Thomas Brasch’ Gedicht „Schlaflied für K.“

THOMAS BRASCH

Schlaflied für K.

Nacht oder Tag oder jetzt
Will ich bei dir liegen
Vom schlimmsten Frieden gehetzt
Zwischen zwei Kriegen

Ich oder wir oder du
Denken ohne Gedanken
Schließ deine Augen zu
Siehst du die Städte schwanken

In den Traum oder Tod oder Schlaf
Komm in den Steingarten
wo ich dich nie traf
will ich jetzt auf dich warten

nach 1970

aus: Thomas Brasch: Der schöne 27. September, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1980

 

Konnotation

Wenn die Grenzen zwischen hell und dunkel verschwimmen, ereignen sich in den Gedichten des Berliner Dichters Thomas Brasch (1945–2001) die Augenblicke der wahren Empfindung. Über die Welt fällt dann die Dämmerung einer Endzeit, in der alles verhangen scheint von der Erwartung der nahen Katastrophe.
In Braschs Gedichten werden die fluktuierenden Sphären von Nacht, Schlaf und Traum zur letzten Heimstätte eines weltverloreuen Ichs, das nie mehr die helleren Bezirke des Erwachens erreicht. Der Schlaf und die Träume gebären dann die Phantasmagorien vom Untergang. So wird das Ich seines fatalistischen „Schlaflieds“, das in den 1970er Jahren entstand, von der Ahnung eines offenbar unmittelbar bevorstehenden Krieges heimgesucht. Die Beziehung zwischen dem Ich und dem Du scheint keine Hoffnung zu bergen, selbst der „Steingarten“ ist kein meditativer, sondern bedrohlicher Ort.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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