ABER
aber wenn eines morgens
der mann im radio
harakiri sagt
& nicht guten morgen
aber wenn eines tages
herr müller aus’m bunker kriecht
oder herr schmidt oder herr niemand
& seinen schatten trifft
(oder den schatten des schattens)
& fragt na mein lieber
auch gut übern krieg gekommen
: sie strahlen ja so
aber aber
aber na ja
aber noch sagt der mann im radio
guten morgen
deren Informationswert er originell zu nutzen weiß, und im Vertrauen zum eigenen Medium, der Sprache, singt Dieter Kerschek seinem geliebt/gehaßtem Maschinchen „Erika“ eine Hymne. Er hält es allen Ernstes und desto spaßigeren Sinnes wieder für möglich, „die ganze welt in gedichte verwandeln“ zu können – allerdings mit dem Nachsatz: „wenn man es kann“. Die Wirkung seiner Verse durch öffentlichen Vortrag selbst immer wieder erprobend, leistet der Dichter „zukunftsarbeit“ im poetischen Spiel mit den Vokabeln unserer alltäglichen Sprache.
Mathilde Dau, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1983
Dieter Kerschek liebt groteske Zuspitzungen und Ironie. Er weiß sich der Worte als Bausteine seiner Gedichte zu bedienen: er wendet und ordnet, fügt zusammen, setzt neben- und gegeneinander, schichtet. Dieses präzise Spiel mit dem Sprachmaterial schafft Räume, zu denen der Schlüssel Phantasie die Tür öffnet. Dem zum Eintritt aufgeforderten Leser bieten sie keinen gemütlichen Aufenthalt, eher die Atmosphäre erregter Neugier und unvermutete Aussichten.
Aus: Gabriela Mistral: Poesiealbum 187, Verlag Neues Leben, 1983
GRUSSBOTSCHAFTEN
Für Dieser Kerschek
ich grüße euch & euch & euch
ich grüße auch euch
ich grüße alle anderen ebenfalls
ich grüße mich Dieter Kerschek besonders
ich grüße zurück & im voraus
ich grüße den der mich grüßt
ich grüße selbst den der mich nicht grüßt
ich lasse grüßen
ich grüße die toten wie die lebendigen
ich grüße aus dem urlaub
ich grüße die kreisenden kosmonauten
ich grüße die hauskatze schnurr (sie grüß ich)
ich grüße diese grußbotschaften
ich grüße die begrüßen daß
ich grüße
Peter Wawerzinek
DIETER KERSCHEK
Bla bla bla bla
Bla bla bla bla blä
Bla bläh bla bläh blähungen
Peter Wawerzinek
SCHILLERS GEDENKEND
Für Dieter Kerschek
Dieser Begnadete
eine Ruine der Körper
dieser Leib
was machts
dieser Leib
was machts wenn trotzdem
dieser Leib
was machts wenn der Kopf
so denkt
der Kopf, in Ordnung
sagte der Arzt,
nebst Gliedmaßen
Magen und Blase:
ansonsten alles verändert
abnorm
eine Ruine der Körper
diese Leiche
begnadet.
So denke ich
und
meine Lust, dies hungernde Tier.
Gerd Adloff
Lieber Egmont,
Dieter Kerscheks Poesiealbum 188 war einer meiner größten Schätze, und fiel am Ende einem Wasserschaden zum Opfer …
Hast Du aus dem selben Poesiealbum auch das Gedicht über August Fenglers Keglerheim? Das habe ich immer noch halb im Kopf, aber nicht mehr ganz, und würde es gern wieder können.
Liebe Grüße
Oliver
lieber oliver,
ich habe dir soeben ein exemplar in einem berliner antiquariat bestellt und der text wird natürlich auch hier noch einmal gepostet.
mit bierischen grüßen
egmont
Das Gedicht ist wohl gemeint.
KOMM MOND
komm runter, mond, komm runter
& mach platz für den blues
den blues der ausgepowerten seelen
aus august fenglers keglerheim
mond, komm runter, mond
tauch ein in die wolken aus qualm
& gezeter
tauch in die tümpel aus branntwein
& bier,
komm halbmond, wir lassen uns voll
– laufen…
der tisch hat vier beine,
der mensch, der hat zwei
was ists fürn tag? – irgendeiner
& der ist gleich vorbei
komm mond, komm runter
wir lassen jetzt den blues hoch
den blues der ausgepowerten seelen
aus august fenglers keglerheim
Dankeschön!!!
Lieber Egmont, vielen Dank, es ist noch genau so schön wie damals. Und danke für die überraschende Post, ich schulde dir was! LG, Oliver
Mit einem Gedicht aus dem Dieter Kerschek-Poesiealbum hatte ich vor vielen Jahren Ärger. Meine Schwester und ich (15 und 16 Jahre alt) kombinierten im Jahre 1983 ein Stück aus einem seiner Gedichte (was ich damals noch nicht wusste, einem Zitat aus Allen Ginsbergs gedicht America – steck dir die Bombe in den Arsch und krepier) mit einem Peace-Zeichen, malten Plakate und verklebten sie nachts in der Innenstadt von Schwerin.Das bescherte uns ein Verhör auf der Polizeiwache. Wo sie rauskriegen wollten, ob wir was mit der Kirche zu tun hatten, Hatten wir nicht, man ließ uns laufen und legte vorsorglich Aktenordner an, wie sich nach ’89 zeigte.
War Dieter Kerschek identisch mit dem Chefredakteur der Berliner Zeitung? https://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Kerschek_(Journalist)
Nein.
Danke, hab ich auch gerade gefunden … Schöne Grüße aus Leipzig. (P.S.: hab mir zur Erinnerung das Heft antiquarisch bestellt)
Ja, solche Erinnerungen sollte man auch materiell pflegen.