Konrad Bayer: Poesiealbum 267

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Konrad Bayer: Poesiealbum 267

Bayer/Hundertwasser-Poesiealbum 267

KURZE BESCHREIBUNG DER WELT

es gibt aalen
es gibt aale
es gibt aas
es gibt ab
es gibt abarten
es gibt abbalgen
es gibt abbau
es gibt abbeissen
es gibt abbilder
es gibt abblasen
es gibt abblühen
es gibt abbruch
es gibt abdecker
es gibt abende
es gibt abendzeitungen
es gibt aber
es gibt aberglauben
es gibt abermals
es gibt abfall
es gibt abfluss
u.s.w.
bis zuzeln, das es natürlich auch gibt

 

 

 

er

hatte zutiefst den traum einer „idealen“ welt (sonnenstaat), da sie aber nicht zu verwirklichen ist, rief er ihre vermeintliche antithese aus. doch in der negation blieb er fixiert an das negierte, sonst hätte er sich nicht so heftig geäußert. … seine skepsis quälte ihn, und sie steigerte sich. aber es gibt nicht die schönheit, die reinheit, den sinn, daher auch nicht ihre negation. es gibt nichts absolutes, wert ist eine menschliche, das heißt soziale kategorie, relativ, gesetzt (vereinbart) und daher stets neu zu setzen, zu vereinbaren. … er experimentierte, auch mit sich, mit seinem körper. seine wünsche waren grenzenlos, er wollte fliegen, sich unsichtbar machen, er wollte alles können. doch was ist das: ich?

Gerhard Rühm, Klappentext, 1989

Bissig-böse Zeilen,

schwarzer Humor und naives Schauen, Wortfetzen, Sinnfetzen, Disharmonien aus zerschlagenen Wohlklängen, Unterschlupf in zerplatzenden Worthülsen, Dialoge, Monologe, wer ist wer was ist was – Konrad Bayers Texte destruieren Realität und liefern Protokolle einer poetischen Bewußtseinstätigkeit. Bayer, Artmann und andere fanden in der Wiener Gruppe zusammen; sie opponierten mit ihren Seh- und Hörtexten, mit Laut- und Dialektdichtungen, mit Spielformen der Poesie aus Barock bis Dada gegen verfestigte Strukturen und bequemen Kunstkonsum. Indem sie nicht mehr Entwürfe, sondern Freiräume setzten, kam es zu einem neuen Wirklichkeitsverhältnis, das aus der Poesie der Moderne nicht mehr wegzudenken ist.

Verlag Neues Leben, Ankündigung

 

Protest ohne protestieren

– Zur Widersetzlichkeit von Konrad Bayers Literatur. –

glaubst i bin bleed, das i waas, wiri haas?
Konrad Bayer

Keinen der Texte Konrad Bayers kann ich in einem ausreichenden Maß distanzieren; das heißt: ich kann diese Texte nicht wirklich interpretieren. Ich versuche nicht, diesen Mangel in eine besondere Nähe zu Bayers Literatur umzumünzen, was ja unterstellen würde, diese Literatur käme mir ihrerseits aus deren eigener Kraft und in ihrem eigenen Interesse entgegen, wäre mir in besonderer Weise zugetan und ich besäße ihr gegenüber eine Unmittelbarkeit, auf die ich nur zu pochen brauchte.
„Texte nicht wirklich interpretieren zu können“, das ist dann ja auch die Pose, mit der man sich gewöhnlich den Ruf verschaffen möchte, nur die Sache selbst, ganz so wie sie für sich selber spricht, und nichts, gar nichts von sich zur Sprache zu bringen. Es ist eine Erfolg versprechende Pose, zumal Literatur sich doch selten wirklich interpretieren läßt, und jeder diesbezügliche Versuch das Risiko eingeht, sich vor dem Werk zu blamieren, worauf ein speziell dafür eingestimmtes Publikum stets lauert.
So wie der Kulturbetrieb ausschließlich aus Leuten besteht, die nicht dazugehören, so gibt es auch Interpreten, die unter dem Vorwand, keine zu sein, ihre Interpretationen vorbringen. Die Abneigung des Hermeneuten gegen seinen Status ist genau so gut wie jede andere Distanzierung von der eigenen Identität, zu der das gesellschaftliche Leben einen rät: Man will nicht sein, was man ist, und weiß selbst am besten, warum. Oder: Man will sein, was man ist, zugleich aber will man auch sein eigenes Gegenteil sein, das Andere seiner Selbst, um unangreifbar von allem gleichzeitig zu naschen.
Gewiß gibt es eine institutionalisierte Eitelkeit der Interpreten, die, wenn sie schon nicht selbst Schöpfer sein können, zumindest in der Rezeption die Avantgarde sein möchten. Aber diese Eitelkeit ist nicht schlimmer als die des demonstrativen Verzichts auf Interpretation, der seine Wirkung zumindest ebenso parasitär aus dem Werk bezieht, hinter dem der Nicht-Interpret sich versteckt, so tuend, als spräche dieses zugleich und unmittelbar auch für ihn.
Nun scheint es, als würde unsere Art von Diskursgemeinschaft, wenn überhaupt, ihre literarischen Texte hauptsächlich in den Extremen elaborierter Interpretation einerseits und deklarierter Unmittelbarkeit anderseits sich aneignen. Einer elaborierten Interpretation setzen Bayers Texte einen nicht unerheblichen, wahrscheinlich kalkulierten Widerstand entgegen. Sie sind durchaus auf eine traditionelle Weise kompliziert, nämlich darin, daß sie an mehr oder minder integriertem Bildungsgut viel von dem enthalten, was eine Interpretation gewöhnlich herausholt und stolz ausbreitet. Andererseits aber sind Bayers Texte nicht zuletzt im spöttischen Umgang mit Schamanismus, Sprachphilosophie und dgl. entstanden, sodaß der Ernst elaborierter Interpretation den anarchischen Witz Bayers geradezu höhnisch gegen sich hat, den Witz, der sich noch einmal gegen Wissenschaft, die ihn ihrerseits nun interpretierend einholen möchte, gelungen zur Wehr setzt. „argumentationen“, schreibt Rühm über Bayer, „wies er schon zurück, weil es argumentationen waren“.
In diesem Sinn glaube ich, daß Bayers Texte gleichsam aus einer politischen Absicht in einem größeren Maß dem Zugriff von Interpreten sich entziehen als andere Literatur, die – und sei es auf ästhetisch ähnlichem Niveau – sich nicht derart widersetzt. Wem aber sollte in der bürgerlichen Lebenswelt mit ihren Aneignungs-, Verwertungs- und Enteignungsmechanismen die Politik eines gebildeten Autors nicht zunächst gelten, wenn nicht seinen Interpreten!?
Das stört aber keinesfalls das Vergnügen an den Texten. Deren ästhetische Faszination steht, wenn der Machtspruch gestattet ist, unter ernsthaften Menschen außer Streit. Vielleicht aber kommt ihre Faszination sogar von Bayers literaturpolitischer Anstrengung her, nur einen und zwar diesen Diskurs als literarischen zuzulassen, der in den Augenblicken des Schreibens und, schon weniger wahrscheinlich, in den besten Momenten des Lesens sich aktualisiert. Alles, worauf diese Texte verweisen, ohne es selber zu sein, versuchen sie zugleich als ein Sekundäres, so scheint mir, zu denunzieren; sie stehen in Konkurrenz zu allem und jedem, aber auf eine indirekte, nicht protestierende Weise. Diese Texte, die so sehr für sich selber sprechen, daß sie nichts enthalten als das ihnen Notwendige und absolut Zugehörige, können keinesfalls auch noch erbauliche Vorbilder des Geltenlassens sein. Sie sind radikal und in ihrer Radikalität tyrannisch.
Ich bin also nicht in der Lage, die Tyrannei ihrer Wirkung zu distanzieren. Ich habe dies als Mangel zugegeben, habe aber auch zu erklären versucht, daß dieser Mangel nicht unbedingt eine Schande ist. Der Vorteil, den mir dieses Geständnis gegenüber denen bringt, die nichts Dergleichen zugeben, ist nichtig, zumal diese ja auch die gelungenen Seiten ihrer Interpretation für sich ins Treffen führen können. Weil aber für mich die Widersetzlichkeit der Texte von dem Augenblick an der Eindruck blieb, da ich versuchte, mich vom Leser zum Interpreten fortzudenken, war das Thema meiner Reaktion, die im folgenden die Rolle des Interpretierens übernimmt, gefunden: die emotionellen und intellektuellen Kräftefelder, die zu Bayers Texten gehören (auch wenn sie von diesen distanziert werden), und in denen gegen die Integrationsversuche sanktionierter Diskurse die Desintegrationsleistungen des Werkes stattfinden.
Ich beginne mit einem vergangenen Ereignis, dem Konrad-Bayer-Symposion, welches, eingeleitet von einer ordentlichen Pressekonferenz des Kulturstadtrates und dokumentiert durch diese Aufsatzsammlung hier, nun für immer zu Bayers Literatur gehören wird. Daß also ein institutioneller, politisch abgesicherter und gesellschaftlich anerkannter Bereich existiert, in dem einige Menschen – bezahlt – vor einem freiwillig gekommenen Publikum ihre Gedanken über Konrad Bayer vortragen, das ist ein Schritt, ein Fortschritt in der Auseinandersetzung um die kulturelle Legitimität, also darum, was in einer kulturellen Umwelt als legitime und repräsentative Literatur akzeptiert wird. Wenn sich dahinter auch etwas vom tragischen Alterungsprozeß der Moderne ankündigen mag, vom Prozeß der Zähmung der Anarchie, so hat sich immerhin ein Werk gewordenes Stück Spott soweit durchgesetzt, daß die Welt, gegen die er gerichtet war, nun Vorsorge trifft für seine Verbreitung. Jedoch aus Wiens Kaffeehäusern, diesen vorgeblich angestammten Orten unserer authentischen, weil fast noch literarischen Öffentlichkeit, teilt sich das Gefühl mit, daß alle nachdenklichen Bemühungen in Symposien und dgl. besonders von Freunden Bayers, von solchen, die ihn kannten, mit Mißtrauen betrachtet werden. Diese Kenner versuchen einer Kommunikation über Bayer so die Fallen zu stellen, daß jedes Wort, das über ihn gesagt wird, erscheint, als wäre es nur als falsches möglich. In ihren Argumentationen lenken die Kenner den Diskurs auf Bahnen, die nur in den Irrtum zu führen vermögen. Sie nehmen so die Widersetzlichkeit der Literatur Bayers aus einer außerliterarischen, biografischen Perspektive in Anspruch. Die Kenner haben ein Bild von der Authentizität Bayers, das nicht unbedingt ein authentisches Bild sein muß, das aber zumindest nicht aus Überlieferungen und Interpretationen, sondern aus dem sogenannten Stück gemeinsamen Lebens herstammt.
Dieses Leben befand sich in einer eigentümlichen Entsprechung zu jener politischen und wirtschaftlichen Drucksituation, die nicht nur die fünfziger und sechziger Jahre definiert, sondern die überhaupt eine österreichische Tradition schlechthin ausmacht. Der hier herrschende Geist, der bislang der Geist der meisten hier Herrschenden geblieben ist, ist eines dieser von Karl Kraus abgeschlossenen und unerschöpflichen, da sich ständig aktualisierenden Themen. Bereits im dritten der Artikel, die Karl Kraus jemals veröffentlicht hat und der an einem Augusttag des Jahres 1892 in der Zeitschrift Die Gesellschaft erschien, steht darüber endgültig zu lesen:

Es ist ein jedweder neuen frischen Strömung entgegenarbeitender Geist, so fest und starr und doch nicht greifbar, überall von brutaler Verstocktheit und brutalem Unverstand, lähmend und tötend.

Protestierende Feststellungen dieser Art haben längst schon eine kleine Industrie eröffnet, und sie klingen in bezug auf unser Land bereits wie etwa der Habsburgermythos, von dem bekanntlich eher eine Art von bestimmten Germanisten befallen ist als die Literatur, die man damit zu disziplinieren versucht. Sosehr aber auch der Protest eine Phrase geworden ist, so sehr treffen die Motive, die ihn auslösen, auch zu. Jedenfalls hat Verstocktheit, brutaler Unverstand in den fünfziger und sechziger Jahren eine militante Gegenkultur hervorgebracht, die sich – in ihrer Militanz – durch den jedweder frischen Strömung entgegenarbeitenden Geist stets bestätigt fühlen durfte.
Diese Gruppen der Gegenkultur pflegen einen Stil der artifiziellen Nichtangepaßtheit. Es ist nicht zuletzt der Druck eines Kollektivs, einer Allgemeinheit, die manchen Einzelnen das Problem ihrer einzelnen Individualität klarmacht. Der Individualanarchismus, ein Wort, das teils zurecht, teils zu unrecht zum Schimpfwort in der Studentenbewegung geworden ist (zuunrecht vor allem deshalb, weil die Studenten mit dem Wort auch ihren eigenen individualistischen Voluntarismus bannen wollten) entsteht immer auch unter Mitwirkung des Staates, der sich der Entfaltung seiner begabten Individuen entgegenstemmt. Solche Individuen werden von Staats wegen und durch die Gesellschaft sensibilisiert für Macht und Gewalt, weil sie doch von ihnen permanent in einer gewaltigen, für sie unverdienten und lebenshemmenden Ohnmacht gehalten werden. Die ästhetische, dramaturgische Funktion des Schlagens als einem Bildungs- und Erziehungsmittel in Ossi Wieners Stück ein fest für purim führt, unaufführbar nur für die Bühne, vor, wo die lächerliche Zivilisation, diese Ansammlung austauschbarer Namen tragender Idioten in ihrem Zentrum zu treffen ist, nämlich: im Gewaltmonopol des Staates, das wieder zurückkehren soll in die Hände der zur Gewalt wirklich begabten Individuen. Die Kunst, sagt Norbert Elias, ist die letzte Enklave der politisch Besiegten.
Den militanten Gruppen der Gegenkultur ist, im Unterschied zu ihren pazifistischen Gegenbildern, Herrschaft ein konstitutives Element. Im Unterschied zur konservativen Routinekultur, die kontrolliert, daß alles gleichbleibt, ist das Innovatorische jenes Kriterium, an dem in der künstlerischen Gegenkultur die Individuen einander messen. Über die denkerische, künstlerische, innovatorische Leistung pendelt sich in der Gruppe eine Hierarchie, eine Herrschaftsstruktur ein, die, wie jede andere auch, produktiv und zerstörerisch zugleich ist. Das darauf bezogene Paradigma für die fünfziger Jahre hat viel später Wolfgang Bauer geschrieben, der in seinem Stück Change an eine sogenannte wahre Begebenheit anknüpft, an den Versuch von Individuen nämlich, ein anderes Individuum aufzubauen und wieder abzubauen, es zu machen und es als Gemachtes zu zerstören, eine Tätigkeit, die befremdlich nur wirkt, wenn einzelne sie ausüben, während es unauffällig und ungreifbar im Namen der Allgemeinheit fortdauernd geschieht.
Aus diesen Zusammenhängen mache ich es mir klar, daß es unmöglich, wenngleich zu befürchten ist, Konrad Bayer im Sinne des alten Dichterbildes zu etablieren, als Dichter eben, der aber auf einem höheren, der Gegenwart entsprechenden technischen Niveau dichtete. Die Modernität Bayers hat, so scheint mir, mit den Lebensformen zu tun, an die seine spezifische Art von Kunst vielleicht sogar gebunden ist.
Mit dem Hinweis auf Lebensformen will ich nicht auf einen Biografismus hinaus, da ja Biografie, wie im übrigen auch, was man noch sehen wird, Werk nicht viel mehr sind als Schematismen, mit deren Hilfe man so tun kann, als verständigte man sich über einen Dichter. Mit dem Hinweis auf Lebensformen, die hier weniger Biografisches als vielmehr Organisationsweisen literarischer Öffentlichkeit meinen, suche ich ein Bezugsfeld, in dem es nicht mehr gestattet ist, die Tätigkeit des Dichtens zu einer Art gutbürgerlicher, dynamisch moderner Profession erstarren zu lassen: Der Dichter als Fachmann für Literatur, für Sprache, ganz gedacht im Sinne jenes Expertenwahns, dem sich eine Welt aus Sachzwängen fügt, in die sie auch noch das spontane, die Kunst konstituierende Moment einfangen möchten.
Das aus einem Konglomerat aus Irrationalität und Rationalität, aus Aggression, Depression, Wissenschaft und anderem zusammengesetzte Bewußtsein der Wiener avantgardistischen Künstlerschaft und ihres Gefolges schließt es, so scheint mir, der ich ihr nicht angehöre, nicht aus, daß sich mit dieser Rationalisierung Bayers zu einem geschäftsführenden Dichter der Gegenwart eine Art Konrad-Bayer-Legende verknüpfen läßt, die sich auf die Authentzität des Erlebens und auf den isolierten Status der Gruppe berufen könnte. Ich lege mir das so zurecht: Wenn sich in einer Kultur das Kulturelle als ein Sonderbereich abhebt, wenn im Kulturellen die Kultur eine für viele verbindliche Selbstverständlichkeit nicht mehr bewahren kann, dann müssen die Gruppen, die produktiv am Bestand des Kulturellen beteiligt sind, Formen ihres Zusammenhalts entwickeln, der ihnen geistiges und materielles Überleben sichert. Daraus ist, so scheint es, überhaupt unsere Art von Kultur entstanden, von der Nietzsche sagt, um ihre Schwäche zu charakterisieren, daß sie auf Verachtung beruht. Der Verachtung nach außen entspricht die Begeisterung für die der Gruppe inhärenten Werte, und dieses ganze differenzierte erregbare in sich abgestufte System von Begeisterung und Verachtung schafft sich, siehe die fünfziger Jahre in Wien, eine Lebensmöglichkeit, eine Umwelt, die es, was Wien betrifft, heute nur mehr in Bruchstücken gibt. Die Legenden aller Art stellen in einem ganz traditionellen Sinn Traditionen her, sie sorgen für eine Kontinuität, und sie fassen die Bruchstücke zusammen, daß sie erscheinen können, als wären sie noch ein Ganzes.
In der Literatur haben Achleitner, Bayer, Rühm und Wiener eine totale Kompromißlosigkeit gegenüber den Anforderungen, den Geschmacksbildungen von Staat und Markt bewahrt. Auf seine Weise schlägt der Markt zurück, und zwar indem er versucht, nun seinerseits diese Literatur zu definieren. Den Vertretern der Kulturwaren ist es nicht möglich, diese Literatur total zu übersehen; ihr gegenüber können sie heute nicht kompromißlos sein, denn diese Literatur hat schon realisiert, womit die andere, die Literatur anderer, die die Literaturkaufleute vertreten, doch bloß handelt: eben jene Kompromißlosigkeit im Künstlerischen, die – abgesehen von der beständigen Trivialliteratur und abgesehen von der in ihren Geständnissen stets verdächtigen politischen Literatur – alle anderen Literaturen zumindest zum Zweck der Reklame für sich beanspruchen. Der Markt definiert die kompromißlose Literatur, weil er, der Markt, das Verbreitete, das Exoterische ist, als eine Literatur, die nicht verbreitet, also esoterisch, elitär, da ja nicht marktgängig ist. Diese Definition durch den Markt ist tautologisch, aber sie hat zum Inhalt die Norm, daß das Esoterische nicht zuletzt durch die Definitionsmacht derer esoterisch ist, die sagen und auch durchsetzen, was das Nicht-Esoterische, das Verbreitete zu sein hat. Es scheint aber, und ließe sich anhand unserer öffentlichen Räsonnements leicht nachweisen, daß in den verschiedensten Bereichen gerade das Esoterische, das wenig Zugängliche in einem höheren Ausmaß alle anginge als das, mit dem alle sich so beschäftigt zeigen und beschäftigt zeigen sollen. Freilich, da es sich hier um eine Frage der Macht und nicht bloß um eine Frage der Denkmöglichkeiten handelt, bliebe dieser Nachweis, daß das Esoterische das wahrhaft Denkwürdige wäre, selber esoterisch, und könnte als Nachweis nie die Macht transzendieren, gegen die er geführt wird.
Es ist klar, daß die Widersetzlichkeit einer Literatur sich vor allem auf die übermächtigen öffentlichen Diskurse beziehen muß, gegen die die Literaten im allgemeinen eine nervenzerrüttende Gefügigkeit an den Tag legen. Diese Widersetzlichkeit ist auch nicht immer das gewissermaßen moralische Ideal künstlerischer Produktion gewesen, sondern es ist so, wie Bourdieu sagt, daß erst „ein relativ autonom gewordenes kulturelles Feld die historische Erscheinung des autonomen Intellektuellen möglich macht, einen Typus, der keinen anderen Zwang als die konstitutiven Anforderungen seiner geistigen Konzeption anerkennt und anerkennen will… In dem Maße, wie das intellektuelle Feld an Autonomie gewinnt, beansprucht der Künstler immer entschiedener Autonomie auch für sich und proklamiert dem Publikum gegenüber seine Gleichgültigkeit.“
Dieser Prozeß der Autonomisierung, so scheint mir, für den es freilich schon in früheren Epochen Zeugen gab – Belege für eine aristokratische Verachtung des schlechten Publikumsgeschmacks gibt es seit jeher –, dieser Prozeß der Autonomisierung wird seit der Romantik, im 19. Jahrhundert, konstitutiv für die künstlerische Betätigung überhaupt, und er ist es geblieben, sieht man ab von den Versuchen, diese Autonomie direkt, durch politische Praxis, aufzuheben, so durch den Typus des operativen Schriftstellers, wie ihn Tretjakov lehrte, und wie ihn für unseren Sprachraum Wallraff ein wenig verkörpert.
Die überkommene Form der demonstrierten Widersetzlichkeit, welche erst so richtig auf dem Boden des autonomen intellektuellen Feldes möglich geworden ist, ist der Protest. Ich halte den Protest, obgleich ich für ihn, wie man leicht erkennen kann, Sympathien hege, zugleich auch für ein Alibi des Konformismus, wenn schon nicht in der Politik selber, in der die Protestgestik bereits ebenfalls inhaltsleer rotiert, so aber doch in der Literatur, die durch Protest in der Tat nichts auszurichten vermag. Der Protest bezieht sich auf etwas, was unsere Art von Kultur, also die Zivilisation im wesentlichen, ausmacht, nämlich: auf den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, Ideal und Wirklichkeit, Schein und Wesen, oder was an dergleichen Vokabular noch mehr sein mag, welches wiederum durch den Protest in Bewegung gesetzt wird. Nun sind aber die europäischen Ideale so gefaßt, daß sie nicht wirklich erfüllt werden können:
„Es ist die europäische Art des moralischen Idealismus“, sagt Nietzsche, „sich die moralischen Vorstellungen so hoch und so fein anzudichten, daß, wenn der Mensch von ihnen aus auf sein Handeln zurückblickt, er sich gedemütigt fühlt. Diese Art Idealismus verträgt sich vorzüglich mit einem gewinnsüchtigen, rücksichtslosen, ergeizigen Leben. Die Minute der Demut ist die Abschlagszahlung für ein Leben, welches mit jenem Idealismus nichts zu tun hat.“ Deshalb ist der Protest im allgemeinen, besonders aber in der Literatur, nur dazu in der Lage, dem moralischen Masochismus der Mächtigen Nahrung zuzuführen. Die Selbstaufhebung des Protestes, seine eigene Neutralisierung, geschieht in der Protestliteratur dadurch, daß der Identität von Form und Inhalt, als die die Macht, gegen die protestiert wird, auftritt, bloß und allein Inhalte entgegengesetzt werden, und zwar ausschließlich in den von der Macht sanktionierten Formen. Da der Protest diese Formen durch ihre Verwendung stützt, fällt es leicht, über seine Inhalte hinwegzukommen, woraus sich, behält man die Form- und Inhaltssprache bei, ergibt: daß widersetzlich nur eine Literatur sein kann, die in ihrer spezifischen Form-Inhalt-Identität, der Autonomie, nicht nur die Inhalte, sondern auch die Formen angreift, in denen diese Inhalte integriert sind.
Die Widersetzlichkeit von Bayers Literatur müßte sich dort am deutlichsten zeigen, wo die Sprache des Marktes versucht, sie mit gutem Willen und Eifer zu akzeptieren. Und in der Tat: „Konrad Bayers Gesamtwerk – wie soll man anfangen bei etwas, von dem man genau weiß, daß es keine zehn Leute in diesem Land interessiert?“ Dies ist der Beginn einer durchaus unpolemisch gemeinten Rezension im Wiener Kurier.
Der kommerzielle Schriftverkehr, den unsere Zeitungen für Literaturkritik ausgeben, macht eine Fiktion, das Publikum, zum Maß aller, auch der literarischen Dinge. Das Publikum ist von den Medien geschaffen und dient zugleich als deren Legitimationsfigur. Es ist definiert durch die Zahl; das Publikum sind viele, am besten alle. Nicht das Publikum sind daher keine zehn Leute. Die aber interessieren sich. Was jedoch soll man anfangen mit einem Interesse von zehn, einer Qualität, gegen die Quantität des Desinteresses, der Qualität für die Presse, besonders in dem Fall einer Literatur, die dem Journalismus so wenig plausibel ist, daß er sich scheinheilig selbst befragt, was er damit anfangen soll, bevor er damit anfängt, sie ebenso zum Schein dem Publikum plausibel zu machen.
Der kommerzielle Schriftverkehr unterschlägt aber, daß Bayers Literatur eine Literatur gegen die Presse ist. Bayers Literatur hat kein Publikum, man kann sie daher auch keinem Publikum aufschwatzen. Ihre Qualität hat sie darin, daß keine zehn Leute, weil, wie schon gesagt, die Macht im öffentlichen Diskurs das Esoterische mit Exoterischem verkehrt, schon heute viel eher alle Menschen sind, als das Publikum der Medien dies je sein wird. Es ist schwer zu verstehen, aber es ist zumindest klar, daß eine Literatur wie die Protestliteratur, die so nah wie möglich an das Publikum heran will, wirklich nur nahe an den Journalismus kommt, der mit dem Protest, ist er literarisch genug, durchaus paktiert. Am Protest nämlich verfolgt der Journalismus nie das Literarische, sondern, wie bei Wallraff , das Journalistische, den Gegen-Journalismus, der aber nicht die Literatur ist, denn diese hat eine eigene Art, gegen den Journalismus zu sein.
Bayers Text „17. Jänner 1962“ reiht Nachrichten und Meinungen dieses einen Tages so, daß man spürt, es ist an keinem anderen Tag anders. Die Poesie der Montage macht den Ernst der Aktualität lächerlich und setzt sich als bleibender Spott gegen die Banalität des alltäglichen Wichtiggenommenen durch. Der Text thematisiert den journalistischen Diskurs und hält ihn sich so vom Leib. Er zeigt, daß der Formalismus nicht in der Literatur steckt, sondern im Verfahren des Meldens und Meinens, das sich an (allen möglichen) Inhalten festklammert. Indem er das thematisiert, hält er keinesfalls eine andere Meldung und Meinung dem Journalismus entgegen, wetteifert mit ihm nicht auf dem Gebiete der Wahrheiten und des Engagements. Literatur von der Art Bayers begnügt sich damit, etwas anderes als der Journalismus zu sein, und ist deshalb dessen schärfster Gegner.
Journalismus ist bekanntlich nicht bloß, was in Presse und anderen Medien vorkommt; er ist vielmehr ein regulatives Prinzip unseres Lebens. Es gibt ihn in der Erotik genauso wie in der Politik, auf den Universitäten ebenso wie in den Sporthallen. Er ist – in einer Welt, in der die Medien die Funktion des Absoluten säkularisieren – die Synthesis aller theoretischen und praktischen Bewußtseinsakte, nicht mehr Konsens bloß der empirischen Individuen, sondern schon deren metaphysischer Zusammenhalt. Ein Sein außerhalb journalistischer Ordnungsmacht ist daher ein Sein, welches selber die Ordnung verletzen muß, um in ihr zu existieren. Es ist klar, daß die Sprache, wenngleich voneinander untrennbar und fast nicht analysierbar, alle Elemente geschichtlicher Disziplinierungen der Sprechenden enthält; sie ist Ausdruck der Ordnung, die sie als autonome Literatur denunzieren möchte. Bayers Literatur denunziert die Ordnung, die in ihren ästhetischen Widerspiegelungen aus großen repräsentativen Einheiten erbaut erscheinen möchte, schon dadurch, daß sie sich in kleine ineinander übergehende und zugleich auseinanderstrebende Texte auflöst. Selbst die Romane sind kein Ganzes, und es ist nur der Verlag, der ein Gesamtwerk vorlegt.
Die Wächter der (geistigen) Ordnung haben besonders gegen das Kleine ihre Affekte. Es ist kein Zufall, daß Reich-Ranicki beim unseligen Bachmann-Preis zu Falks Text, kaum seiner ansichtig geworden, sofort böse ausruft: „Warum ist das klein geschrieben?“
Es sind die Großbuchstaben, die der Wächter schmerzlich vermißt, weil aus ihnen die großen Gebäude der Literatur zu errichten sind, in welchem dem Feuilleton Unterschlupf, in manchen Fällen jedoch sogar das Hausherrenrecht eingeräumt wird.
Die autoritäre Reaktion des Wächters ist in unserer Kultur immer väterlich. Es ist, psychologisch-metaphorisch gesprochen, der Vater, der zur Ordnung ruft, und es sind die Söhne, die gegen ihn und sie verstoßen. Die Kultur, die bürgerliche, erhält sich gleichsam durch den Dreipersonenhaushalt, indem die Rollen festgelegt werden: Ödipus!
Eine Theorie des Anti-Ödipus wäre wahrscheinlich zugleich auch eine Literatur Bayers. Deleuze/Guattari haben in ihrem Anti-Ödipus gegen Freud eingewandt, daß der Mensch als „Wunschmaschine“ funktioniert, das heißt: über die Partialtriebe, die sich durch Kontakte mit verschiedenen Teilen des Mutterleibes ihre Befriedigung verschaffen. Es sind nach Deleuze/Guattari nur die sozialen Zwänge, die diese Teilfunktionen zu personalen Rollen, Vater, Mutter, Kind zusammengefaßt erscheinen lassen. Diese sozialen Zwänge vereinheitlichen die Wünsche, ordnen und lenken sie, verschaffen den einen Legitimationen, sprechen sie anderen ab, geben ihnen Namen, verdrängen aber in allen Fällen, daß das Wünschen selber ein freies Spiel der Teilchen ist, die, wie Theweleit in seinem Buch über die Männerphantasien sagt, mit anderen Teilchen neue „Produktionseinheiten bilden usf.“
Theweleit ist auch aufgefallen, daß die Montage im Sinne des französischen Surrealismus dem Begriff der maschinellen Wunschproduktion entspricht:

Auch die Montage fragt nicht nach Ganzheiten und Bedeutungen. Sie erfindet neue Funktionen aus schon bekannten Teilchen.

Wahrscheinlich entspricht Bayers Literatur auch dort, wo sie nicht montiert, sondern frei phantasiert, der Wunschmaschine und ihrem Lustprinzip. Die Montage selber erstarrt ja gerne, wie die Epigonen uns zeigen, zum langweiligen Instrument einer Kunstideologie.
Freilich, Bayers Literatur aus der Perspektive des Anti-Ödipus zu interpretieren, hieße sie in ein Begriffsklima zu hüllen, das ihr zunächst noch fremd ist, zumal eine solche Theorie ja auch sehr viel Selbstinterpretation bedarf, bevor sie überhaupt an ihren Gegenstand käme. Natürlich bildet sich um einen so außerordentlichen, weil von allen anderen sich so deutlich unterscheidenden Dichter, ein spezifisches, oft ideosynkratisches Begriffsklima: Die Anhänger, die Freunde möchten ja, was sie wissen, vor ihm, von dem sie begeistert sind, legitimieren, nicht zuletzt dadurch, daß sie es auf ihn anwenden. Man kann sich vorstellen, daß niemand – zum Beispiel – Tretjakov oder Wallraff unter Bezugnahme auf Wittgenstein interpretieren wird. Es läßt sich vielmehr vermuten, daß die Begeisterung für Tretjakov oder Wallraff mit einem oft sogar engagierten Desinteresse für Wittgenstein einhergeht. Durch solche Distanzierungen entstehen diese eigentümlichen, oft undurchdringlichen Geistescliquen, von denen begeisternde Künstler umgeben sind.
Das Begriffsklima aber, das um originäre Leistungen entsteht, ist meistens konservativ; es stellt sich, wie allerdings die Originalität selber, über Ausgrenzungen her, jedoch ohne diesen Mangel durch das Innovatorische der eigenen Rede zu kompensieren und verständlich zu machen. Die sekundäre Rede, die ein Begriffsklima konstituiert, erzeugt, vor allem, wenn sie sich auf das Innovatorische des Beredeten beruft und in dieser Berufung indirekt daran teilhaben möchte, jene Konfektion des Originellen, die die Originalität negiert, weil sie sie in Bereichen, etwa in akademischen, anbietet, in denen sie als solche nie zuhause sein kann.
Die akademische Rede konkurriert nämlich vor allem mit anderen akademischen Reden, gegen die sie sich – akademisch – durchsetzen möchte, durch die sie zugleich aber definiert ist. Die originäre Rede möchte sich in keiner Weise gegen die akademische so durchsetzen, daß sie durch eine akademische Konkurrenz definiert wird. Es gehört zu den Knoten in der Kommunikation mit der radikalen Avantgarde, daß aus jeder nachträglichen Affirmation des Originellen immer nur die Negation der ursprünglichen Originalität herauskommen kann.
Das Begriffsklima, das unter Berufung auf Bayers Originalität diese zudeckt, bildet sich, wenn ich es recht verstehe, vor allem um das Etikett Sprachzweifel. Es ist wahr, daß das unbefragte Funktionieren auch der Sprache im Interesse jener Konstellationen geschieht, hinter denen sich die Herrschaft versteckt, während sie ausgeübt wird. Die öffentlichen Reden haben sich darauf eingespielt, durch Worte ein Sein vorzuspiegeln: Der Politiker, der sagt, er wäre nicht NS-Führungsoffizier, sondern nur NS-Irgend-etwas-Anderes gewesen, tut so, als implizierte der andere Terminus ein anderes Sein. Die Macht der Universalien ist in der Ära der Ausbeutung, auch der Sprache, größer denn je. Wer da sich nicht fügt, ist ausgeschlossen, nur weil er anders spricht.
Dagegen hat die literarische Avantgarde in ihrem Milieu einen radikalen Normalismus etabliert, um ihrerseits, indem sie die bürgerliche Welt der Universalien ausschließt, zu demonstrieren, daß sie nicht gefügig ist. So wie aus Wieners Theorie kann man aus Bayers Texten lernen, wie sehr die (symbolische) Gewalt, mit der der Staat seine allgemeine, die Unverwechselbarkeit von Individuen bekämpfende Macht aufrechterhält, an einen normierten Sprachgebrauch gebunden bleibt, der die Bedeutung der Wörter und den Sinn der Sätze absolut festlegt. Solchen Fixierungen entspricht dann der Erfahrungshorizont des Spießbürgers, der sich durch nichts abbringen läßt und fest bei seiner Meinung bleibt. In der widersetzlichen Erfahrung, die eine politische ist, erscheinen die Wörter als das absolut Zufällige und der Sinn als nicht mehr vermittelbar; es ist schwer möglich, ihn für sich selbst zu beanspruchen, geschweige denn ihn mit anderen zu teilen.
Aus dieser Unteilbarkeit des Sinns, seiner Nicht-Mittelbarkeit vermag die Produktivität einer Literatur zu entstehen, die nun, in allerdings bloß selbstbezogener Freiheit, die Sprache in Poesie verwandelt, d.h. sie von allen Schranken ohnedies nur vermeintlicher Verständigung befreit. Was dann bleibt, ist ein Spiel, entweder selbst beliebig und regungslos, oder ein die Regelhaftigkeit anderer, sich als Spiel bloß verstellender Formen (Chansons) überführendes spielerisches Verfahren. Bei solchen Spielen bestand Bayers Kunst vor allem darin, daß er die Aura des überführten niemals satirisch zerstörte, sondern daß er sie durch seine poetische Perspektive erneuert und so überhaupt erst erhält, bewahrt. Wenn die Modernität durch den Übergang von Kunst in Antikunst definiert ist, so ist Bayer ein besonderer Künstler, weil die Qualität seiner Art überzugehen in der deutschen Literatur bisher noch nirgends sonst zu lesen war.
Anderseits bestärkt die Erfahrung von der Zufälligkeit der Wörter und der Nicht-Mitteilbarkeit des Sinnes auch das gefährliche Gefühl der Einzigkeit der Person, die niemandem und nichts verbunden ist. In sich selbst bloß den Zufall zu sehen und in den anderen auch, verwandelt die Existenz in ein va-banque-Spiel. Der Zynismus des anything goes, in der Methodenlehre gegen das wissenschaftliche Spießertum praktisch und in der Literatur poetisch, ist fürs Leben unheimlich. Das Spiel mit den anderen und das Experiment mit sich ist weniger eine Folge von Sprachphilosophie, auch wenn es darauf Wert legt, in diesem Gewande aufzutreten, sondern resultiert aus einer hier den sensibleren Individuen eingebleuten Lust an der Destruktivität. Es ist gleichsam die Rache der bürgerlichen Welt an ihren künstlerischen Antagonisten, die ja nur politisch besiegt sind und gegen die ein wirklicher und gar nicht herablassender Kampf geführt wird: Die rebellische Produktivität funktioniert zumeist nur über Ideen, die sich selbstzerstörerisch auswirken; ein Mensch kann zwar aus der Erfahrung, von jeder Unmittelbarkeit des Sprechens distanziert zu sein, schön dichten, aber nur schlecht leben. Ich glaube, daß eine Seite von Bayers Werk die künstlerische Repräsentation einer wienerischen Atmosphäre von Zerstörung und Selbstzerstörung ist: Der sprachliche Nominalismus neutralisiert alle Moral, und die Gewalt, wie wir wissen, nicht nur die phantasierte, wird durch die ästhetische Leistung legitimiert. Es gibt ein spezifisch Böses, das seine Wurzeln im Sexuellen hat und für das Bayer ein Medium ist. Der Sadismus der Heimat:

das mädchen heult. er haut ihr eine runter, dass es knallt, und fällt über sie her. beim erguss verzieht er keine miene und steht auch gleich in einem zug auf und verzieht keine miene und geht nicht zu langsam nicht zu schnell und vor allem völlig ausdruckslos zu dem automobil, setzt sich rein, lässt den motor an, nicht zu langsam nicht zu schnell, vor allem ausdruckslos und überfährt sie.
sie kommt wieder zu sich und wimmert. ein fuss ist ihr abgefahren. a geht hin und reisst ihr den fuss ab. das mädchen wimmert. da stopft er ihr den fuss in den rachen. sie kotzt; auch ihren fuss.
ein plötzlicher anfall von raserei überkommt ihn. er tobt, presst ihr noch einmal den blutigen und jetzt angekotzten fuss zwischen die zähne, sehr schnell und heftig, und er presst mit aller kraft, seine augen glänzen, die adern treten ihm aus dem schädel, da presst er der den fuss ins maul, hilft nach mit seinem fuss, tritt rein, dann beugt er sich runter und stösst die gefaustete hand bis an den ellbogen nach, und noch einmal, immer wieder. dann steht er auf, seine augen sind ohne ausdruck, er schmiert das blut achtlos in seinen anzug und springt ihr in den bauch. er nimmt die einfüssige und stopft sie in die maschine. er dreht an der kurbel. ein roter, blutiger knödel fällt raus. a frisst ihn, kauend und kinnladenschiebend.

Der Sprachzweifel, so scheint es, ist mit anderen Ursachen und mit anderen Folgen verknüpft, als das Etikett impliziert. Ich glaube, daß die meisten sekundären Reden, die am originären Zweifel an der Sprache anknüpfen, sprachgeregelte, universalistische Reden mit einer nominalistischen Meinung sind. Es sind Reden, in denen der Universalismus sich für den Nominalismus ausspricht, Reden der Selbst-Erhaltung, die die Selbst-Zerstörung mit ihrem zustimmenden Bedauern preisen. Die gelenkige Rede von der Kommunikationsunfähigkeit mittels Sprache setzt ein differenziertes Verständigungssystem voraus, von dem der Redner sich satt abwendet. Daß ein Individuum als solches sich nicht mit-teilen kann, ist als programmatischer Satz banal. Wenn ich mich mitteile, will ich mich nicht behalten und – selbstverständlich – kann ich mich nicht mitteilen, will ich mich behalten. Daraus gibt es keinen Ausweg und es gibt wirklich keine Möglichkeit, mich mitzuteilen. Aber muß man wirklich sich mitteilen?
Das Begriffsklima absorbiert das Widersetzliche der Originalität. Die rebellische Verweigerung, am allgemeinen Sinn teilzuhaben, bleibt jeder sekundären Rede verschlossen. Manchmal verfälscht diese auch den originären Sinn, so wie im Fall des Sprachzweifels, der in den sekundären Fassungen aus der Perspektive einer nicht erfüllbaren Kommunikationsutopie jede Unmittelbarkeit der Sprechens theoretisiert: Vor aller realen, individuellen Kommunikation ist schon ein allgemeiner Begriff davon entworfen, wie Kommunikation ideal zu funktionieren habe. Das mit der utopischen Voraussetzung schon akzeptierte Scheitern dramatisiert das Reden und versieht die Verständigung mit den melancholischen Reizen des Versagens. Der Tendenz nach trennen diese Theorien die Menschen von ihrer Möglichkeit, Sprache spontan, also außerhalb der kultivierten abendländischen Inszenierung des Zweifels, aus den Zwängen zu befreien, die der Sprachgebrauch ihnen auferlegt. Der nominalistische Protest läßt sich nicht nach-formulieren, nicht in den Stand einer Moral erheben. Er ist elitär in dem Sinn, als er sich ausschließlich mit ebenfalls einzigen, innovatorischen Leistungen verständigt. In dieser Ausschließlichkeit vermag man die Stärke auch der Texte Bayers zu sehen, eine Stärke, mit der ein Autor sein Werk den routinierten Zugriffen entzieht, und es den Lesern ermöglicht, ja sie dazu zwingt, es in den innovatorischen, die Spontaneität bestärkenden Momenten der Lektüre zu verstehen.

Franz Schuh aus Gerhard Rühm (Hrsg.): konrad bayer symposium wie 1979, edition neue texte, 1981

Von Konrad Bayer

Bald nach dem Ersten Weltkrieg, obwohl er nichts lieber tat als zeichnen und malen, trat mein Vater in eine Bank ein und blieb Bankbeamter bis zu seiner Pensionierung, und verdarb sich unentwegt jede Aufstiegschance, indem er sich von seinen Vorgesetzten nichts gefallen ließ und ihnen alles ins Gesicht hinein sagte oder brüllte, wovon er daheim oft erzählte. In den fünfziger Jahren tat er Schalterdienst in der CA-Filiale Mariahilferstraße 60 und lernte dort einen jungen Angestellten namens Konrad Bayer kennen, den Sohn eines Skontisten, den er gleichfalls gekannt hatte.
Soweit ich mich an die Erzählungen meines Vaters erinnere, besaß Konrad Bayer alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Laufbahn im Bankgeschäft. Umso größer war das Befremden, als er Ende 1957 seinen Dienst aufkündigte, wovon ihn auch die wohlgemeinten eindringlichen Vorstellungen seiner Vorgesetzten nicht abhalten konnten. Als er einige Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst die Stätte seines früheren Wirkens wieder betrat, hatte sich sein Äußeres derart verändert, daß er kurzerhand aus der Filiale gewiesen wurde, um zu verhindern, daß Bankkunden in ihm den ehemaligen Angestellten erkannten.
Während er noch seinen Dienst versah, hatte Konrad Bayer zu meinem Vater manchmal über meine Gedichte gesprochen, die seit 1952 in Zeitschriften erschienen, und dabei seine eigene poetische Arbeit erwähnt. So kam es, daß mein Vater mich bei einem meiner gelegentlichen kurzen Besuche in der Filiale mit Konrad Bayer bekanntmachte, dessen Lächeln ich nicht zu deuten verstand. Ich begegnete ihm dort noch mehrmals, aber wir kamen nie über den Austausch einiger höflicher Worte hinaus. Meine Scheu, irgendwen zum Zeigen seiner eigenen noch ungedruckten poetischen Erzeugnisse aufzufordern, war damals ebenso groß wie der Widerwille, irgendwem eigenes Ungedrucktes zu zeigen, vor allem wenn dieser selbst schrieb. Nur mit Okopenko gab es, ab 1952, eine Ausnahme, die von der gegenseitigen Anerkennung bereits im Druck erschienener Gedichte herrührte, aber seine Urteile und gelegentlichen Veränderungsvorschläge konnte ich oft nur mühsam verkraften. Gänzlich unerträglich geriet mir das Herzeigen bei dem um einige Jahre älteren und auf seine Erfahrung pochenden Hermann Hakel, der aus mir damals einen Dichter machen wollte, während ich davon überzeugt war, daß jeder nur aus sich selbst einen machen konnte, nicht irgend einer einen aus irgendwem.
Erst mit Friederike Mayröcker fand ich 1954 den Partner für gegenseitiges Zeigen und Kritisieren des Geschriebenen, das nun ohne Scheu und Auflehnung vor sich gehen konnte, weil es auf der Basis einer tiefen Zuneigung erfolgte, die das Poetische mit einschloß, aber darüber hinaus in alle Bereiche des Lebens ging. (Noch heute geschieht es so, wenngleich ich befürchten muß, daß mich meine eigene Beschränktheit nicht selten daran hindert, ihrer Poesie in die Tiefe zu folgen, also mehr daran bewundernd wahrzunehmen als die glänzende Oberfläche; und ich überdies befürchten muß, daß diese meine Beschränktheit zugleich meine eigene Produktion derart einengt, daß ich nicht hoffen kann, ihr, der auf dem Gebiet der Poesie Allwissenden, noch Dinge zu zeigen, geschrieben, die ein Geheimnis, eine Verheißung, an irgend einer Stelle für sie sind. Ähnlich könnte, was ich schreibe, sich Konrad Bayer jetzt darbieten, wenn es nur möglich wäre, denn auch er dürfte allwissend gewesen sein, auf dem Gebiet der Poesie, oder wäre es noch geworden.)
Als 1956, kurze Zeit nach meiner „prosa aus der flüstergalerie“, die im März dieses Jahres entstanden war, ein intensiver Kontakt zu viert einsetzte – Friederike Mayröcker, H.C. Artmann, Gerhard Rühm und ich –, der noch ins Jahr 57 anhielt und dann irgendwann abriß, kannte ich von Konrad Bayers Texten nur ganz wenige – ich erinnere mich, als damals kennengelernt, überhaupt nur an den Titel „triumph“ – und dieses wenige ließ mich ihn ablehnen, während Artmann ihn heftig verteidigte. Friedrich Achleitners Gedichte galten mir damals, ähnlich wie meine damals ihm, als unterhaltsame Kleinkunst, und Oswald Wiener kannte ich als Schachspieler und Jazztrompeter alten Stils. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir vier, Mayröcker, Artmann, Rühm und ich, den inneren Kern jeder progressiven Literatengruppierung in Wien bilden müssen. Spätestens das erste literarische Kabarett der Wiener Gruppe, am 6. Dezember 1958, machte es mir klar, daß ich draußen war, nie drin gewesen, keine Figur in einem gemeinsamen Spiel.
Als ich Konrad Bayer im Herbst 63 bei einer Begegnung im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien den eben bei Limes erschienenen Almanach zwischen-räume, 8 mal gedichte gab, der 13 Gedichte aus meinem Manuskript Laut und Luise enthielt, fragte er mich, „Warum veröffentlichst du eigentlich Gedichte, die so alt sind?“ (sie waren bis zu sieben Jahre alt) und „Warum ist Gerhard Rühm nicht drin?“ Ich erinnere mich an keine Antwort. –
Später, als man mir erzählt hatte, daß Konrad Bayer sich in Deutschland da und dort über meine Gedichte, die nun in allen möglichen kleinen Zeitschriften zu erscheinen begannen, abfällig äußere, fragte ich ihn nach dem Grund. Er sagte, „Ich sage den Leuten nur, daß es keine konkreten Gedichte sind.“ –
Auf der Buchmesse 1964, der ersten, die ich besuchte, sah ich ihn; er wirkte angeschlagen. Ich begrüßte ihn, dann zog er Gerhard Rühm zur Seite, um mit ihm zu sprechen. –
Konrad Balder Schäuffelen war aus München nach Wien gekommen und wollte ihn unbedingt kennenlernen. Ich rief an – ja, wir sollten beide kommen. Konrad Bayer und Schäuffelen wußten eine Menge zu reden. Hannes Schneider, glaube ich, saß dabei. lch war das erste Mal in Konrad Bayers Wohnung. Ich sollte wieder einmal kommen, sagte Konrad Bayer, als wir gingen. –
Einmal traf ich ihn in der Galerie nächst St. Stephan und fragte ihn, wie es ihm gehe. „Nicht besonders“, sagte er, „ich glaube, ich werde mir den Blinddarm nehmen lassen müssen.“ – Einmal grüßte ich ihn in einem griechischen Restaurant in der Augustinerstraße, das es jetzt nicht mehr gibt. Ich war in Begleitung, wahrscheinlich mit Friederike Mayröcker, er mit mehreren jungen Leuten. Möglicherweise gingen sie, während wir kamen, oder wir gingen einfach an ihrem Tisch vorbei, während sie dort saßen. Ist es möglich, daß ich mich an seinen auffallenden Hut erinnere? –
Von seinem Tod erfuhr ich telefonisch. Ich habe vergessen, wer der Anrufer war. –
Karl-Heinz Roth, der Herausgeber der sonde, wollte von mir einen Nachruf. Das machte mir zu schaffen. Schließlich stellte ich eine Collage aus Texten und Textfragmenten von Konrad Bayer zusammen – es war nicht schwierig, solche zu finden, die sich auf den Tod beziehen ließen. Als die Zeitschrift kam, stellte ich an einem Gedicht einen formzerstörenden Fehler fest. Mit Herzklopfen kontrollierte ich die Kopie meines Manuskripts und entdeckte mein Verschulden.

Ernst Jandl, protokolle, Heft 1, 1983

 

Jörg Drews/Klaus Ramm (Gespräch): das ist ja entsetzlich. Verdoppelte Bemühung, sich über Konrad Bayer verständlich zu machen.

Ann Cotten: Statement zu Konrad Bayer

Lydia Mischkulnig: Einstimmer. Über Konrad Bayer

 

FÜR KONRAD BAYER
(eine Erinnerung an ihn)

Deine Sätze waren zugleich
dein Erscheinen.

Die Pelzkappe
mit dem Fuchsschwanz daran
bewachte
das wechselnde Licht
in deinen Augen.

Auf der „hohen Brücke
geschah es,
daß ich dich nicht wiedersah.

Alfred Kolleritsch

 

 

Fakten und Vermutungen zum Poesiealbum + wiederentdeckt +
Interview
50 Jahre 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6

 

 

Zum 50. Todestag des Autors:

Christian Lindner: Die Qual der Sinnlosigkeit
Deutschlandfunk, 10.10.2014

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Porträtgalerie: Keystone-SDA

 

Konrad Bayer mit sehr einfachen Schritten in dem Film SONNE HALT!

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