VOLKER VON TÖRNE
Amtliche Mitteilung
Die Suppe ist eingebrockt:
wir werden nicht hungern.
Wasser steht uns am Hals:
wir werden nicht dürsten.
Sie spielen mit dem Feuer:
wir werden nicht frieren.
Für uns ist gesorgt.
1961
aus: Volker von Törne: Im Lande Vogelfrei. Gesammelte Gedichte. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1981
Die Ballade, das Lied, der gewitzte Reim, der empörte Appell – das waren die Formen, die der politische Dichter Volker von Törne (1934–1980) bevorzugte. Das schmerzhafte biografische Faktum, dass er der Sohn eines strammen SS-Mannes war, hat sein linkes Weltbild und Lebensgefühl bestimmt. „Er träumte davon, den großen Gesang zu schreiben – und richtete sich in begrenzten Tonarten ein“, so schrieb sein Freund Christoph Meckel über ihn.
Die „Amtliche Mitteilung“, diese lakonische Reflexion zum Stand der politischen Dinge, entstand im August 1961, als sich durch den Bau der Berliner Mauer der Kalte Krieg verschärft hatte. Der Reiz des Gedichts besteht darin, dass in einer Strophe jeweils die gängigen Redensarten für eine extreme Krisenlage mit litaneihaften Bekundungen der Zufriedenheit konfrontiert werden. Der Schlussvers bilanziert in bitterer Ironie die Situation, indem er die in den Strophen zuvor aufgerufene Gefahr einfach ignoriert. Politische Poesie wird zur schönen Paradoxie.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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