Heinz Erhardt: Poesiealbum 316

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Heinz Erhardt: Poesiealbum 316

Erhardt/Schwalme-Poesiealbum 316

ARCHIMEDES

Jaja! Der weise Archimedes
ging stets zu Fuß, ging stets per pedes.
Doch ging er auf besondre Weise:
Er ging hauptsächlich nur im Kreise.

Die Gangart hatte sich nach Wochen
in Syrakus herumgesprochen,
weshalb – es ist gut zu verstehn –
die Menge kam, sich’s anzusehn.
Doch dies gefiel dem Greise nicht!
Er sprach: „Stört meine Kreise nicht!“

Jaja! Der weise Archimedes
ging stets zu Fuß, fuhr nie Mercedes.

 

 

 

Heinz Erhardt

Es hat lange gedauert, bis Leute Lachen lernten; viele können es heute noch nicht. Und in bestimmten Gegenden geht man zum Lachen in den Keller. Der Humorist steht im Schatten des Komikers; beide werden aktuell durch Comediens übertrumpft. Deshalb sind die Gedichte Erhardts heute Klassiker, seltsame Gebilde aus witzigen Wortschöpfungen, bizarren Sprachverdrehungen und den verrücktesten Reimen, die immer wieder den so einfältig daherkommenden Versen überraschende Wendungen geben und aus naiven Zwei- oder Vierzeilern raffinierte kleine Sprachkunstwerke machen, absurd, komisch, zum Lachen und zum Nach denken, zum Amüsieren und für manche zum Süchtigwerden.

Ankündigung in Gertrud Kolmar: Poesiealbum 315, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014

Poesiealbum 316

Der Schauspieler, Humorist und Dichter war Deutschlands beliebtester Komiker der 1950er bis 70er Jahre. Er probierte erfolgreich sein komisches Talent im Theater aus, es folgten Radio und Fernsehen. Mit Filmen wurde er Star der Wirtschaftswunderjahre. Seine Bücher mit Sketchen, Gedichten und Aphorismen waren und sind Bestseller. Die Komik Erhardts entsteht durch scheinbar unbeholfene Redewendungen, bei denen Doppeldeutigkeiten und Verballhornungen den gewünschten Lacher erzeugen: „Bei glatten Straßen muß man sechzehn geben – also doppelt acht“; viele gehören inzwischen zu stehenden Redensarten im Sprachschatz auch humorloser Leute.

MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2015

 

Man muss 16 geben

Der Humorist steht im Schatten des Komikers, der Scherz fühlt sich minderwertig gegenüber dem Witz. Will jemand als klug gelten, steht ihm der Schalk nicht gut zu Gesicht, der darf ihm höchstens im Nacken sitzen. Das jüngste Heft der Reihe Poesiealbum war Gertrud Kolmar gewidmet – was denn!, und jetzt Heinz Erhardt? Hui, hört man’s im Amt für hohe Maßstäbe knacken, denn da wird nun gewiss ein Stab nach dem anderen gebrochen. Über solche Unbotmäßigkeit niederen Niveaus. Nein, herrlich! Eine gute Wahl.
Erhardt nahm das Wort wörtlich. So, wie man Gegenstände bestastet, befühlt, so war ihm Bedeutung nichts Feststehendes, er be-deutete die Dinge, deutete an ihnen herum, bis sie anders klangen.

Bei glatten Straßen muss man sechzehn geben, also doppelt acht.

Seine poetische Logik war durchschlagend einfach: Wenn eine Unmenge mehr ist als Menge, dann ist Unsinn auch mehr als Sinn. In der Tradition von Wilhelm Busch und Eugen Roth entwickelte er seine tolle wie patschige Liebenswertschöpfung.
Erste autobiografische Notiz:

Schule wenig erfolgreich.

Der Nichtschwimmer und Brillenträger muss zur Kriegsmarine, tingelt dann als „singendes Schnellsprech-Talent“ durch die Zeiten. Blödelei und Nonsens, gepaart mit ungelenker Bärbeißigkeit, finden Wege in den Rundfunk, in den Film, ins Fernsehen. Verdutzt-überforderter Biedermann, plustrig-rachsüchtiger Buchhalter Willy Winzig, trottlig erziehungsbeflissener Familienvater, und auch im Vers ein betulicher Ordnungs-Hüter. Der freilich einen präzisen Fühler hat für genau den Punkt, da just diese hurtige Folgsamkeit umschlägt in Sprengkraft und Chaos. Er wird Deutschlands erster Schelm, mit klarer Philosophie:

Ich wälze nicht schwere Probleme
und spreche nicht über die Zeit.
Ich weiß nicht, wohin ich dann käme,
ich weiß nur, ich käme nicht weit.

Erhardt ist der Morgenstern am Adenauer-Himmel; die Figuren, die er in Buch und auf Bühnen gab, waren Nachfahren des Diederich Hessling aus Kaisers Zeiten – der nun wichtigkeitshybrid durchs Wirtschaftswunderland hechelt und hippelt.
Erhardts Vers siedelt weit ab vom geölten Gram jener Schreibstuben-Radikalauer, die Bosheit (also das, was sie dafür halten) abrufen wie einen vor Urzeiten gelernten Text. Nie hat er missachtet, dass das sogenannte Allgemeinmenschliche stets das sehr konkret Menschliche ist.

Voller Sanftmut sind die Mienen
und voll Güte ist die Seele,
sie sind stets bereit zu dienen,
deshalb nennt man sie Kamele.

1979 stirbt Erhardt, Jahre zuvor hatte er einen Schlaganfall erlitten. Ein wahrer Schlag: Ausgerechnet ihn strafte das Schicksal mit achtjähriger, unabänderlicher Sprach- und Schreibunfähigkeit. Traum und Tatsächlichkeit, Werden und Vergehen, Spiel und Schauder in zwei Verszeilen:

Schön ist der Herbst, solange noch Mai ist,
schön ist der Leutnant, solang er aus Blei ist.

Hans-Dieter Schütt, neues deutschland, 17.2.2015

 

DIE MADE

Auf einem Stein von Jade
sonnt sich nach dem Bade
die Made. Und da gerade
frißt sie ein Spatz. „Wie schade“,
denkt ihre Freundin die Zikade –
„ich hoffe nur, sie schmeckt ihm fade!“

aaaaaaaParallele zu Heinz Erhardt

Christoph Kuhn

 

Fakten und Vermutungen zum Poesiealbum + wiederentdeckt +
Interview
50 Jahre 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6

 

 

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Heinz Erhardt liest „Warum die Zitronen sauer wurden“.

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