Gepflaumt

Bin endlich abgereist, nur aber wohin; in die Ferne, nach Osten zur Teilnahme an einer grossen literarischen Veranstaltung mit Lesungen, Workshops, Banketten, Ausflügen, Wettbewerben; Hunderte von Autoren sind mit dabei, in Überzahl Frauen mittleren Alters, nur vereinzelt Jungautoren; die Veranstaltungen finden in einem gigantischen Gebäude statt, einer Art Lagerhalle, in der Bühnen, Arenen, Schlafbaracken, Essräume usf. untergebracht sind; ich ziehe mich um für einen geführten Spaziergang, ziehe also über die Hose, die ich anhabe, eine andre, etwas weitere, ganz weisse Hose aus angenehm weichem Textil mit ausfransenden Stössen; wir begehen eine wundersame, geradezu paradiesische Landschaft, die sich harmonisch ausbreitet mit sanften Hügeln und Kuhlen, alles bezogen mit strotzenden Wiesen, Obstgärten, Hainen usf.; doch unversehens, jetzt, tut sich ein riesiger Krater auf, gesäumt von bröckelnden Felsen, auf seinem Grund – sehr weit fort in der Tiefe – türmt sich Trümmergestein; Menschenwerk! denke ich, aber schon betreten wir einen schattigen, in leisem Wind sich wiegenden Baumgarten mit lauter Pflaumenbäumen, die fast ebenso dicht mit Früchten behängt sind wie mit Blättern; Pflaumen überall, Pflaumen auch dort, wo es schon keine Bäume mehr hat, Pflaumen auf dem Weg, dem wir folgen, wir waten in Pflaumenmus, ein betörender Duft steigt auf, der fast besoffen macht; die Natur um uns herum scheint zu lachen.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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