13. Mai

Die Schwärze der Schrift wird konterkariert durch die Weiße des leeren Blatts, die − gleichsam als tabula rasa oder als degré zéro − seit jeher den Horror so manch eines Schreibenden hervorgerufen hat. Doch auch das Wort »weiß« wird automatisch mit Bedeutungen aufgeladen, die der Farbe Weiß äußerlich sind − Reinheit, Unschuld, Leichtigkeit, Grenzenlosigkeit, Höhe. Als realisierte Dingsymbole dafür gelten unter anderm der Schnee, die Milch, die Wolke, die Blüte, der Schwan. – Im Deutschen werden die Assoziationsmöglichkeiten zu Weiß zusätzlich durch die Klangähnlichkeit von »weiß« und »weis(e)« sowie durch die Homophonie von »weiß« (Farbe) und »weiß« (zu »wissen«) erweitert; man lese etwa bei Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (›Auff ihre schultern‹, 1697): Ist dieses schnee? nein / nein / schnee kan nicht flammen führen.
aaaaaIst dieses helffenbein? bein weiß nicht weis zu seyn.
– Katastrophen, Unfälle, Missbrauchsfälle, Hungersnöte, Mordtaten, Elefantenhochzeiten, Überschwemmungen, prominente Geburten, prominente Scheidungen, Erstbesteigungen, Fußballmeisterschaften, Jubiläen, Rekordleistungen, Comebacks, Filmfestivals und dergleichen mehr alimentieren die täglich anfallenden »Vermischten Meldungen« – Varia menschlicher Alltäglichkeiten und in allen Medien die meistgelesene Rubrik. Mehr als Neugier oder Schadenfreude oder Neid wird dafür nicht aufgebracht. Doch das mag seine Richtigkeit haben. Wie sollte man die jeweils neusten Meldungen überhaupt im Guten wie im Bösen, ertragen können, setzte man sich ernsthaft damit auseinander! – Briefe, Notizen, Widmungen von Stéphane Mallarmé – man könnte … ich möchte daraus ein Buch machen, die verstreuten Textpartikel eigenmächtig komponieren zu einem Werk, das Mallarmé nie geschrieben, auch nicht geplant hat, aber als sein Werk hätte anerkennen mögen. Bei keinem mir bekannten Autor reicht das Glück, gewonnen aus seltenem Können und strenger Disziplin, so weit, dass buchstäblich jeder Satz zum Vers gerinnt und als solcher auch bestehen kann. Selbst beiläufig im Gespräch geäußerte Statements und Repliken, von denen bemerkenswert viele überliefert sind, werden bei Mallarmé zu großer Poesie in kleinster Dosis. Manche Tagebücher und Erinnerungen von Zeitgenossen – Dichtern, Kritikern, Malern – bergen in Form von Zitaten einen noch kaum gehobenen Schatz an Sätzen von staunenswerter Schönheit und Prägnanz, Sätzen, die nur darauf zu warten scheinen, eigens und endlich in Buchform vereint zu sein.

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