Jan Borostowski-Trautmann: Zu Heinz Czechowskis Gedicht „Elgersburg“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Heinz Czechowskis Gedicht „Elgersburg“ aus Heinz Czechowski: Schafe und Sterne. 

 

 

 

 

HEINZ CZECHOWSKI

Elgersburg
Für Erich Arendt

Berghänge,
Straßen mit Spiegeln
An Kreuzungen:
Weiterungen des Glücks.

Jakob van Hoddis
Fand hier kein Grab,
Aber Vergessen vielleicht
In der Zinkschen Kur- und Badeanstalt.

Vergessen nicht.

Nicht einmal das
Vergaßen sie ihm: daß dem Bürger
Vom spitzen Kopfe
Der Hut fiel,
Wie ers gesagt hatte.

Aber das Wasser
Des Brunnens vorm Pfarrhaus,
Aus dem schon Goethe
Getrunken haben soll? –
Vielleicht,
Daß diesem der Hut
Vom Kopf fiel, als er sich bückte,
Zu trinken?

 

„Ich habe am Wannsee Rosen gepflückt,

und weiß nicht, wem ich sie schenken soll“

Welch tiefe Melancholie, eingeschrieben in diese wenigen Worte. Sie stammen von Hans Davidsohn, besser bekannt als Jakob van Hoddis, der 1911 mit seinem Gedicht „Weltende“ eines der ersten großen Lichter des anbrechenden Expressionismus entzündete. Ob er zu dieser Zeit bereits an Schizophrenie leidend war, ist umstritten. Spätestens 1914 jedoch hatte die Krankheit den aufstrebenden Lyriker vollends in ihrem Griff. Aufenthalte in Heil- und Pflegeanstalten waren die Folge.
Und hier kommt Elgersburg ins Spiel. Ein kleiner Ort am nördlichen Rand des Thüringer Waldes. Edvard Munch hatte dort einige Zeit gelebt. Und auch Goethe besuchte das Idyll, war eingekehrt bei den Arnoldis, einer wohlangesehnen Porzellanmacherfamilie. Bei ihnen feierte er seinen letzten Geburtstag. Von den Kaltwasserheilanstalten, den ersten Deutschlands, konnte der stets um seine Gesundheit bemühte Goethe nicht mehr profitieren, eröffneten diese doch erst 1837.
Das Kuren mit bitterkalten Güssen praktizierte auch Dr. Moritz Bruhn, seines Zeichens Psychologe und van Hoddis’ Arzt während dessen Aufenthalt in Elgersburg. Getreu der damals gängigen Lehrmeinung, dass dem Wahn mit eiskalten Bädern beizukommen sein müsste, wird man den geistzerrissenen Poeten wahrscheinlich des Öfteren in der Zink’schen Kur- und Badeanstalt angetroffen haben. Aber das sind Mutmaßungen. Es liegt bis heute völlig im Dunkeln, wann van Hoddis in Elgersburg war. Von allem, was davor und danach geschah, weiß man mehr.
Dem Juden van Hoddis haben die Nationalsozialisten ein Grab in den Lüften von Sobibor geschaufelt. Vielleicht deshalb das Czechowski-Rätsel Elgersburg. Damit wir unaufhörlich weiter suchen in all den Leerstellen. Und nicht vergessen, dass sie sich einst vergaßen.

Jan Borostowski-Trautmannaus Jens Kirsten und Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Thüringer Anthologie. Weimarer Verlagsgesellschaft, 2018

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