Lesezeichen [4]

Fazit eines erfolgreichen Schriftstellerlebens: «Ich weiss nichts mehr. Nichts mehr. Nirgendwo. Nichts als die Wahrheit der Wahrheit und die Lüge der Lüge. Ich kann das Wort nicht mehr von den Tränen unterscheiden.» Zu lesen bei Marguerite Duras in ihrem späten Text von und zu Yann Andrea Steiner.

Stig Dagerman (in seinem Abschiedsbrief vorm Selbstmord 1952): «… was ich bei mir verloren glaube: die Fähigkeit, Schönheit zu schaffen aus meiner Verzweiflung heraus, aus meinem Ekel und meinen Schwächen.» Wo dies – wie bei Beckett und Leiris, beim Maler Bacon, im Film bei Pasolini – gelingt, gelingt im Interesse der Schönheit und gleichzeitig im Gegenzug zu ihr das Höchste.

Die Bronze hat gewonnen (Genet über Giacometti), das Holz hat gewonnen, ist Geige geworden, das Blech ist aufgewacht – als Trompete (Rimbaud).

Später dann Valéry in den Cahiers: «Für einen Dichter kann’s nicht darum gehn zu sagen, dass es regnet ; es geht darum … regnen zu lassen.» Nichts als schreiben! Nichts statt schreiben?

Ravel zu seinen Schülern (zitiert bei Clément Rosset, Loin de moi): «Ihr sollt kopieren, und wenn ihr beim Kopieren ihr selbst bleibt, heisst das, ihr habt was Eigenes zu sagen …»

Bei Elias Canetti wird die Selbstentmächtigung des Autors als wesentliche Stärke neu bedacht: «Ein Dichter, der es weiss, aus lauter fremden Sätzen. Sein Hochmut ist die Summe des Hochmuts aller Bestohlenen. Seine Kraft, dass nichts von ihm ist.» Als praktizierender Schriftsteller hat Canetti allerdings, im Gegensatz zu dieser und manch einer ähnlichen Aussage, durchaus auf der Autorität dessen bestanden, der das Sagen hat.

Originalität nach Nietzsche (Vermischte Meinungen, § 200): «Nicht dass man etwas Neues zuerst sieht, sondern dass man das Alte, Altbekannte, von jedermann Gesehene und Übersehene wie neu sieht, zeichnet die eigentlich originalen Köpfe aus. Der erste Entdecker ist gemeinhin jener ganz gewöhnliche und geistlose Phantast – der Zufall.»
Wieder Nietzsche (aus dem Nachlass): verstanden zu haben heisse so viel wie verführt worden zu sein; verführt durch die Sprache.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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