Unbekannter Autor Gedicht „Kinderreim“

UNBEKANNTER DICHTER

Kinderreim

Mitten auf der Elbe
schwimmt ein Krokodil,
wackelt mit dem Schwanze,
weiß nicht, was es will.
Bitte, gehn Sie rechts,
und bitte, gehn Sie links,
denn so’n Krokodil
is’n gefährlich Dings.

um 1890

 

Konnotation

Das gefährliche Tier, das sich aus seiner natürlichen Umgebung in die Fremde verirrt hat, erweist sich als anrührend-unentschlossenes Wesen von großer Gutmütigkeit. Solche erfundenen Wahrheiten gibt es nur im Märchen oder im Kinderreim. Was hier als heiter-harmloser Kindervers vom gefährlichen, aber letztlich friedfertigen Krokodil daherkommt, lässt sich auch als Parabel auf die Situation existenzieller Unentschlossenheit lesen.
Die Volkslied-Forschung hat darauf hingewiesen, dass dieser Kinderreim im Frühjahr 1890 nach einer Ausstellung in Berlin „von aller Welt gesungen, gepfiffen und getanzt“ wurde. Neben dieser Version, die der Kinderbuch-Zeichner und Texter Janosch (geb. 1931) in seine 1984 erschienene Anthologie mit Kinderreimen aufnahm, existieren allerdings noch Dutzende von Varianten, die mit unterschiedlichsten Farbwörtern (z.B. „das grüne Krokodil“) oder auch rhythmischen Abweichungen diesen Text immer wieder neu beleben.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00