Meret Oppenheims Gedicht „OHNE MICH ohnehin ohne Weg kam ich dahin ohne Brot…“

MERET OPPENHEIM

OHNE MICH ohnehin ohne Weg kam ich dahin ohne Brot
ohne Atem aber mitnichten mitneffen mit Kaspar
mit Kuchen so rund war er etwas eckig zwar
aber ohne Grasbewuchs mit Narben mit Warzen mit Fingern
Mit Stäben mit vielen O’s und wenig W’s
dafür mit ganz enorm wenig viel.
Oh falle du doch in dein Loch oh begrabe du dich doch selbst
und deine langatmige Hoffnung
gib deinem Ich einen Tritt deinem Es seinen Lohn
und was von dir übrig bleibt brate wie Fischlein im Öl
du kannst deine Schuhe abstreifen.

1969

aus: Meret Oppenheim: Husch husch, der schönste Vokal entleert sich. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2002

 

Konnotation

Fünf Jahre lang agierte sie als „verführerische Fee“ der Pariser Surrealisten, bis sie diese Rolle nicht mehr ertragen konnte und für viele Jahre in die Schweiz zurückkehrte. Bereits im Alter von 18 Jahren hatte die in Steinen im Südschwarzwald aufgewachsene Künstlerin Meret Oppenheim (1913–1985) ihr Elternhaus verlassen und in die Metropole der Avantgarde nach ihrem schöpferischen Selbstausdruck gesucht. Frühen Ruhm erlangte sie mit der Erfindung einer mit Pelz umhüllten Tasse, die zur Inkunabel des Surrealismus wurde. Neben ihren Installationen entwarf sie sprachspielerische Gedichte, die dem „Magnetismus der Worte“ folgten.
Das 1969 entstandene Gedicht bezieht seine Dynamik aus der absichtslos wirkenden Reihung paradoxal gesetzter Konjunktionen, Adverbien oder Präpositionen. Aus realen Wörtern leitet Oppenheim vokabuläre Kunstprodukte ab („mitnichten mitneffen“), um aus dem reizvollen Wörterspiel schließlich Lebensmaximen zu gewinnen, die zwischen Fatalismus und trotziger Handlungsbereitschaft schwanken.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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