ZWEITE VARIATION AUF ALTE MOTIVE
für Nina
Der Abend lastet schwer und gibt sich unversöhnlich
Beim Untergehn verletzt die Sonne geltendes Gesetz
Die Farben taumeln durcheinander wie gewöhnlich
Der Glockengruss zur Nacht schallt himmelwärts.
Seht her die ihr die Zeit beherrscht und die Gestirne
Seht was sich unter eurer Macht stumm regt
Die Ebbe steht bevor und herbstlich lose Zwirne
Ranken sich wie Schwalbenschwärme unentwegt
Der Wein wird weich in den schwindenden Kelchen
Noch weicher die Knochen im ermatteten Leib
Nun geht es darum gleich einer Gemse die Felsen
Mit Umsicht zu stürmen im Augenbraun treibt
– verborgener Brand einer schwellenden Ära
Über seichten Flüssen mit schlaffem Wellengang –
Die Kraterglut aus längst vergessener Sphäre
Und wie eine Wand rückt ein Zeitalter an
Schon ragt es souverän über den Deichen
Und blickt von dort in die Tiefe aufs Meer
Das wie eine Zeile unter jambischen Streichen
Erst aufschäumt um dann sich zu fügen dem Vers
aaaaaaaaaa(24. Juni 1926; aus dem Russischen)
aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern
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