Christoph Meckels Gedicht „Welcher Witz, sich im Rohstoff zu bewegen.…“

CHRISTOPH MECKEL

Welcher Witz, sich im Rohstoff zu bewegen.
Die Jahre häufen sich, die Zeit stürzt ab
und die Geliebte bringt sich in Sicherheit.
Kälter werdend, an Augen und Brüste gefesselt
überlebt das Herz die Umarmungen und die Pleiten
und sucht sein Opfer auf einem anderen Schauplatz.
Liebe ist ein Wort, Illusion ein andres
und Hoffnung das Grab, in dem wir lebendig sind
für eine Nacht, die Zeit stürzt ab, der Wind
schlägt über uns zusammen, die Weingläser leuchten.

um 1980

aus: Christoph Meckel: Seele des Messers. Carl Hanser Verlag, München 2006

 

Konnotation

Als „sinnreicher Phantast“ gilt der 1935 geborene, in Freiburg aufgewachsene Christoph Meckel. Von Anfang an hat er Grafik und Literatur parallel hergestellt. Seit über 50 Jahren bestreitet er nun die „Luftgeschäfte der Poesie“, veröffentlicht er Prosa, Essays und Gedichte, die überquellen von den Bildern der Welt, der Schönheit des Sommers und des südlichen Lichts, oft märchenhaft-surreale Gebilde, mal gereimt, mal in freien Rhythmen.
Meckels Balladen, Sonette, Oden und Hymnen handeln, mitunter zu Zyklen geordnet, von Leben, Sterben und Tod; auch Krieg und Folter sind anwesend. Ein melancholischer Grundton durchzieht dieses Werk, doch mit den Jahren scheint – so demonstriert es das Gedicht die Verfinsterung zu wachsen; die „Pleiten“ häufen sich, und die Geliebte sucht das Weite. Gleich zweimal heißt es: „die Zeit stürzt ab“. Eine Altersklage auf hohem Niveau, denn noch „leuchten“ die „Weingläser“.

Michael Buselmeier (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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