MAN IN THE MOON
Hast du die Grille gehört
Und mit dem Schwan gesprochen?
Es heißt, der Mond
Sei heute nacht zerbrochen
Ein alter Mann
Fiel vom traurigen Himmel
Holz auf dem Rücken
Die Axt in der Hand
Er hat Gott gekannt
Sagt, der habe ihn verraten
Dann ist er davongekrochen
Hat seinen Namen Niemand genannt
Nachts sucht er den Wolf
Dann heulen beide am Strand
Anna Gudera
Seit über einem Jahr geistert ein Begriff durch die Spalten der Feuilletons, in den Wellen von Rundfunkanstalten, den Zeilen der TV-Sender: SOCIAL BEAT. Aber kaum einer weiß, was sich hinter diesen beiden Wörtern verbirg. Weder die Medien, noch die Macher von kleinen, literarischen Zeitschriften, noch die sogenannten Social-Beat-Autoren können (oder wollen) genau Auskunft geben, was das allerorts so begierig aufgenommene Label meint. Dennoch scharen sich jene, die etwas Außergewöhnliches wittern, vielleicht auch nur einen neuen Trend, um dieses Markenzeichen.
Dabei ist die Entstehung dieses Wortpaares schnell erzählt.
Jörg André Dahlmeyer, Dichter und Herausgeber der Undergroundzeitschrift STÖRER (einst Braunschweig, heute Ostberlin, Prenzlauerberg) und Thomas Nöske, Dichter und Herausgeber der Undergroundzeitschrift (HOKAHE) (das heißt auf Deutsch: „Ein schöner Tag, um zu sterben“), (einst Göttingen, heute Ostberlin, Prenzlauerberg) trafen sich im Frühsommer 1991, um über die ihrer Meinung nach katastrophal verlaufene MAINZER MINIPRESSENMESSE im Mai des selben Jahres nachzudenken.
Die Minipressenmesse findet alle zwei Jahre in Mainz in zwei großen Zelten am Rheinufer statt, ein Stelldichein für Bibliophile- und Klein-Verlage, Handpressendrucker und Zeitschriftenmacher. Dahlmeyer und Nöske hatten sich über die anscheinend minderwertige Behandlung, die Undergroundzeitschriften in Mainz erfahren mußten, schwarz geärgert und beschlossen deswegen, ein eigenes Festival auf die Beine zu stellen. Hierzu wollten sie all jene widerborstigen und rebellischen Poeten und Zeitschriftenmacher einladen, die es seit Beginn der Neunziger Jahre vermehrt wieder in Deutschland gab.
So weit, so schön, so gut. Aber ein Name mußte her, unter dem das Ding laufen könnte.
Über das Motto des Festes war man sich rasch einig. Ein Gedicht von Hadayatullah Hübsch mit dem provozierenden Titel TÖTET DEN AFFEN gab die Schlagzeile.
Aber irgendwie sollte auch das auf einen Nenner gebracht werden, was all die Literatur-Freaks (möglicherweise oder gar hoffentlich) verband.
Nun ist sicherlich jedem, der sich auch nur irgendwie und ein bißchen in dieser Szene auskennt, „Beat“ etwas, womit man was anfangen konnte. Gemeint ist jene literarische Gruppierung der Fünfziger Jahre, die in den USA bekannt und berühmt wurde und sich um das Dreiergespann Jack Kerouac (ON THE ROAD), Allen Ginsberg (HOWL) und William S. Burroughs (NAKED LUNCH) scharte. Namen wie Lawrence Ferlinghetti, Gregory Corso, Bob Kaufman, Gary Snyder, Michael McClure bis hin zum späten Nachläufer Charles Bukowski waren und sind auch in Deutschland einer von Hochglanzliteratur angeödeten Schar von Schreibern und Lesern bestens bekannt. „Beat“ (von der US-Presse zu „Beatnik“ verunstaltet und verniedlicht) ist Mythos, aber nicht tot. In den USA erleben die Beats eine riesige Renaissance, die SLAM-POETRY und ORAL-SPEECH-MOVEMENT haben in Beat ihre Wurzeln. Kerouac ist ebenso Legende wie sein Held Neal Cassidy. Allen Ginsberg, längst weltweit berühmt und renommiert, ist eine unerschütterliche Instanz und begehrt als Lehrer in Kursen zum Kreativen Schreiben, auch in Europa. Und der notorische Anti-Held William S. Burroughs feiert immer wieder, ob in der Pop-, ob in der Medien-, ob in der Opernwelt, ja sogar in der Kunstbranche, Triumphe. Die Bücher und Artikel über die Beats, zumal seine drei Koryphäen sind, auch hierzulande, unübersehbar ebenso präsent wie Gesamtausgaben ihrer Werke und Anthologien. Wer glaubte (und vielleicht gar froh darüber war), daß es mit dem Spuk der Beats endlich ein Ende hätte, wurde spätestens dann eines besseren belehrt, als Frank Schirrmacher, jüngster Kopf der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, im Filetstück seines Blattes, der Wochenendbeilage auf Tiefdruckpapier, „Bilder und Zeiten“, als Aufmacher einer jüngst erschienenen Ausgabe eine ziemlich hirnrissige Attacke auf den vor 25 Jahren verstorbenen Jack Kerouac ritt, indem er ihn als das „Unglück” für die Literatur schlechthin bezeichnete, und, bar jeden Faschwissens, ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Sätze des Beat-Idols zitierte, die ihn für all das verantwortlich machen sollten, was an ungezügelten, sich genialisch wähnenden Versen in der Welt seit dem Erscheinen von ON THE ROAD so geschrieben worden wäre. Wenngleich Schirrmacher sich bemüßigt fühlte, dem Kultroman der Sechziger zu bescheinigen, daß er schon längst vergessen sei (was er natürlich, beileibe, nicht ist), war sein Autor ihm dennoch immer noch oder noch immer ein fies schmerzender Dorn im Auge.
Diese Episode aus unserem Feuilleton-Alltag zeigt das, was Dahlmeyer und Nöske in ihren Prenzlauerbergbuden, wenn auch auf ganz andere Art., bestens wußten: „Beat“ drückt nach wie vor, gerade auch im wiedervereinigten Deutschland, das Zeitgefühl von vielen Kids, die schreiben oder lesen, aus, von manch einem aus der Generation der 68er ganz abgesehen. Gehen wir auf das zurück, was Jack Kerouac, der „Beat“ zum Leitmotiv für viele machte, sich bei „Beat“ dachte, so erfahren wir, daß „Beat“ nicht nur „geschlagen“ heißt, sondern auch vom Wort „beatitude“ („glückselig“) abstammt, zudem den Sound des Schlagzeugs meint. Wer aber sollte leugnen, daß nicht wenige der gescheitesten und deswegen unangepaßten jungen Leute sich oft „geschlagen“ fühlen, ohne deswegen schon aufzugeben, und daß sie zugleich voller Sehnsucht sind, Glückseligkeit zu erfahren?
Kurzum, „Beat“ war schon o.k., als Dahlmeyer und Nöske über einen Namen nachdachten, unter dem sich die Szene der Underground-Poeten finden könnte, aber „Beat“ war (nicht mehr) genug. Dachten sie. Immerhin ist unübersehbar, wenn man nachzudenken gewillt ist, daß die Zeiten sich geändert haben, seit die Gruppe wilder US-Dichter gegen Puritanismus und Heuchelei aufstanden. Ihr Weg aus Rausch und Besinnung, aus Zen und Sex, aus Drogen und Jazz war so nicht mehr einfach imitierbar. The times they are a-changing.
Und so verfielen Dahlmeyer und Nöske auf die Idee, dem „Beat“ ein ziemlich für Anstoß sorgendes Vorwort beizugesellen: Social. Für sie war das allerdings weniger das „Soziale“, wenn es auch meist so begriffen wird, als der reichlich in Mißkredit geratene „Socialism“. Sie wollten den doch sehr hedonistischen „Beat“ von damals um eine politische Komponente bereichern.
Zumindest unterschwellig hat das dann auch in den Medien eine gewisse Empörung ausgelöst. SOCIAL BEAT gilt als unfein. Der von den Social-Beat-Autoren formulierte Protest, ihr Blues und ihre Visionen werden runtergespielt, man machte sich gern lächerlich über sie, ohne indes mit einer ernstzunehmenden und fundierten Kritik den meist jungen Dichterinnen und Dichtern an den Karren zu fahren.
Daß es dieses zu verzeichnende, erstaunlich große und breitgefächerte Echo auf SOCIAL BEAT gibt, ist nicht zuletzt dem Initialfunken zu verdanken, der 1993 auf dem ersten Social-Beat-Fest gezündet wurde. Nicht nur, daß die von weither und auf eigene Kosten angereisten Freaks heftig und begeistert miteinander diskutierten, wie sie über ihre eigene Szene hinaus Resonanz erlangen könnten und es so eine Aufbruchsstimmung zu verzeichnen gab, die in der Folge dafür sorgte, daß von Hanau bis Leverkusen die Poeten sich als Organisatoren von Social-Beat-Veranstaltungen auszeichneten, darüber hinaus waren Funk, Fernsehen und Feuilleton von der anmachenden Promotion der Fest-Organisatoren so überzeugt, daß sie dem neuen Phänomen breiten Raum in ihren Medien gaben. Jedenfalls waren die Marathon-Lesungen in einschlägigen Lokalen überfüllt, das Publikum spielte mit, Grund genug, es mit einem zweiten Festival 1994 unter dem Motto DER AFFE SCHLÄGT ZURÜCK erneut zu versuchen. Diesmal waren es nicht nur die Jungen, die kamen, sondern auch altbekannte Veteranen der Szene, wie Jürgen Ploog und Kiev Stingl. Sie meinten zwar, sie seinen mehr „Beat“ als „Social“, aber daß da plötzlich ein neuer Wind durch die Landen pustete, war ihnen Zeichen und wichtig genug, um mitzumachen. Das, was Hadayatullah Hübsch und Wolfgang Rüger mit ihrer GRUPPE 60/90 („Aus den Sechzigern in die Neunziger“) vor Jahren angekurbelt hatten, einen Zusammenschluß der vom Beat angetörnten Schreiber, war auf einmal allerorten äußerst lebendig andere Wirklichkeit geworden.
Mittlerweile mehren sich die Anfragen von Journalisten, die wissen wollen (wie eingangs erwähnt), was es mit diesem SOCIAL BEAT auf sich habe. Längere Fernsehfilme, Rundfunkfeatures entstehen, werden gesendet. Aber bei allem Wohlwollen, bei aller Neugier, mit der die einschlägigen Kulturjournalisten auf Social Beat reagieren, bleiben jene Töne unüberhörbar, die vielen derer, die den unter SOCIAL BEAT firmierenden Gazetten und Anthologien und Büchern bescheinigen, daß in ihnen oft genug Leute zu Wort kämen, die schlechthin nur Schrott schreiben. Da wird angemahnt, daß man keinen Bukowski-Aufgruß brauche, daß handwerklich geschlampt würde, ja, bisweilen versucht man auch, die sogenannte Social-Beat-Literatur abzukanzeln, indem man behauptet, es ginge ja dort doch nur um Weltschmerz und Saufen und Ficken. Das aber sie keine Perspektive, geschweige denn eine Vision, die über das hinausweise, was es an ähnlichen Machwerken schon genug gäbe.
Hierzu: SOCIAL BEAT ist keine hierarchische Bewegung, die mit Ausschlußverfahren droht, wenn jemand ein Komma falsch setzt. SOCIAL BEAT ist auch keine eng verschworene Elite die in ihre Reihen nur aufnimmt, wer sich dem Verdikt des Ober-Gurus unterwirft. SOCIAL BEAT hat noch nicht einmal jenen Prozeß des Zusammenwachsens erlebt, der die Beats von Amerika („San Francisco Renaissance“) festigte; deren Praxis, über Jahre hinweg miteinander befreundet zu sein und die eigenen Werke in dem eigenen Zirkeln ständig vorgelesen und diskutiert zu haben, Selbstkritik zu üben, ist hierzulande fast unbekannt, dem Social Beat jedenfalls fremd.
Auch jetzt, wo sich eine Anzahl von Poetinnen und Poeten herauskristallisiert, die, sagen wir es einmal so großspurig, die Creme la creme des Social Beat ausmachen, beschränkt man sich darauf, gemeinsam zu Lesungen zu erscheinen, einfach nur zusammen zu sein, ohne über die vorgetragenen Texte groß analysierend Rechenschaft zu fordern oder abzulegen. Sicherlich gibt es eine Korrespondenz unter dem Social-Beatlern, Gedichte werden ausgetauscht, aber alles in allem muß (?) jeder/jede mit sich selbst auskommen, wenn er/sie vor dem weißen Blatt Papier sitzt und in die Tasten haut. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, ist seit 1992 literarisch in den Social-Beat-Kreisen viel passiert, ist zu erkennen, daß stärker als zuvor an den Texten gearbeitet wird. Es wurde nicht zu Tode diskutiert, es wurde etwas in Schwung gebracht.
Zu vergleichen ist deswegen die Landschaft der Social-Beat-Zeitschriften etc. mit dem Experiment, das Joseph Beuys anstellte, als er in der Lage war, als Professor an der Kunst-Akademie zu Köln, nicht mehr Aufnahmekriterien zu stellen; als in seine Klasse kommen durfte und konnte, wer wollte. Sein Diktum, daß Kunst Leben sei und Leben eine Kunst sein müsse, ist so auch das, was ich bei den Social-Beat-Autoren finde: die Ehrlichkeit der Empfindung, die Echtheit der Wahrnehmung, die Stärke des Erlebens und die Würde, den aufrechten Gang immer und immer wieder zu proben, zählen mehr als literaturwissenschaftliche Kriterien.
Im Grunde, so scheint es, drückt sich hier der Einbruch der Moral in das Handwerk des Poetischen so aus, daß oft genug der kritische Leser konstatiert, daß es bei der guten Absicht geblieben ist, daß sie nicht ausreichend literarisch umgesetzt wurde.
Das aber geht von einem Denken aus, dem es nur auf das Produkt ankommt, nicht auf den Prozeß.
Wir sind es gewohnt, von ausgefeilten, aber oft genug höchst langweiligen Texten überschüttet zu werden. Die Vorstellung von der Perfektion läßt sich immer mehr nur noch durch das Gigantische erfahren. Knospen, Triebe werden durch eine hochmütige Kritik zugeeist. Und unsere Verlage fördern die Misere, indem sie schon seit langem nicht mehr in der Lage sind, Aufbauarbeit zu leisten. Im Gegensatz zu Amerika, wo es an jedem College, an jeder Universität einen Kurs für Kreatives Schreiben zu belegen gibt, wo die JACK KEROUAC SCHOOL FOR DISEMBODIED POETICS (unter der Leitung von Anne Waldman und Allen Ginsberg) eine begehrte Zufluchts- und Lehrstätte für alle ist, die mit ihren Ideen von Poesie weiterkommen wollen, wird hierzulande die Vorstellung, „Literatur herstellen“ zu lehren, arrogant niedergeschmettert. Daß von den Autoren, die in den USA mit Erfolg Bücher veröffentlichen, mehr als 90% einmal einen Kreativen Schreibkurs belegt hatten, wird dabei übersehen, wir könnten davon lernen.
So ist die Schuld, daß in Social-Beat-Gazetten soviel Schrott steht, auch jenem Umstand anzulasten, daß völlig weltfremd in unseren Breitengraden nur der Autodidakt etwas gilt. Daß sich selten genug Lektoren oder gestandene Autoren finden, die sich eines Anfängers annehmen. Dabei wird durch das Verlangen, ja nichts Halbfertiges auf dem Markt zu sehen, einer Erneuerung unserer miefigen Literatur viel Elan genommen. Gottseidank halten sich viele junge Autoren nicht an das Altherrengeschrei einer Kritikerkaste, die längst den Kontakt zur Innovationsfreude der Jugend verloren hat, für die etwa Hip-Hop und Rap höchstens unverstandene Schimpfwörter sind. Aber irgendwie scheint es zum Wesen der deutschen Geschichte zu gehören, am Niedermachen Spaß zu finden, während Nachsicht einen Widerwillen auslöst.
Daß Social Beat oft genug so scheel angesehen wird, hat auch damit zu tun, daß seine Protagonisten ihn nicht ernst nehmen, wenn er sich auf den Sohlen eines Journalisten nähert, der über sie schreiben möchte, warum auch immer. Man fühlt sich selbstsicher genug, um eigene Produktionsapparate aufzuziehn, eigene Verlage und eben Zeitschriften, in denen sich auch die tummeln dürfen, die den Akademikern ein Graus sind.
THEO KÖPPEN, der eher ein Vorläufer der Social-Beat-Generation ist, ein Beat-Veteran, veröffentlichte im auf Beat-Literatur, vornehmlich aus den USA spezialisierten winzigen Altaquito-Verlag. Er macht Aussendungen seiner selbstkopierten lakonischen Gedichte, wenn ihm danach ist, und beglückt so seinen Freundeskreis. Mit Peter Schröder zusammen gab er über Jahre hinweg seine Mini-Zeitschrift für Kunst und angewandtes Alphabet heraus.
HEL publiziert sporadisch in Kleinzeitschriften, steht bei Social Beat nicht in der ersten Reihe, bezieht in seine Denk- und Schreibweise neben den Beats auch die Antike ein und hat durch den Boom der Social-Beat-Zeitschriften wie dem EINBLICK des Yusuf Schönauer (wo wir ihn entdeckten) Aufwind erfahren.
ANNA GUDERA, die von den Doors und Jim Morrison, Bob Dylan und anderen Musikgrößen der Sechziger beeinflußt ist, hat ihre Gedichte jahrelang nur durch liebevoll gestaltete und collagierte Fanzines wenigen engen Freunden mitgeteilt, ehe sie von der Social-Beat Szene wahrgenommen wurde, zu der sie sich, vom Gestus her und was die Aura betrifft zugehörig fühlt.
ANDI LÜCK kommt ebenfalls vom Beat her, aber auch vom frühen Rock ’n Roll, für ihn und Robsie Richter, mit dem ihn eine jahrelange herzliche Freundschaft verbindet, war Social Beat endlich ein Aufbruchsignal.
ROBSIE RICHTER hat sich vormals als Punk-Dichter einen Namen gemacht. Er gibt seit langer Zeit das Fanzine für Hardcore-Poesie und Metal-Lyrik KOPFZERSCHMETTERN, heraus, das für viele nachgewachsene Undergroundzeitschriften vom Inhalt und Layout her richtungsweisend ist.
JÖRG ANDRÉ DAHLMEYER gilt als Mann der ersten Stunde des Social Beat, seine Lust am Agieren, seine wüsten Züge durch die Undergroundliteraturszene der Bundesrepublik sind Legion, seine Zeitschrift STÖRER wird immer mehr zum Kulminationspunkt der Social-Beat-Schreiber, denen er, zusammen mit Thomas Nöske, auch in einem eigenen winzigen Verlag, DEAD MONKEY, Sprachrohr sein will.
ROLAND ADELMANN ist lange Jahre durch die Gegenden gegammelt, seine Blues-Gedichte spiegeln viel von dem Lebensgefühl wieder, das für nicht wenige der weitaus jüngeren Social-Beat-Autoren gang und gäbe ist; denen er darüber hinaus mit seinem Fanzine BULETTENTANGO eine Heimat gibt (seit kurzem ist sie mit einem Fanzine von Thorsten Nesch vereinigt und heißt seitdem DER KULTURTERRORIST TANZT DEN BULETTENTANGO).
KERSTEN FLENTER ist jüngeren Autoren der Szene so viel wert, daß sie ihn als Symptom für ihr eigenes Empfinden in ihren eigenen Gedichten zitieren. Auch er ist dem Blues verpflichtet, was ihn aber nicht in Melancholie versinken läßt. Flenter ist zudem unermüdlicher Organisator von Social-Beat-Lesungen in Hannover.
Diese acht seien stellvertretend für Social Beat genannt, wenn wir uns mit der Social-Beat-Lyrik beschäftigen. Was nicht heißt, daß es bei SOCIAL BEAT keine Prosaautoren gibt, aber mir scheint, daß sich bislang in Lyrik das Social-Beat-Feeling am besten vermitteln läßt. Sie sind Talente, um die niemand herumkommt, der wissen will, was Social Beat ist – nachdem es so schwierig ist, die, die sich unter das Label SOCIAL BEAT subsumieren lassen so rasch und eindeutig in den Griff zu kriegen, daß wir stolz die Schublade zumachen könnten, um aufatmend zu sagen: das isses und das wars.
Ein, zwei Sätze noch dazu, daß es (noch) keine (oder kaum) Social-Beat-Autoren aus der ehemaligen DDR gibt (Dirk Fröhlich, der aber erst zu schreiben beginnt, ist eine Ausnahme): Robsie Richter und Andi Lück kommen aus dem Raum Hanau, Anna Gudera aus Rüsselsheim bei Frankfurt am Main, Hel wohnt in Berlin so wie Jörg André Dahlmeyer (der aber eigentlich Braunschweiger ist); Theo Köppen lebt in Göttingen, Roland Adelmann im Ruhrgebiet, Kersten Flenter in Hannover, alle also (sozusagen) auf dem Gebiet der ehemaligen BRD. Warum? Ich wage einmal die Theorie, daß es – neben dem Umstand, daß in der Ex-BRD leichter Zugang zu den alten Beat-Autoren zu bekommen war (wenngleich Kerouacs „On the Road“ auch bei Reclam in Leipzig veröffentlicht worden war) – vor allem der leichtere Umgang zu Reproduktionsmitteln, vor allem der Fotokopie, war, der das Entstehen einer Underground-Zeitschriftenszene, und einer breit flukturierenden „Beat-Kultur“ Raum bot. Der per Hand etc. vervielfältigten Zeitschriften in der Ex-DDR konnten mangels Masse und vor allem dadurch, daß es nicht möglich war, quasi zur gleichen Zeit mit einer Zeitschrift viele sinnverwandte Autoren zu erreichen, nicht jene Wirkung erzielen, die eine schnelle Kommunikation hervorbringt. Zudem war die amerikanische Kultur in größerem Maße wesensbestimmend hierzulande, etwa was den Musik- und Filmbereich betrifft – dadurch aber wurden Gefühle und Vorstellungen, Sympathien und Antipathien, die um eine andere Realität von Freiheit und ihren Mißbrauch kreisen, als sie in der EX-DDR gelebt und erfahren werden konnte, auf eine Weise transportiert, die an den verschiedensten Orten in Deutschland und im westlichen Ausland jungen Leuten gleichermaßen eine Art Identität vermittelte. Auch nach der Wende hatten junge Autoren aus der DDR andere Probleme als die, die ihre Altersgenossen im Westen haben, andere Wünsche, andere Vorliegen und demzufolge andere Wege. In ein, zwei Jahren mag das dann wieder anders aussehen, und wer weiß, ob sich „Social Beat“ als Übergriff bewährt hat.
Hadayatullah Hübsch, Einführung, 1995
weil wir es für wesentlich halten, eine literarische Bewegung, in ihrem Anfang und dem darin, deutlicher als im öffentliche medialisierten Spiegelbild (ihrem Ende), sichtbaren Trend erfaßt zu sehen. „merwut log 1000“ ist der Beitrag des Verlages zur politischen Ambition, welche die Autoren dieses Buches verbindet. Die Kultur aktionistischer Literatur zeigt sich vor allem in den von den Schreibenden selbstveranstalteten Editionen und Lesungen. Dieses Selbst ist Ausdruck eines Drucks, der in den Regionen der ehemaligen DDR seit Mitte der 70er Jahre durchaus rückwirksame, Öffentlichkeit herstellende und die gesellschaftliche Nichtöffentlichkeit verwandelnde Formen fand. Die zwischen 1970 und 1989 entstandenen Malerbücher und Periodika, ihre aus der Not entwickelte Ästhetik eines Gesprächs, das nicht im Multi… versandet, wurde ja keineswegs einfach aufgegeben nach dem Ende der DDR, sondern setzt sich, und zum Glück ohne den Spektakel des politisierenden Abbildes durch die Medien, fort. Unsere Ansicht ist, daß viele der Jüngeren westlichen Künstler sich zwar wie selbstverständlich auf das jetzige Sein im Osten Deutschland einlassen, dabei aber umso weniger die kulturelle Geschichte, die eine politische Erfahrung überträgt, reflektieren. Das Aktionistische dieser schreibenden Generation ist uns insofern auch Bild einer selbstzerstörenden Geschwindigkeit, welche nur durch „die Bremse wirklichen Wahrnehmens“ sichtbar werden könnte, nicht aber von jenem Rand her darstellbar ist, dessen sich die Interpreten so gern bedienen.
Aber auch hier zeigt sich, daß die von scheinbar keinem ästhetischen Bezug geschützten Texte der in den Sechzigern und im Westen Deutschlands Geborenen, diese möglichst puren distanzlosen Zeichen, mehr „für“ etwas stehen als „dagegen“. Denn wiederum wird auch diese Gesellschaft nicht den Text den Sinn die Farbe belohnen, sondern für das Bild die Gebärde die Form bezahlen. Insofern ist es klar, daß die Dichtung der Jüngeren (im zweiten Teil dieses Buches) eine Unverfallenheit zum eigenen Text demonstriert, die es jedem Einzelnen allemal offen läßt, sich derart gegen den Text zu entscheiden, daß das Gefühl für „die Kunst an sich“ unversehrt bleibt. Oft ist den einer Art vollständig Hingegebenen, die Handhabe jedes anderen Mediums für immer versperrt, und die Konsequenz, der Haß auf die bedingungslose Mutation wird zu einem Motiv, welches letztlich jenes anfängliche „Selbst“ zerstört.
Druckhaus Galrev, Anmerkung, 1995
André Dahlmeyer: Er wollte die Grenzen des Ichs sprengen
nd, 7.1.2021
Florian Vetsch: In Memory of Hadayatullah Hübsch
Fabrikzeitung, 8.1.2021
Hadayatullah Hübsch liest.
Hadayatullah Hübsch und Social-Beat
Sprache als Instrument
„Ist das Kunst oder kann es weg?“
Die Frage, was Social-Beat genau ist und ob es als Kunst oder Müll zu bezeichnen sei, ist zweifelsfrei ein viel diskutiertes Thema, das hier aber nicht im Fokus des Interesses stehen soll. Die Meinungen bezüglich dieser (Kunst-)Richtung gehen weit auseinander und es gibt sowohl Pro- als auch Contraargumente für beide Seiten.
„Hasch ich, hasch du, hasch er, sie, es, hasch wir, hasch ihr, hasch ich, hasch du, hasch er, hasch sie, hasch es, hasch wir, hasch wir, hatschi […]“
Was mich wirklich an dem Thema Social-Beat und explizit an dem Auftritt von Hadayatullah Hübsch interessiert, ist das Thema der Instrumentalisierbarkeit von Sprache.
Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten sich mit dem Thema Sprache als Instrument und zwar hier bezogen auf ihren Klangcharakter, zu beschäftigen.
Hadayatullah Hübsch ist eine von vielen Anlässen, das Thema in den Blick zu nehmen, aber ein besonderer, denn er tut etwas ganz und gar Unfeines, geradezu Unerhörtes:
Er schießt mit Wörtern, gut vier Minuten lang und lässt mich als Hörer von heute geschockt, aber auch fasziniert über so viel Sprachtrip zurück. Erschreckenderweise sieht man sich der Kombination von Schock und Faszination auch noch beim mehrfachen Hören ausgesetzt.
Der kürzlich verstorbene Autor versteht es nämlich Sprache, phonetisch mithilfe der Intonation, so zu benutzen, dass sich eine dem Hörer erschlagende Klangdimension bietet.
Das, was man hier „um die Ohren gehauen bekommt“, hat nichts mehr mit der klassischen Lyrik der Vergangenheit zu tun.
Lyrik lebt zumeist von Klang und von Inhalt. Die Mischung dieser beiden Elemente macht ihre Vielschichtigkeit aus.
Erstaunlicherweise ist es hier weniger der Inhalt des Vorgetragenen, der die Explosivität des Ganzen erzeugt, auch wenn sich das Klanggebilde vielleicht unter dem Thema Bewusstsein subsumieren ließe. Fraglich ist, inwieweit Hadayatullah Hübsch überhaupt inhaltlich verstanden werden will und wie viel Sinn eine diesbezügliche Suche machen würde.
Auf der Oberfläche geht es um Klang.
Inhaltlich wird aus dem „Bewusstsein ein Wutzschwein“.
Christa Lindau