5. November

Der Leitsatz zu meinem Gedichtbuch ›Restnatur‹ lautet: »Was ich geschrieben habe, habe ich nicht; ich bin’s.« – Das kann … das könnte Clarice Lispector mit weit mehr Berechtigung von sich sagen als ich. Ich lese weiter in ihren Zeitungsglossen und -berichten, bin erstaunt, manchmal erschüttert, was für Sätze … was für verquere Sätze ihr zu schlichten Wahrheiten geraten, obwohl es sich dabei letztlich um Fragesätze handelt; Sätze wie diese (ich übersetze nach der Ausgabe von La Découverte): »Unter den Verrückten gibt es auch die, die nicht verrückt sind.« – »Dieses Stadium erfordert noch mehr Freiheit: sich nicht zu fürchten, nicht verstanden zu werden.« – »Ich bin eine vollkommene und gediegene Sache – als hätte ich nie eine Blume gesehn.« – »Ich werde meinen Körper wegtragen müssen. Doch vorab würde ich zu ihm sagen: Komm mit mir, sei mein einziger Koffer, folge mir wie ein Hund.« – »An dieser Stelle will ich enden, denn es ist so ungeheuer Samstag!« – »Doch zwei plus zwei sind vier, und das ist das Gegenteil einer Lösung, es ist eine Sackgasse, ein in sich selbst verdrehtes Problem.« – »Und ich bin verantwortlich für alles, was existiert, inbegriffen die Kriege und die Verbrechen gegen Leib und Seele.« – »Nur hab ich den noch nicht getroffen, dem ich Rechenschaft gäbe.« – »Ich soll eine Syntax haben? Keineswegs. Ich verstehe nicht. Ich bin einverstanden.« – »Ich sehne mich schon sehr nach denen, die ich verlassen werde.« – »Mir ist schon mit der schlichten Anwesenheit einer Person geholfen, die im Begriff ist zu leben.« – »Wie können wir von dem reden, was wir nicht verstehen?« – »Menschen, die ich gelebt habe, Menschen, die mich gelebt haben.« – »Ich beziehe mich nicht darauf, gut schreiben zu wollen: das kommt naturgemäß.« – »Entschuldigen Sie mich, aber man stirbt.« Usf. – Ein rosiger Morgen heute und … aber »rosenfingrig« (wie mythologisch überliefert) kann man ihn nicht nennen; wodurch sollte ein Morgen, eine Röte wie diese den Vergleich mit »Fingern« provozieren? Mit ihren Fingern soll Eos – ihr Name ist zur Gänze in dem des Sonnengotts Helios wie auch in Eros enthalten! – die goldene Pforte zum heutigen Tag aufgestoßen und die Schwelle mit Rosen bestreut haben? Rosen! Gold! Wer wollte sich in solchem Duft und Glanz nicht sonnen! Doch während ich dies hier notiere, zieht sich die Rosenfingrige den katzengrauen Handschuh über.

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