Ralf Theniors Gedicht „Alfons aus der Wundertütenfabrik“

RALF THENIOR

Alfons aus der Wundertütenfabrik

Ja, sagt Alfons,
ich bin in der Wundertütenfabrik,
ich pack die Wunder in die Tüten,
wir arbeiten mit Musik,
chinesische Gongs,
sagt Alfons,
Flöten, Gebrüll
und lauter so Sachen,
das is vielleicht ein Job, Du,
ich muß die Indianerhauben klarmachen,
und mein Nachbar macht die Tüten zu.

1975

aus: Ralf Thenior: Traurige Hurras. Gedichte und Kurzprosa. Bertelsmann, München 1977

 

Konnotation

Ralf Theniors frühe Miniaturen, zusammengestellt in dem Band Traurige Hurras (1977) machen alltägliche Widersprüche im Detailsichtbar, in Nahaufnahme, ohne wohlfeile Lösungen anzubieten. Mit ein paar Zeilen wird eine Szene skizziert, eine Gestalt in ihren individuellen und sozialen Gesten vorgestellt. Für Figurenporträts und Dinggedichte dieser präzisen Art existieren Vorbilder in der amerikanischen Pop-Lyrik, etwa bei Frank O’Hara.
Thenior (geb. 1945) stilisiert die kleinen Leute in den großen Städten bis in den Sprachrhythmus hinein: Marianne, die bei der Post Pakete verlädt und ständig „Ich denk mein Schwein pfeift“ sagt, Joe mit seinem „Tatter“ und seinem „Mundgeruch“, dem jeder ausweicht oder eben Alfons, der in der Fabrik die schäbigen „Wunder“ in Tüten packt, auch er ein kindhafter Charakter. Thenior nimmt sie alle ernst, er macht sich über keinen lustig. Es sind schöne, manchmal auch bittere Momentaufnahmen von Menschen mit sonderbaren Eigenschaften.

Michael Buselmeier (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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