Felix Philipp Ingold: Aufs Wort (genau) – In …

Aufs Wort (genau) – Teil 30

 

Teil 29 siehe hier

In dem Gedicht «Kolon» (1962) – zum Beispiel – bewerkstelligt Paul Celan mit den Klangelementen -ar- (-ahr-), -and-, -af- und -au(s)- eine durchgehend wirksame Intonation durch das subtile Arrangement von erwANDerte HAND – ErschlAFende – PAUSen – FAHRt – TAUSend/fARbenem – TAUSend – HAUchjAHR. – Ähnlich in «Nachmittag mit Zirkus und Zitadelle» (1961): FlAMmenringen – sprANg – DA SAHMANdelstAMM – WORt – verlORen – unverlORen – Ort; das Gedicht ist durch eine assonantische Klammer locker gebunden (BrEST im ersten, befESTigter Ort im letzten Vers) und bietet in der Textmitte die singuläre, anagrammatisch versetzte Lautfolge KanOnenbOOt / BAObAb. – Bei dem Neosurrealisten Ghérasim Luca ist dieses Verfahren rekurrent und prägt weitgehend seinen Personalstil («Paralipomènes», 1986): «COMment CONdamner au NOM de LA LOI / le crime COMmis au NOM de LA LOI.» (Wie lässt sich im Namen des Gesetzes das im Namen / des Gesetzes verübte Verbrechen verurteilen?) Usf.
Die Ambivalenz solch assonantischer Redeweise, bei der allein durch Klangähnlichkeit ein Wort gewissermassen das andere gibt (oder eben: an sich zieht), hat einst Albrecht Fabri in einem kleinen poetologischen Text – einem Gedicht aus dem Band «Divertimenti» (1996) – exemplarisch vorgeführt:

Bäume aus Wort tragen auch Früchte aus Wort,
und der Korb, in den du sie sammelst,
ist ein Korb aus Wort, und so fort. Das Wort,
der Ort, an dem du lebenslänglich
gefänglich verwahrt bist zur Freiheit, zu gehn,
wohin du willst: zu den Göttern, zur Gorgo,
zum Einhorn, und sogar noch weiter: zum Nichts,
das der Schoss und auch aus Wort, und so fort.
Das wortende Wort, das zeugend vernichtet,
und das, was ist, es vernichtend, erdichtet:
Das Wort.

Das «Wort», das hier auch generell für Sprache steht, funktioniert als lautlicher Attraktor, indem es andere Wörter mit ähnlichem oder identischem Klangkern gleichsam an sich zieht: Korb, fort, Ort, Gorgo usf. bis hin zum heideggerianisch «wortenden Wort»; das gemeinsprachliche Adverb «lebenslänglich» wiederum evoziert solcherart (wie ein Reimwort) den Neologismus «gefänglich», und eine dritte derartige Reihe bilden die Wörter Nichts, vernichtet, erdichtet. Ein besonders starkes Gedicht ist das wohl nicht, doch führt es die wechselseitige «Attraktivität» von sprachlichen Gleichklängen in fast schon didaktischer Deutlichkeit vor Augen.
Zu berücksichtigen – und damit zu relativieren – ist allerdings, dass das Sprachmaterial als solches zahlreiche derartige Assonanzen mit sich führt, weshalb stets (in jeweils unterschiedlichem Grad) vom Zusammenwirken zufälliger und gewollter Lautähnlichkeiten auszugehen ist.

… Fortsetzung hier

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