Gotthold Ephraim Lessings Gedicht „Die Liebe“

GOTTHOLD EPHRAIM LESSING

Die Liebe

Ohne Liebe
Lebe, wer da kann.
Wenn er auch ein Mensch schon bliebe,
Bleibt er doch kein Mann.

Süße Liebe,
Mach’ mein Leben süß!
Stille nie die regen Triebe
Sonder Hindernis.

Schmachten lassen
Sei der Schönen Pflicht!
Nur uns ewig schmachten lassen,
Dieses sei sie nicht.

1746–48

 

Konnotation

Auch große Dichter haben klein angefangen. Just mit „Kleinigkeiten“, gut gelaunten anakreontischen „Liedern“, debütierte etwa der skeptische Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781). Mit seinen lyrischen Petitessen, die er vor allem während seiner Leipziger Studienjahre 1746–1748 verfasste, verfiel Lessing einer damals weit verbreiteten Mode. Seine „Lieder“ über Liebe, Wein und Genuss, so der Dichter, könne ihm nicht mal „der strengste Sittenrichter zur Last legen“.
Mit solchen scherzhaften Tändeleien und leichthändigen Sinnsprüchen gab Lessing der Epoche des Rokoko ihre geistige Physiognomie. Der Wohlklang der Versfügung und der schlichte Reim waren hier primär. Der Bedarf des frühen Bürgertums nach sentimentalen Niedlichkeiten war groß. Lessing hat ihn mit seiner Mär von der „süßen Liebe“, die über Hindernisse an ihr Ziel gelangen will, aber letztlich auf Erfüllung beharrt, hervorragend bedient.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00