: „das Ding – Ja! – macht ring“ (die Attacke, wie ich vermute, gegen den „vollständigen Gedanken“, oder, die Idee, ja? Daher die Syntax-Frage: was ist der Satz?)
Der einzige Vorzug des Sprechrhythmus (um Ihre 2. Frage zuerst zu beantworten) ist, daß er illiterat ist: das Nicht-Literarische, ganz im Sinne Dantes, der von der Volkssprache spricht, die der Grammatik überlegen sei – daß gesprochene Sprache als Kommunikator vor dem Individuum da ist, und daß man sie mitkriegt sobald als und mit der Muttermilch… er sagte Ammenbrust. Mit andern Worten, Sprechrhythmus nur wie ihn jeder von uns hat, wenn wir ausgehen von dem Kraftstrom wie er uns eingeblasen wurde und wie wir ihn selber blasen welch letzteres wir bis zur Stunde so sehr zurechtgemacht haben – wenn wir uns aus dieser „allgemeinen“, nicht grammatischen, Quelle nähren. Die Frage nach der „Quelle“ ist heute verflucht interessant – Shelley hat das gesehen, wie Dante, daß sie, wenn sie aus dieser Ecke auftaucht, primär, von der Mutter, daß es dann eine doppelte Linie des chromosomischen Gebens gibt: (A) die angeborene Rede (Gedanke, Macht), nämlich die „Gattung“; und (B) die etymologische: hier ist der Punkt, wo ich „Fremd“-Sprachen so toll finde, besonders die indo-europäische Linie, mit dem Vorteil jetzt, daß wir hethitisch zur Unterstützung haben. Bei der Frage des Sprechrhythmus kann ich nicht genug betonen, was an Durchgängigkeit dabei herausspringt, bei einer nicht-literarischen, nicht-geschäftsmäßigen, und nicht-historischen steten täglichen Erfahrung, praktisch jedes Wort, das man sich benutzen sieht, auf seiner Stoßrichtung zurückzuverfolgen zum Angelsächsischen, Lateinischen, Griechischen und hinaus zum Sanskrit, oder heute, wenn einer das machen würde, zu einem „Wurzel“-Wörterbuch, das mindestens hethitisch enthalten müßte.
Ich gebe gleich die Verbindung von dem Gesagten zur Form falls erfaßbar, im Gedicht, das heißt, den üblichen „Poetik“-Kram, doch entschuldigen Sie, wenn ich kurz auf der ungeheuren Hilfe herumhacke, die die Archäologie leistet, und manche spezifische linguistische Forschung – meiner Erfahrung nach hauptsächlich solcher völlig anderen „Grammatiken“ wie die nordamerikanischen Indianer sie haben, in der augenblicklichen syntaktischen Sackgasse: wie Hopi. Doch auch trobriandische Raum-Zeit-Prämissen. Und ein paar nordkalifornische Dialekte wie Yani. Doch es ist die Archäologie hinter unserer eigenen Geschichte im engeren Sinne, hethitisch, aus dem obigen Grund, und jetzt, wo kanaamtisch bekannt ist (ugaritisch) und sumerisch, und die direkte Verbindung der Kelten zu den Ariern und von da zu den achäisch-trojanischen Ahnen – was die Sache Rede/Sprache (speech/language) wie wir sie, jetzt, in unseren Händen haben, verlangsamt und offen gemacht hat, so daß sie mehr Form hergibt, im Unterschied dazu, wie Form von Sappho und Homer festgelegt war und sich seitdem nicht viel geändert hat.
Ich spreche von einer neuen „Doppelachse“ aus: von der Ablösung des Klassisch-Darstellenden durch das Primitiv-Abstrakte ((wenn das alles verflucht deutsch klingt, machen Sie’s Wetter verantwortlich, es kommt vom Osten heute, und ist naß)). Primitiv meine ich natürlich nicht in dem idiotischen Sinn von „im Gegensatz zur Zivilisation“. Man versteht es heute im Sinn von „ursprünglich“, im Sinn von wie man etwas findet es aufliest wie etwas Neues – frisch/zuerst. So geht man quer durch die Geschichte vor und zurück, und es ist alles eben, wie die Gegenwart, doch so gesehen, konstatiert man… eine andere Raum-Zeit. Inhalt, mit anderen Worten, ist auch verschoben – wenigstens weg vom Humanismus, wie wir ihn hatten, seit die Indo-Europäer ihre Füße reingesteckt haben (um 1500 v.Chr.) Nebenbei: Ich bin für sie auf der Ebene der Muse, und gegen sie auf der Inhalts- oder „Psyche“-Seite.
Was mich zu Ihrer ersten Frage bringt – „die Verwendung des Image“. „Das Image“ (hej, das schreiben Sie groß, damit’s Sinn macht: es ist alles was wir hatten (post-circum The Two Noble Kinsmen), wie wir eine sterile Grammatik (einen mangelhaften „Satz“) hatten, hatten wir bloß Analogie: images, egal wie gelehrt oder wie simpel: sogar Bums, zum Beispiel, und unter Zulassung etc. und Einschluß von Frost! Vergleich. So fand Darstellung nie anderswo als im toten Ende der Beschreibung statt. Nichts passierte vom Gedicht selber aus – „ding and zing or something“. Es war bezogen auf die Realität. Und die war ein armärmliches kriechendes registratorisches „Wirkliches“ – gut genug, Banken und Versicherungsgesellschaften plus mediokre Regierungen etc. zu unterhalten. Doch nicht die Wahrheit der Dichtung wie meine Freunde vom amerikanischen Untergrund schreien und es der Time ins Gesicht spucken.
Auch das Image muß von einem Doppelten angegangen werden: das heißt, wenn man eine Parabel halbiert, kriegt man eine Enantiomorph (zwei gleiche Teile). (Die Hopi sagen, was dort drüben vor sich geht, passiert nicht hier, daher ist es nicht dasselbe: reiner „Lokalismus“ der Raum-Zeit, doch solcher Lokalismus kann jetzt genannt werden: was man selber herausfindet (historein) bewahrt jeden Begleitumstand.
Die grundlegende Trias wäre vermutlich: Topos/Typos/Tropos, 3 in 1. Der „Schlag“ trifft hier, und mich, „veranlagt“ wie geboren und aus besagten eigenen Entscheidungen, for better or worse (wobei man ganz klar einräumt, bei Jesus Christus, daß man liebt oder untergeht) falls das „mystisch“ klingt, plädiere ich dafür. „Wahrheit“: ich finde die gegenwärtige Substitution des Kosmos durch die Gesellschaft einschneidend und tödlich.
Image ist, deshalb, Vektor. Es trägt die Trinität über die doppelte zur Einzelform, die man sich so richtet, daß sie aus dem „Inhalt“ hervorgeht (Vielfalt: ursprünglich, und wiederholt, Chaos-Tiamat: was die Hindo-Europäer k.o. geschlagen haben, indem sie dem Alten Mann (Zeugs persönlich) den ganzen Blitz überließen.
Das Doppelte, also, (das „Heim“/Herzland/der Post-Mesopotamier UND der Post-Hindo-Aaaner:
Im Augenblick wo es herauskommt die Muse („Welt“

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa––––––––––––––––––––
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaadie Psyche (das „Leben“
Sie wissen wohl schon, daß ich verrückt bin was beispielsweise den Eigennamen (Proper Noun) betrifft, so sehr, daß ich unter Wortspiel Reim verstehe, alles von Topos/Typos/Tropos, dieser Einbau ist die Verbindung, in jedem von uns, zum Kosmos, und wenn man da anzapft, über die Psyche, plus „wahrer“ Bindung an die Muse, dann entdeckt man „Form“ mit anderen Worten, der „richtige“ („wahre“) Eigenname, wie idiosynkratisch er scheinbar ist, müßte, wenn, von der eigenen Erfahrung (äußerer plus innerer) „getestet“, längs dieser Phylo-Linie aufweichen (wie die Sache mit der Rede, s.o.) weil – was man selber bestenfalls wissen kann, wie auch was das Wort bedeutet – ontogenetisch.
Der andere Teil ist auf alle Fälle „Landschaft“ – der andere Teil des Doppelverhältnisses des Image zum „Nomen“. Mit Landschaft meine ich, was „Erzählendes“; Szene; Ereignis; Klimax; Krise; Held; Entwicklung; Positur; was alles das bedeutete – alles Substantivische dessen, was wir literarisch nennen. Die Szene heute zu beleben: Hej: Sie sagen „orientieren Sie mich“, Yessir. Plazieren Sie’s!
Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaanochmals
ich fasse zusammen: Ort (Topos, plus die eigene Verfassung plus was man wissen kann, macht’s möglich zu benennen.
O.K. Ich habe keinen Appetit mehr. Dieser Wirbel – ein bißchen wie Crab Nebula – soll genügen für jetzt. Und bitte melden Sie sich wieder, wenn Sie interessiert sind. Ihr

Charles Olson, aus Walter Höllerer (Hrsg.): Ein Gedicht und sein Autor, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1969

 

Das Black Mountain College,

an dem Charles Olson lehrte, war der Versuch, eine neue Form der Universität zu praktizieren, die vorausschauend gegenwärtig ist, in der Entwürfe, das Vorausdenken in den Künsten, Projektivität also den Hauptakzent setzen sollten. Olson war eine der am stärksten wirkenden Personen an diesem College, und die Arbeit des College machte sich, obwohl es gar nicht lange bestand, über ganz Amerika bemerkbar. Robert Creeley, Robert Rauschenberg, die San Francisco-Poeten kamen vom Black Mountain her oder standen mit Black Mountain in Verbindung. Viele der jetzt bekannten jüngeren amerikanischen Schriftsteller haben zum ersten Mal in der Black Mountain Review veröffentlicht. Olsons Theorie und Olsons Gedichtstil waren in gleichem Maße einflußreich.
Charles Olson hat die einzelne Verszeile aus dem gebräuchlichen Gedichtschematismus herausgelöst und für sie größte Beweglichkeit gefordert, – eine artikulierte, bewegliche Schreibweise, – in der Nachbarschaft der Versuche von Ezra Pound, von William Carlos Williams.

Der Vers muß heute, wenn er weiterkommen soll, wenn er von entscheidendem Nutzen sein soll, für meine Begriffe gewisse Gesetze und Möglichkeiten des Atems einholen und sich ihnen verschreiben: des Atems und des Atmens dessen, der schreibt, wie auch seines Zuhörers.

Der Poet soll sich ins Offene begeben, in eine Feldkomposition der Worte. Eine Erkenntnis muß sofort und direkt zur nächsten Erkenntnis führen, die kleinsten Partikel werden dabei wichtig, also nicht nur die Worte, sondern vor allem auch die Silben. Silbe-Zeile-Feld sind die entscheidenden Begriffe:

der Kopf bewährt sich im Umgang mit den Silben. Der Tanz des Intellekts beginnt hier, unter den Silben, sei es in Prosa oder in der Poesie…

Hier hat Olson in seinen neuesten Arbeiten weitergebohrt: die Silbe als ein Grundelement der Meta-Linguistik, das ein Ausdrucksvermögen hat, das über die Grenzen der einzelnen Sprachen hinausgeht, – Spracheinsichten und Problematiken, die sich an einigen Stellen mit denen von Lars Gustafsson berühren. In den Maximus-Gedichten hat Olson diese Einsichten praktiziert.
Olsons Theorien und seine Gedichte haben sich deswegen von Neuengland bis zum Pazifik bekanntmachen können, weil sie nicht spinnenbeinige Spekulationen geblieben sind, sondern sich mit dem weitausholenden, besitzergreifenden Gestus von Olson Bahn brachen. Sein Übersetzer Klaus Reichert bemerkt:

Olson war nicht dazu zu bewegen, seine Thesen für die Berliner Lesung zu formulieren. Das hängt mit seinem Abscheu vor ,gestellten‘, ,verabredeten‘ Veranstaltungen zusammen. Vielmehr wollte er sich der Spontaneität der Stunde überlassen und kritische Erwägungen so plazieren, daß das Publikum spüre, „es stecke im Prozeß“ und bekäme nichts Ausgedachtes, was es genausogut lesen könne, vorgesetzt. Dennoch entspann sich während der Vorbereitung zur Lesung ein wilder Briefwechsel, mit immer neuen, immer anderen Ansätzen zu einer Poetik. „Eine Poetik“, heißt es da, „war in keiner Sprache je mehr als ein Argument für die betreffende Sprache, als sie heiß war – ob wir Campion nehmen, der 1602 englische Akzentverhältnisse attackiert, oder Dante, der untersucht, warum man in der Säkular- oder Gemeinsprache in Borgo San Frediano die gekämmten und die haarigen Wörter hören kann, und nicht die borstigen oder die glatten.“ (Letzteres bezieht sich auf Dantes Unterscheidung der Wörter, in „De Vulgari Eloquentia“ II/7, in pexa atque yrsuta vocabula, die er ,grandiosa‘ nennt, und „lubrica et reburra… que in superfluum sonant“.) Olsons Sprache ist einerseits die Umgangssprache, die Sprache, die allen gemein ist, in Dantes Sinn; andererseits versucht er im Rekurs auf Etymologie und in Analogie zu primitiven Sprachen Möglichkeiten wieder nutzbar zu machen, die lange verschüttet waren. In diesen Zusammenhang gehört Edward Sapir, den Olson immer wieder zitiert. Zum Beispiel:

Es ist etwas kühn und dennoch keine gänzlich abwegige Spekulation, in der Anordnung der Wörter und in der Betonung die ursprünglichen Arten zu sehen, alle syntaktischen Relationen auszudrücken, und in dem heutigen relationalen Wert bestimmter Wörter und Elemente lediglich einen sekundären Umstand zu erblicken, der in einer Verschiebung der Werte seinen Grund hat.

Die Revision der Syntax durch den Projektiven Vers bedeutet zu einem wesentlichen Teil die Restitution dieser alten Ordnungs- und Betonungsverhältnisse.
In dieses Buch sollte ein Text aufgenommen werden, der die Spontaneität gesprochener Sprache wahrt. Es bot sich dazu der „Brief an Elaine Feinstein“ an, Olsons wichtigste Äußerung zur Poetik nach dem großen Essay über den Projektiven Vers. Dieser Essay liegt an zwei Stellen auf deutsch vor. Der Brief ist eine Ergänzung zum Essay, – auch in dein Sinn, daß sein Stil die Methode belegt. Manche Sätze zum Beispiel haben kein Prädikat. Das ist zwar der Fluch eiligen Briefschreibens, hängt aber sicher auch damit zusammen, daß im Englischen das Prädikat gewöhnlich vorn steht und die Projektivkraft der Olsonschen Sätze immer weiter drängt, hinten also ,vergessen‘ hat, wovon sie ,ausgelöst‘ wurde. Mit anderen Worten, bei Olsons ,Syntax‘ verlieren Begriffe wie ,Parataxe‘ oder ,Hypotaxe‘ ihren Sinn. Übersetzt wurde nach der Fassung in
The New American Poetry: 1945–1960, ed. D. M. Allen, NY 1960, p. 397ff. Die verschiedenen deutschen Wörter und Ausdrücke im Text sind in doppelte Anführungszeichen (“) gesetzt.“

Walter Höllerer, aus Walter Höllerer (Hrsg.): Ein Gedicht und sein Autor, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1969

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00