Hans-Ulrich Treichel: Zu Paul Celans Gedicht „Auf Reisen“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Paul Celans Gedicht „Auf Reisen“ aus dem Band Paul Celan: Mohn und Gedächtnis. –

 

 

 

 

PAUL CELAN

Auf Reisen

Es ist eine Stunde, die macht dir den Staub zum Gefolge,
dein Haus in Paris zur Opferstatt deiner Hände,
dein schwarzes Aug zum schwärzesten Auge.

Es ist ein Gehöft, da hält ein Gespann für dein Herz.
Dein Haar möchte wehn, wenn du fährst – das ist ihm verboten.
Die bleiben und winken, wissen es nicht.

 

Immerwährender Exodus

Im September 1948 erhielt der in Bukarest lebende Schriftsteller und Übersetzer Alfred Margul-Sperber eine Ansichtskarte mit einer Fotografie des Innsbrucker Goldenen Dachs. Die Karte war allerdings nicht in Innsbruck, sie war – am 10. des Monats – in Paris aufgegeben worden, und sie enthielt auch keine Urlaubsgrüße, sondern das Gedicht „Auf Reisen“, ohne jeden weiteren Kommentar und nur mit der Unterschrift des Dichters versehen. Möglicherweise hatte Celan gerade nichts anderes zur Hand als dieses Touristenmotiv, vielleicht aber schien es ihm auch ironisch und passend, sein Gedicht auf diese Weise in das Land zurückzuschicken, aus dem er soeben emigriert war und welches er niemals mehr wiedersehen sollte. Denn „Auf Reisen“ zu sein, das war für Celan denkbar weit entfernt von jeder touristischen Erfahrung, ja, es sprach dieser geradezu hohn.
Daß Paul Celan in dem Gedicht eine höchstpersönliche Erfahrung anspricht, darauf verweist „das Haus in Paris“, der Ort seines endgültigen Exils. Daß er diese Erfahrung in einem gesteigerten, zuweilen hohen und prophetischen Ton beschreibt, macht deutlich, daß es ihm um mehr als bloß Biographisches geht. Den Ort seines künftigen Exils erblickt Celan vorausschauend – das Gedicht ist noch vor seiner Ankunft in Paris entstanden. Und Paris wird ihm hierbei zur „Opferstatt“ seiner Hände – zur Stätte des Schreibens also, ist letzteres doch für den Autor „Sache der Hände“, ein Handwerk, zumal, so Celan in einem Brief an Hans Bender (1960), „nur wahre Hände wahre Gedichte schreiben. Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht.“ Doch werden die opfernden, schreibenden und „sich gebenden“ Hände, folgen wir dem Doppelsinn der Formulierung, auch selber geopfert. Sie werden stumm, so wie das Auge zum schwärzesten Auge, ganz und gar blind wird.
Paris also soll dem Emigranten nicht zum Ort einer Rettung und wohl auch nicht zur sicheren Stätte des Schreibens werden. Denn er weiß, daß der Staub, den er in der Stunde seiner Abreise aufwirbelt, ein allzu treuer Gefährte ist, der ihn auch am Ziel nicht verläßt. So wie der Schrecken, den sein „schwarzes“ Auge gesehen hat, immerfort gegenwärtig sein wird. Der Reisende fährt dem Verstummen entgegen. Sein Herz wird von diesem ein wenig unheimlichen „Gespann“ fortgetragen, sein Haar darf nicht wehen, was wohl auch heißen soll: er bleibt in Wahrheit regungslos und wie gebannt an seinem einzigen möglichen Ort – dem immerwährenden Exodus.
Daß die ganz persönliche Prophetie dieses Gedichts, der Ausblick auf Paris als „Opferstatt“, sich für Celan auf bittere Weise erfüllen sollte, das hat er noch zu Lebzeiten in dem Gedicht „Zwölf Jahre“ bestätigt. Der Text, den der Autor 1963 in dem Gedichtband Die Niemandsrose publizierte, beginnt mit den Zeilen:

Die wahr-
gebliebene, wahr-
gewordene Zeile: … dein
Haus in Paris – zur Opferstatt deiner Hände.

Doch noch lebte Celan, der im April 1970 Selbstmord beging, und noch konnte der Dichter einer bitteren Vorahnung lyrisch begegnen. Noch konnte er sagen, in dem gleichen Gedicht:

Es wird stumm, es wird taub
hinter den Augen.
Ich sehe das Gift blühn.
In jederlei Wort und Gestalt.

Was er nicht sagte und was die, die blieben und winkten, nicht wußten: daß das Haus in Paris am Ende zu einem Totenhaus werden sollte und daß die Blume „Herzgespann“, der man heilende Kräfte nachsagt und die der Dichter beim Wort nahm, die Krankheit, die sie heilt, auch hervorzurufen vermag.

Hans-Ulrich Treichel, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Hundert Gedichte des Jahrhunderts, Insel Verlag, 2000

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00