Nikolaus Lenaus Gedicht „Einsamkeit“

NIKOLAUS LENAU

Einsamkeit

Wild verwachsne dunkle Fichten,
Leise klagt die Quelle fort;
Herz, das ist der rechte Ort
Für dein schmerzliches Verzichten!

Grauer Vogel in den Zweigen!
Einsam deine Klage singt,
Und auf deine Frage bringt
Antwort nicht des Waldes Schweigen.

Wenn’s auch immer schweigen bliebe,
Klage, klage fort; es weht,
Der dich höret und versteht,
Stille hier der Geist der Liebe.

Nicht verloren hier im Moose,
Herz, dein heimlich Weinen geht,
Deine Liebe Gott versteht,
Deine tiefe, hoffnungslose!

1834

 

Konnotation

Das Leben und Schreiben des ungarischen Edelmanns Nikolaus Edler von Strehlenau. der als Dichter Nikolaus Lenau (1804–1850) in die Literaturgeschichte eingegangen ist, stand im Zeichen einer unglücklichen, „hoffnungslosen“ Liebe. Seine unerfüllte Passion zur Beamtengattin Sophie von Löwenthal prägte sein Lebensgefühl des „schmerzlichen Verzichtens“ und einer immerwährenden Disharmonie, die schließlich den geistigen Verfall des Dichters beschleunigte.
1834 überreichte Lenau seiner innig Geliebten drei Gedichte, worunter „Einsamkeit“ am bündigsten das Daseinsgefühl einer heillosen Existenz formulierte. Die leise Klage des Herzens, der Quelle und des grauen Vogels korrespondieren miteinander; trotz der Hoffnungslosigkeit ist der „Geist der Liebe“ nicht verloren. Vier Jahre später, in einem ebenso „Einsamkeit“ überschriebenen Sonett, droht schon der Wahnsinn und nichts Tröstendes ist mehr übrig: „Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig.“

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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