Norbert Hummelts Gedicht „das glück bei eichendorff“

NORBERT HUMMELT

das glück bei eichendorff

erst gegen abend klart es wieder auf zu
spät um nochmals vor die tür zu gehen
da bleibt mein herz bei den regalen stehen
erst kaum geahnt lag jener frühe reiz in
den paar büchern mütterlicherseits von
denen ich die schmalen rücken sah sie
wurden abgestaubt u. waren immer da wie
aber las er sie in welchem dunkeln sinn
gab er sich innerlich den hellen bildern hin
u. träumte sich aus einer engen kammer
um dessen tod herum ich erst geboren bin
wieso warum hat er nichts unterstrichen
ich hätte gerne unsern strich verglichen u.
weiß ja nicht mit welcher hand er schrieb u.
welche lahm hing seit dem ersten krieg erst
gegen abend liest man klart es wieder auf

2004

aus: Norbert Hummelt: Stille Quellen. Gedichte. Luchterhand Literaturverlag, München 2004

 

Konnotation

Der 1962 geborene Norbert Hummelt begann im Umfeld von Thomas Kling und Marcel Beyer mit experimentellen Gedichten, wandte sich aber bereits mit seinem zweiten Band (singtrieb, 1997) überlieferten Formen der Lyrik zu und näherte sich Konzepten der deutschen Romantik. Verdienste hat er auch als Essayist und kongenialer Übersetzer von Inger Christensen und T.S. Eliot erworben.
Eine – im Titel seines Gedichtbands annoncierte – stille Quelle des Glücks ist für Hummelt die Erinnerung an die Kindheit und die frühste Beschäftigung mit Eichendorffs Gedichten, an die Mutter, die die „paar Bücher“ abstaubte, und an den Großvater, der wohl darin las, ohne dem Enkel eine Botschaft zu hinterlassen. Die Musikalität der Sprache betört. Das Leichte und Leise kommt in strenger Form daher, in fünffüßigen Jamben, End- und Binnenreimen. Die mitunter willkürlich umbrochenen Verse deuten an, dass ein Anknüpfen an die romantischen Paradiese nur gebrochen erfolgen kann.

Michael Buselmeier (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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