Eugen Gomringer und Ilma Rakusa: Zu Eugen Gomringers Konstellation „wind“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Eugen Gomringers Konstellation „wind“. –

 

 

 

 

EUGEN GOMRINGER

Eugen Gomringers Konstellation „wind“

 

wind

in nicht wenigen gedichten der weltpoesie begegnen wir eines dichters erfahrungen mit dem wind und ebenso gehören viele verse über den wind zu unserem besten inneren besitz. wir sind fähig, aus der erinnerung einzelne verse fast jederzeit hevorzurufen. ich denke zum beispiel an hugo von hofmannsthal:

es läuft der frühlingswind
durch kahle alleen,
seltsame dinge sind
in seinem wehen

irgendeinmal hat mich der ehrgeiz erfasst, dass ich mir vornahm, meine wiederholten erfahrungen mit dem wind, meine liebe zum wind festzuhalten. aber fast gleichzeitig war mir bewusst, dass es nicht meiner art entsprach, in sätzen „auszusprechen“, worum es mir beim wind ging. vielmehr dachte ich mir, dass „wind“ ein schönes kurzes wort ist – wind wie wort – mit einem ,w‘ am anfang und einem ,d‘ am schluss. ich habe wind auch mit „baum“ in beziehung gesetzt, weil sich der wind im geäst eines baumes besonders bemerkbar macht, oft mit einem säuseln, das nur einige zweige oder blätter bewegt, oft als sturm, der einen baum umzubiegen oder zu brechen imstande ist. ich habe deshalb „baum“ und „wind“ aneinander geschrieben: „windbaum“ und auch „baumwind“. da entstehen seltsame hinweise auf beziehungen der konsonanten und der vokale.
bei „windbaum“ schließt das kompositum mit dem ,m‘ ab, das formal ein umgekehrtes ,w‘ ist, und in der mitte gleichen sich ,u‘ und ,n‘ ebenfalls durch umkehrung. wo die wörter sich verzahnen, findet eine umkehrung von ,d‘ und ,b‘ statt. schließlich bleiben die vokale ,i‘ und ,a‘ für die unterschiedliche charakterisierung der wörter.
bei der umstellung von „baumwind“ wirken das ,b‘ und das ,d‘ sehr schön als klammerbegriffe, während sich in der mitte ,m‘ und ,w‘ recht gut verzahnen, das heißt, der baum verzahnt sich mit dem wind, in dem er sich kräftig darstellen kann. dieser exkurs der formalen betrachtung der buchstaben ergab sich, wie es sich beim verfassen von konkreter poesie immer wieder ergibt, ja es ist ein hineinführendes ergebnis in unerwartet semantische beziehungen, die oft staunen machen.
ich wollte aber dem wort „wind“ in illustrer darstellung – ähnlich wie das unsere vorfahren im barock tätigten – gerecht werden. ich dachte an die wechselhaftigkeit des windes, schliesslich an die „windrose“, ein schönes wort, das zudem die fülle, den aufbau der rose evoziert, die rosenblätter und der wind zwischen ihnen. viele male schrieb ich das wort „wind“ auf ein weisses blatt, auf viele blätter, bis sich dem auge eine befriedigende buchstabenkonstellation zeigte. solches geschah dann plötzlich durch die gegenläufigkeit des wortes, das heisst durch die konstellation von elementen, die eine windrose darstellten. nun kann man das wort in mehreren richtungen lesen und zwischen den buchstaben bestehen die lücken, durch die der wind bläst.
heute ist das wort „wind“ in meiner KONSTELLATION zu einer choreografischen anleitung für viele schulen geworden, durch die ein wind bläst. es kommt aber auch entgegen, dass das deutsche wort gleich dem englischen ist und dass sich die gleiche konstellative struktur mit dem französischen „vent“ bilden lässt.

Eugen Gomringer, aus Eugen Gomringer: poema. Gedichte und Essays. Nimbus, 2018

Es windet in Eugen Gomringers WIND

Der Wind tut, was er will, habe ich einmal geschrieben. In der Tat, beeinflussen können wir ihn nicht. Ob Bergwind oder Talwind, Scirocco oder Tramontana, Mistral oder Bora, Föhn oder Jugo, er weht, wie er wehen muss, dieses himmlische unhimmlische Kind. Zerzaust uns das Haar, bläht Segel und Fahnen, lässt Schiffe kentern, fegt durch Strassenschluchten, zerrt an Bäumen und Drähten, bläst um, was sich als Beute eignet. O weh, o Wind. Meine Triestiner Kindheit stand im Zeichen seiner heftigen Einfälle.
Und ausgerechnet der Wind, dieses bewegte Element par excellence, soll sich typographisch-poetisch fassen lassen? Eugen Gomringer hat es versucht und eine ebenso interessante wie überzeugende Lösung gefunden. Die vier Buchstaben des Wortes wind – in mehreren Sprachen übrigens sind es vier (französisch vent, englisch wind, tschechisch vitr, ungarisch szél, estnisch tuul, schwedisch vind) – hat er mehrfach so arrangiert, dass sich viermal das Wort wind ergibt. Einmal von unten links nach oben rechts, daran anschliessend von oben (der ersten ,w‘-Spitze) nach unten rechts, sowie von der zweiten ,w‘-Spitze nach unten links und vom ,w‘ unten rechts schräg links hinauf. Die Zahl vier mag auf die bekannten vier Himmelsrichtungen – und somit Windrichtungen – verweisen, doch faszinierend am Ganzen ist die Art des Buchstabenarrangements: sie suggeriert eine gewisse Unruhe, nämlich genau das, was den Wind ausmacht. Zwar entdeckt das Auge, je länger es hinsieht, gewisse Gesetzmässigkeiten: viermal das Wort wind, wobei jeweils zwei ,w‘ zuoberst und zuunterst stehen, die drei ,n‘ alle schön in der Mitte, die Buchstaben ,i‘ und ,d‘ auf die zweite und vierte Zeile verteilt, was – horizontal gelesen – recht ordentlich aussieht. Doch der Gesamteindruck dieses wind-Gedichts/Gebildes oszilliert zwischen Ordnung und Unordnung, zieht man auch die Vertikalachse – beruhend auf der Zahl fünf nicht vier – und die unregelmässigen Zwischenräume in Betracht, sowie die Tatsache, dass der Buchstabe ,w‘ viermal, alle anderen aber nur dreimal vorkommen. Dieses Oszillieren meint Bewegung, womit die Haupteigenschaft des Windes zum Ausdruck kommt. Tatsächlich schweift unser Auge hin und her, der Blick ändert die Richtung, verfängt sich in luftigen Spatien, und der Mund summt wwwwiiinnnddd oder auch diidid, schliesslich hat der Wind auch eine Stimme: er tönt, singt, pfeift, stöhnt und vieles mehr.

Ilma Rakusa, aus Eugen Gomringer: poema. Gedichte und Essays. Nimbus, 2018

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