Hergestellt in DDR

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch Hergestellt in DDR

Hergestellt in DDR

NICHT WIR WERDEN DAS GEDICHT VERLASSEN,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaadas Gedicht verläßt uns.
aaaEs wird abtreten wie ein Hutmacher, klein und gebeugt, in einen karierten Anzug gesteckt, mit verschatteten Augen, mit verhuschtem Gesicht.
aaaUnd es wird sich davonmachen als Hufschmied, sein Lederschurz wird noch warm sein von den Eisen, der Glut, und es wird mit sich nehmen den Geruch nach verbranntem Huf.
aaaFliehen wird es uns als Hausierer, den man des Hauses verwies. Seine Taschen nach außen gestülpt, sein Bart nicht geschnitten, sein Mantel geflickt.

aaaDenn nicht wir werden das Gedicht verlassen, das Gedicht verläßt uns.
aaaAufbrechen wird es als Pechsieder, die Hände schwarz, die Leinhosen fleckig, seine Schirmmütze tief in der Stirn, den Schürhaken geschultert und die Fackel im Gurt.
aaaUnd verschwinden wird es in Gestalt eines Lohgerbers, eines Korbmachers, eines Böttchers, eines Seifensieders, eines Pedells.
aaaEs wird abfahren als Postillion auf dem Kutschbock, in der Linken die Zügel, in der Rechten das Horn, und als Straßenbahnschaffner auf dem offnen Perron.

aaaNein, nicht wir sind es, die das Gedicht verlassen, das Gedicht verläßt uns.
aaaFortgehen wird es wie eine Magd, die Kiepe vom Markt her noch auf dem Rücken, die Wangen gerötet, und das Kopftuch wird straff, so wie immer, im Nacken verknotet sein.
aaaUnd entweichen wird es als Spinnerin, deren blutige Finger die Spule nicht lassen, frisch gestärkt ihre weiße Schürze, und die Lippen gerundet zu einem „Lobet den Herrn“.
aaaEs wird sich zurückziehen als Amme mit milchschweren Brüsten, als Klöpplerin wird es ziehen, als Hexe, als Kräuterfrau. 

aaaUnd es wird uns verlassen, das Gedicht, wie die Arbeit, die niemand mehr braucht, wie Berufe, die keiner mehr ausübt.
aaaVerduften wird es wie vor ihm schon Kesselflicker und Lebküchler, wie Laternenanzünder und Flößer.
aaaWie die Wachszieher, wie die Wollschläger, wie die Lumpensammler, wie die Bader und Glockengießer.
aaaUnd entkommen wird es so unerkannt wie der Fährmann, der Nachtwächter, wie der Türmer, der Besenbinder und wie der Barbier.
aaaWeil nicht wir uns aus dem Gedicht herauslösen können, entfernt es sich nun aus uns.
aaaAlso nennen wir es beim Namen: Es wird abhauen, türmen, das Weite suchen, sich verkrümeln, sich trollen, sich abseilen, sich verpissen.
aaaEs wird Fersengeld geben wie der Scharfrichter, wie der Mundschenk, wie der Pfeifer, der Pfriemer und der Alchimist.
aaaAus dem Staub machen wird es sich als Privatier und als Gürtler, als Notenstecher, als Küster, als Abdecker und als Deichgraf.

aaaEs wird abdanken, das Gedicht, aus der Zeit emigrieren, in ein fernes Gehämmer wird es sich flüchten, in ein altes von Gipsmasken, Harnischen, Holzrädern, Windmühlenflügeln, Dampfbügeleisen vollgestopftes Abaddon.
aaaUnd es wird nicht einmal die Erinnerung an sich mitschleppen wollen, keinen Kofferträger, keinen Eseltreiber, keinen Dienstmann wird es darum bemühen, denn Erinnerung ans Gedicht ist nur Datenstaub, der nach eineinhalb Generationen verblaßt…

Thomas Böhme

 

 

 

Die Gedichte dieses Buches

erzählen noch einmal die Geschichte der DDR, die nicht erst beginnt mit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1949 und die ebenso wenig endet mit dem Fall der Mauer im Jahr 1989 oder der Deutschen Einheit im Jahr darauf.
Man kann der DDR wirklich vieles vorwerfen, nur eines ganz sicher nicht: daß sie keine Dichter hervorgebracht habe. 

Claire Wulff Verlag, Klappentext, 2011

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