INGEBORG BACHMANN
Bruderschaft
Alles ist Wundenschlagen,
und keiner hat keinem verziehn.
Verletzt wie du und verletzend,
lebte ich auf dich hin.
Die reine, die Geistberührung,
um jede Berührung vermehrt,
wir erfahren sie alternd,
ins kälteste Schweigen gekehrt.
1957
aus: Ingeborg Bachman: Werke. Bd. 1: Gedichte. Piper Verlag, München 1978
Heilloser kann Liebesdichtung nicht sein. Was Ingeborg Bachmann (1926–1973), die schwermütige Dichterin des Liebesverrats, hier in acht Versen an negativen Befunden zusammenträgt, ist die bitterste Absage an inniges Zugewandtsein und liebendes Vertrauen, die sich formulieren lässt. Das „Wundenschlagen“ als anthropologische Konstante, der nicht zu entkommen ist: 1957, im Jahr der Niederschrift des Gedichts, sollte sich diese Vision in der tragischen Liebe Bachmanns zu Paul Celan bewahrheiten.
Was ist noch möglich jenseits der Strategie der Verletzung? Was in der zweiten Strophe als „Geistberührung“ aufgerufen wird, ist sicherlich nicht das „Gegenglück“, das ihr Dichterkollege Gottfried Benn (1886–1956) einst dem „Geist“ zuschrieb. Sondern es ist die Vertiefung der Trennung, die Vorbereitung des Rückzugs ins „kälteste Schweigen“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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