MEIN LYRISCHES ICH
kam zurück zu mir und sagte: i could do that (das)
’til the end of days. leicht vorgebeugter gang,
diese zeitversetzte taille, noch ist alles gut, ist alles,
wie es sein soll. doch in der nacht, da trafen wir
auf mein brutales double, zurückgerufen mich:
ich sei es nicht. die schwere meiner knochen,
ganz gewiss. ein vogelkopf wippt sprechend
über meiner schulter, dünnes hacken, war da
nicht ein herrgottsschnabel in den augenwinkeln
dieser welt? war da nicht eine enge und ein zwang?
und hab ich schon gesagt: in der tiefen nacht
in jeder stadt begegnete uns auf allen straßen,
die wir gingen, mein brutales double? hab ich schon,
monika, das hast du schon. hab ich schon? du hast.
Diese ungemein originellen, hochmusikalischen Gedichte kann man auch ,einfach so‘ genießen. Monika Rinck summt sich durch das Dickicht der Liebesgefühle, nervös, aber willig der Schönheit. Und tatsächlich stehen dann wunderschöne Gedichte neben todtraurigen.
Insa Wilke
Das nenne ich offensive Heiterkeit, eine schöne helle Verwirrung.
Sebastian Kleinschmidt
Ihre Texte machen Mut und Spaß und sind ein bezaubernder respektloser Beweis, daß das Gedicht lebt, solange Honig klebt.
Michael Schmitz
Wer Freude am Denken hat und Abstraktionen dennoch mit Skepsis begegnet, der wird bei diesen Gedichten in helles Entzücken ausbrechen. Manche Sätze würde man am liebsten auswendig lernen.
Meike Feßmann
In ihren Gedichten… ist die gleichzeitige Präsenz von intellektueller Lebendigkeit und dichterischer Einbildungskraft ein wahres und anhaltendes Vergnügen… Texte, die nur so funkeln vor lauter Sprachwitz, Bildersinn und purem Denkvergnügen.
Herbert J. Wimmer
Häufig erinnert die Lautstruktur an gleichsam umarmende Binnenreime, eine in dieser Art innerhalb prosanaher, dezent rhythmisierter Langzeilen überraschend neu wirkende Technik … und sich darauf zu freuen, wie Monika Rinck selbst ihn vortrüge: als Dichterin von oraler Poesie im besten Sinn, von scheinbar schlichten Liedtexten ebenso wie von komplexer, sprachreflexiver Poesie.
Mattin Maurach
In ihrer Poesie geht es auch darum, etwas möglichst angemessen, gleichzeitig im besten Sinne „enttäuschend“ darzustellen… Es gibt keine festgezurrten Bedeutungen, aber viele Aha-Momente von schön bis schaurig, irritierend und inspirierend.
Dagmar Reim
Monika Rinck verbindet die repetitiven Elemente der Litanei mit ihren sprachspielerischen Passionen und erzeugt damit eine unerhört suggestive rhythmische Bewegung… So entsteht mittels einer kühnen Bild-Artistik eine ,wilde Vielfalt, in die Tausenderlei eingefaltet ist‘.
Michael Braun
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014
Erkenntnishunger und Schönheitsdurst sind die seelischen Stammzellen der aus Zweibrücken Gebürtigen, die fröhlich die Brücken zum klassischen Gedicht abbricht. Gemahnt der serielle Eingang ihrer gefeierten Honigprotokolle an Schrot- und Gebetsmühlen, versteht sich die Dichterin nicht als Wiederaufarbeiterin, die neuen Denkgleisen die Wortpiste schottert. Lieber ist sie verspielte Imkerin unseres Bienenfleißes im Rapsfeld, aus dem sie Fabulierhonig und Klangschlangen zieht.
Richard Pietraß, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014
Diese Paarung macht frohlocken: „In Ewigkeit Angst und Champagner“. So heißt eines der Gedichte von Monika Rinck. In ihnen kommt auch diese Wortverbindung vor: „gekammerte Stunden“. Man muss augenblicklich an die eigene Existenz denken, und die Lust wächst, all jene zu verachten, die da den Kopf schütteln – weil sie selber natürlich nicht „gekammert“ leben, nicht eingeschlossen in einem Büro, in einer Fabrik, in einer Illusion, in einem Gesetzeswerk, in einer irrigen Fantasie von Ganzheit und übergreifendem Sinn, in einer Lebenslüge, die dem Gemüt fortwährend gut zuredet: Du bist schwer in Ordnung!
Da ist mir die Dichterin mit ihrer Dialektik lieber: Angst – und Champagner. Das eine gegen das andere. Das eine wegen des anderen. Zu viel Champagner, weniger Angst? Macht erst Angst alles schmackhaft? Sind so Fragen. Monika Rincks Gedichte rufen zum Spiel auf: Man möchte etwas anderes sein, bei dem man wild und unnütz sein darf. Vielleicht eine Wiese, aber ein Bach müsste schon durchfließen, zwei Ufer wären dann im Gespräch.
Stehe inmitten der Sorge. Sei dein eigener Hohn.
Sorge ist allgegenwärtig, nicht abstellbar. Verlach sie, also: Erkenne sie an. Trage zur Wahrheit der Dinge bei:
Weise stets Anzeichen von Verwahrlosung auf.
Monika Rinck, 1969 in Zweibrücken geboren, Literaturwissenschaftlerin, beim RBB im Online-Bereich tätig – über ihre Gedichte ist viel geschrieben worden, die Rede geht von „hochmusikalisch“ oder von „intellektueller Lebendigkeit“ oder von „rhythmisierten Langzeilen“ oder von „komplexer, sprachreflexiver Poesie“. Immer will Klugheit einem Zauber entsprechen wollen. Geht aber nicht.
Poesie lässt Klugheit abblitzen, sie ist zu schlau: Sie will nichts beweisen.
Nicht bei vernünftigem Bewußtsein
dichten sich diese herrlichen Lieder.
Rincks Gedichte, die mitunter Ansprachen sind oder Wieeraufnahme einer unterbrochenen Unterhaltung – sie wirken, als wolle die Schreibende sie abstoßen. Es ist ihr dringend nach Bewegung zumute. Sie muss sich in einen Satz stürzen, um von irgendwo, wo es nicht auszuhalten ist, sich irgendwohin zu drängen, wo es auszuhalten wäre. Auch wenn es gemütlicher nicht wird in den obwaltenden Zusammenhängen. die Dichterin sagt nicht, sie sei entkommen. Sie sagt nicht einmal, man könne entkommen. Aber manchmal klingt es so, und das tut gut. Wir sind wieder beim Champagner, jener Wegzehrung für die Angst, die in uns hoch- und herunterwandert.
Helle Verwirrung, Honigprotokolle, Verzückte Distanzen, so heißen Monika Rincks Gedichtbände. Die vorliegende Auswahl fragt, was Frauen Sonntag machen, die Quitte wird bedichtet, Stroh und Sense. Sie ist eine Weglaufende vorm Abhauenwollen, sehr nah an Zeit und Zuständen, beobachtet sie dennoch alles aus Abstand – bei dem Bilder entstehen, darauf nicht mehr wesentlich ist, ob da weit hinten ein Mensch etwas ausgräbt, oder etwas verscharrt.
– Wie geht das eigentlich heute, „dichten“? Zu Besuch in der Wortwerkstatt von Monika Rinck. –
Vielleicht ist Dichten ja nichts anderes, als eine besondere Art zu lesen. Zu lesen und dabei Spuren zu hinterlassen. An Monika Rincks Schreibtisch sitzen wir inmitten von Büchern. Die Dichterin sitzt sprungbereit, die Bücher stehen und liegen griffbereit, ringsum in den Regalen und in Stapeln auf dem Tisch. Und so springen wir im Laufe des Gesprächs von Stimme zu Stimme – von Jean Paul zu Hegel, von Friederike Mayröcker zu Elke Erb, zu Peter Huchel und zum „Tiervater“ Alfred Brehm.
Ich habe immer gern gelesen, aber mit Gedichten konnte ich lange Zeit nichts anfangen. Warum konnte man all das nicht klarer und direkter sagen? Lyrik kam mir oft gestelzt, gewollt und mutwillig verrätselt vor. Gedichte erschienen mir altmodisch und angestaubt, eine unnötig komplizierte Ausdrucksform von gestern.
Aber Monika Rinck reimt „Herz“ nicht auf „Schmerz“, nicht „Stäbe“ auf „gäbe“, „Besen“ auf „gewesen“ oder „Wiesel“ auf „Kiesel“ und „Bachgeriesel“. Bei ihr paart sich „im Dickicht das Wiesel mit der Zylinderkopfdichtung“. Jemand sagt: „Ich trage meinen Zorn als Hirschgeweih“, und das Gedicht endet mit einer Zeile des AC/DC-Klassikers „TNT“: „Watch me explode“.
Wer in Monika Rincks Texte eintaucht, dem schwirrt bald der Kopf vor lauter Stimmen und Sprachen, die dort frei zusammenschießen. Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Pfälzisch, innere treffen auf äußere Stimmen, rhythmisch Ausgefeiltes auf bewusst gesetzte Brüche, Sprünge, Ausrufe: Ha! Ach so! Hohoho! Die „Gischt der wirklichen gesprochenen Sprache“, die Walter Benjamin an Alfred Döblins Montage-Roman Berlin Alexanderplatz so begeistert hat, gurgelt zwischen den Zeilen und macht das Gewebe lebendig und beweglich.
Monika Rinck springt auf, um ein Buch zu holen und mir ein Gedicht vorzulesen.
Trau der Mannschaft deines Seglers zu
dass sie tüchtig aus der Trunkenheit
aufstehen könnte, jeder einzelne aufstehen,
jeder noch bis übers Knie besoffen,
aber hingehen und das Seine tun!
Und am Ende heißt es:
Dieses Schiff wird nie verständig werden –
melde oben bei dem Bootsverleiher,
dass wir brüllend und das Maul voll Suff
seine Sterne aus der Hölle holen.
Die deftige Seeräuberpistole über das ins Wildwasser des Lebens geworfene Segelschiff stammt aus der Feder der Lyrikerin Christine Lavant. „Mir gefällt die Energie“, sagt Monika Rinck. Am Abend nach dem Champions-League-Finale ist sie mit einer Handvoll Dichterkollegen in einem Zug voller aufgekratzter Fußballfans von einem Frankfurter Kongress zurück nach Berlin gefahren. Im Speisewagen deklamierte man laut Lavant. Der ultimative Gegenwartstest für die 1973 verstorbene Lyrikerin, die lange als Sonderling und Schmerzensfrau gehandelt wurde. Dabei gibt es bei ihr noch viel Humor zu entdecken. Das jedenfalls möchte Rinck in einem Essay über Lavant zeigen, den sie gerade vorbereitet. Ich treffe sie zu einer Zeit, in der sie selbst keine Gedichte schreibt. Stattdessen arbeitet sie an Texten, die das poetische Schreiben selbst zum Thema haben. „In solchen Phasen finde ich es schöner, Sachen zu präsentieren, die einen beeindruckt haben“, sagt Monika Rinck. Und dann sagt sie etwas, das in der „Stäbe/gäbe“-Dichterwelt der inspirierten Geister völlig undenkbar wäre:
Es muss ja nicht alles von mir sein.
In diesem Sinne ist Dichten nichts anderes als Finderglück. „Selbst wenn es nur ein Neu-Arrangement der schönsten Sachen ist, die man im letzten halben Jahr gelesen hat, darüber freut sich der Leser ja auch“, sagt Rinck. Schreiben, umgeben von aufgeschlagenen Büchern, der Dichter als Sammler. Dieses Selbstverständnis ist ihr näher als die Idee, auf Teufel komm raus den eigenen Ton halten zu müssen:
So eine Art Originalitätszwang führt ja meist nur zum Selbstimitat.
Das Vorzeigen glücklicher Funde hat seinen eigenen Charme, vor allem wenn man nicht nur buchstäblich, sondern auch bildlich etwas zu zeigen hat. Aus einem Pappkarton zieht Monika Rinck bündelweise postkartengroße Aquarelle und Zeichnungen hervor. Verschlungene, frei schwingende Linienführungen sind darauf zu sehen, aber auch Formen, die vom Amorphen ins Figürliche changieren und Anspruch auf die Illustration mehr oder weniger abstrakter Begriffe erheben. Ein Bild zeigt das „lyrische Ich“: eine biestig drein schauende Frau mit wilder Mähne.
„Es vergnügt mich, mir das theoretische Geschehen dreidimensional und wie im Zeichentrick animiert vorzustellen“, schreibt Monika Rinck in ihrem Essay „Das Alberne hat Glück“. In dem Band Helm aus Phlox, einer gemeinsam mit Ann Cotten, Steffen Popp und weiteren Dichterkollegen verfassten Poetik, hat sie ein Sinnbild des Schreibens als Comicfigur gezeichnet: den „mobilen Buckel“.
Dieser Gnom, der dem Dichter bei der Arbeit wie ein Nachtmahr im Nacken sitzt, steht für das Gewicht der Tradition und die Last der Lektüren ebenso wie für die eigene Überempfindlichkeit, die der Lyriker ausbeuten kann. Kurz: Er ist die dunkle, erdrückende Muse, ohne die Poesie wohl nicht hervorgebracht werden kann. Ob mit dem Stift in der Hand oder am Laptop, das Schreiben selbst bleibt eine einsame Sache. „Schöner ist es ja, einfach schwimmen zu gehen, ohne den Buckel“, sagt Monika Rinck. „Nur dass dann halt nichts entsteht. Außer Glück.“
Und welche Art von Glück entsteht am Schreibtisch?
Wenig. Gut, manchmal, wenn man dazu Musik hört und Wein trinkt, und plötzlich denkt man, oh, das war jetzt aber schön, und dann fängt man an zu tanzen, und dann geht man schlafen, und am nächsten Tag stellt man fest, dass es doch nicht gut war.
Der Moment der Loslösung, das Flow-Erlebnis, wenn die Worte einem wie von selbst zufliegen, ist selten.
Meistens ist es doch so, dass man in der Höhle eingesperrt ist und die Wände abkratzt und dann guckt, ob man mit dem, was man unter den Fingernägeln findet, irgendwas anfangen kann.
Wenn Monika Rinck das sagt, klingt es kein bisschen nach der Boheme-Pose einer gefällig leidenden Autorin. Gesteigerte Empfindsamkeit und Gedankenschärfe, Ausgelassenheit und präzise Rhythmik sind ihren Texten in jeder Faser anzumerken. „Ein Sprudeln! Unaufhaltsam / wie ein unaufhörlich vollkommener / Bergbach, Sturzbach“, so hat die Dichter-Freundin Elke Erb sie charakterisiert.
Solche Intensität ist nicht umsonst zu haben. Monika Rinck verbindet Sensibilität mit dem Mut zu überraschender Kombinatorik. Der Rest ist Arbeit. Und wohlüberlegte Vorbereitung. Es braucht einen Anstoß, einen Anfang, ein Gerüst, an dem die unterschiedlichsten Ideen emporranken können. „Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle“, so beginnen fast alle Texte aus Rincks letztem Gedichtband. Die Formel setzt einen Rahmen:
etwas Bindendes, worin man dann Sachen tun, erfinden, verfeinern, verwerfen kann.
Die Honigprotokolle bersten vor sprachlichem Einfallsreichtum und Musikalität. Monika Rinck findet eigensinnige Metaphern für das Zwielicht zwischen Traum und Tag, für Wut und Einsamkeit, für den Wunsch nach Bestätigung, für die Utopie eines geglückten sozialen Miteinanders. Vor allem aber entfesseln ihre „Protokolle“ eine mitreißende sprachliche Wendigkeit, die den Kopf befreit und für ein sprunghaftes, assoziatives Denken wirbt. Was also ist der Honig, den der Dichter nach Hause tragen kann? „Poesie“, sagt Elke Erb, „ist eine Erkenntniskraft.“ Wovon man nicht sprechen kann, darüber lässt sich dichten. Der treffende Vers eröffnet eine neue Sicht auf die Dinge, die ohne ihn verschlossen bliebe.
In ihrer Dankrede für den diesjährigen Peter-Huchel-Preis hat Monika Rinck elegant vorgeführt, wie unsinnig es wäre, die „uneigentliche Rede“ einer poetischen Metapher „rückübersetzen“ zu wollen, indem man einfacher und direkter sagt, wie es „eigentlich“ ist.
Wie sage ich denn Huchels „Das große Schleppnetz des Himmels“ auf eigentlich? Oder sein „September schleudert die Wabe des Lichts / Weit über die felsigen Gärten aus“. Wie sage ich das?
Monika Rincks Gedichte machen die Dinge nicht komplizierter, als sie sind. Und sie sind auf besondere Weise vielstimmig. In den Ausrufen, Rückfragen und direkten Ansprachen an den Leser, die den Textfluss mit traumwandlerischem Rhythmusgefühl unterbrechen und auflockern, kommt etwas von dem dialogischen Geist zum Ausdruck, den Rinck in ihrem 2006 bei kookbooks erschienenen Essay Ah, das Love-Ding! beschreibt.
Zwischen den Büchern und Zeichnungen auf ihrem Schreibtisch fischt Monika Rinck zuletzt ein schmales Heft heraus. Der Titel zeigt ein glänzendes Pferdeauge, fünf Menschen spiegeln sich darin, die einander an den Händen halten. Der Band, erschienen in der Reihe Kleiner Brehm im Verlag Peter Engstler, schildert den Fußmarsch des Autors Helmut Höge, der im Herbst 1977 mit einem Pferd am Halfter durchs deutsche Hinterland zog. Die eigenwilligen Beobachtungen des Aussteigers finden auf wundersame Weise ihr Pendant in einer Serie kurzer Texte, die Monika Rinck ursprünglich für eine Lesebühne verfasst hat.
Pass auf, Pony!, als Hörbuch in der edition sutstein erschienen, ist eine Sammlung von Gedichten auf vier Beinen. Die kurzen Alltagsszenen handeln von den Abenteuern eines seltsamen Gespanns. Das Pony, bewährter Begleiter aus Poesiealben und Jugendzimmern, folgt der Erzählerin in üble Spelunken und auf triste Partys, mit ihm ficht sie freundschaftliche Dispute aus, auf seinem Rücken entgeht sie brenzligen Situationen. „Der Psychoanalytiker Winnicot hat den Begriff des ,Übergangsobjekts‘ geprägt, das einen in eine neue Lebensphase begleitet“, sagt Monika Rinck.
Und ich wollte das Übergangsobjekt halt mitnehmen, in die nächste Phase.
Das Pony ist ein philosophischer Sparringpartner, ein lyrisches Du, das es erlaubt, sich im Selbstgespräch nicht im Kreis zu drehen, und Grübeln in Bewegungsenergie zu verwandeln. Am Ende jeder Episode reiten das lyrische Ich und ihr vierbeiniger Freund in den Sonnenuntergang. Manchmal ist Dichten nichts anderes, als dem eigenen Schatten einen Namen zu geben.
– Über Lyrik wird wieder heftig diskutiert. Ein Gespräch mit der Dichterin Monika Rinck über das allzu Schöne und das Denken beim Schreiben. –
Paul Jandl: Frau Rinck, es gibt in einem Ihrer Essays eine Kritik am gegenwärtigen poetischen Schreiben. „Alltagslyrik, wohin man schaut, Gartenmöbel zum Sonett gestampft“, heisst es dort. Jan Wagner bekommt in diesem Jahr den Büchner-Preis. In Sonettform gebrachte Gärten sind Teil seines Werks.
Monika Rinck: Ich würde die regen Debatten, die gerade geführt werden, gerne entpersonalisieren. Prinzipiell finde ich: Es geht beim Schreiben von Gedichten nicht darum, ein reales Ding herzunehmen und es kraft meiner Virtuosität mit enorm schwierig herzustellenden Ornamenten zu versehen. Man befindet sich als Autor doch eher an der Stelle, wo Bedeutung erst hergestellt wird. Es geht um die Verantwortung, die die Sprache für das Denken hat. Ohne Sprache gibt es auch kein Denken. Und die Sprache vermittelt zwischen Ebenen, die noch gar keine Sprache haben.
Jandl: Wie ist es denn mit der Virtuosität in der Lyrik? Gerade dafür wird Jan Wagner ja sehr gelobt.
Rinck: Schwierig. Bei Eröffnungsveranstaltungen von Lyrikfestivals stehen die Dichter oft mit sehr guten Musikern auf der Bühne, weil die Kunstfertigkeit der Musiker eine Virtuosität garantiert, die bei der Lyrik selbst offenbar eher fraglich ist. Obwohl ich das kürzlich in Frankfurt auch mitgemacht habe. Wenn ich auf meine Gedichte starre, denke ich zuweilen: Wäre diese Energie doch in die inhaltliche Bearbeitung des Themas gegangen und hätte doch das Thema selbst eine Form hervorbringen dürfen, die nicht überliefert oder von mir selbst schon so oft erprobt worden ist.
Jandl: Was ist dran am sogenannten Lyrik-Boom? Selbst in den Bahnhofs-Buchhandlungen werden offenbar wieder Sonette gekauft.
Rinck: Sonette? Wirklich? Ich weiss nicht, ob ich das so ernst nehmen kann. Es gibt ja auch in der Prosa ähnliche Plebiszite, aber ich bezweifle, dass dies etwas über die Vitalität oder Konjunktur der Gattung aussagt. Oder vielmehr denke ich darüber nicht nach, was die Leute von Lyrik erwarten, wenn sie vor dem Regal stehen. Es gibt immer Widersprüche in der normativen Festlegung. Mich haben jahrelang Gedichte begleitet, die quer zu meinen ästhetischen Überzeugungen stehen.
Jandl: Zum Beispiel?
Rinck: Zum Beispiel Robert Gernhardts „Nachdem er durch Metzingen gegangen war“:
Dich will ich loben, Hässliches,
Du hast so was Verlässliches.
Das Schöne schwindet, scheidet, flieht,
fast tut es weh, wenn man es sieht.
Wer Schönes anschaut, spürt die Zeit,
und Zeit sagt stets: Gleich ist’s so weit.
Die Schönheit gibt uns Grund zur Trauer,
die Hässlichkeit erfreut durch Dauer.
Jandl: Wie ist es denn mit dem Banalen in der Lyrik?
Rinck: Das darf schon mitmachen. Für die Intervention „Fundbüro“ im Museum für Naturkunde in Berlin wollte ich zum Beispiel etwas schreiben, das möglichst breitflächig – fast hätte ich gesagt: auch für Familien! – betretbar ist. Das Banale ist ja letztlich auch existenziell. Man merkt, wie teuer es ist, wenn jemand stirbt. Und in der Literatur ist die Verachtung des Banalen natürlich auch immer ein Vorgang der Selbsterhebung.
Jandl: Der Anspruch Ihrer lyrischen und essayistischen Arbeit ist ja nicht gerade gering. Es geht um Erkenntnis in einem philosophischen Sinn.
Rinck: Ich glaube, es gibt unterschiedliche Geschwindigkeiten der Irritation, der Denkprozesse, der Erkenntnis und ihrer ästhetischen Darstellung; dazwischen passiert auch viel Ramsch. Man sieht die Zusammenhänge noch nicht. Oder man hat etwas erkannt und kann es poetisch noch nicht umsetzen. Oder macht etwas, von dem man noch nicht weiss, was es ist.
Jandl: Das heisst, dass zum Beispiel Gedichte diesen asynchronen Zustand abbilden.
Rinck: Ja. Oder auch die Essays.
Jandl: Was den Menschen noch vor dem Denken antreibt, spielt ja in Ihrem Werk auch eine grosse Rolle. Zum Beispiel die Affekte. Sie zitieren einmal Immanuel Kants „Kritik der Urteilskraft“, wo es heisst: „Ein jeder Affekt von der wachern Art ist ästhetisch erhaben, z.B. der Zorn, sogar die Verzweiflung.“
Rinck: Die Frage ist ja, wie weit man innere Triebkräfte kritisieren kann. Kann man sagen: Am 15. Juni hatte ich falsche Gefühle der folgenden Art? Lust zum Beispiel kann Missverständnisse auslösen, aber selbst kein Missverständnis sein. Wenn Lacan sagt, man solle immer an seinem Begehren festhalten, fragt man sich doch auch: Wirklich immer?
Jandl: In Ihrem Werk scheinen die Affekte wichtiger Teil der Erkenntnis zu sein. Der Gedichtband Honigprotokolle ist eine Beschwörung von Zuständen wie Neid, Zorn, Reue und vielem anderen.
Rinck: Intellektuelle Arbeit und Affekte sind ja nicht vollkommene Gegensätze. Man würde einem gänzlich uninformierten Affekt ebenso misstrauen wie einer total gefühlsarmen Intellektualität. Interessant an den Affekten ist ja, dass sie sich aufdrängen, dass sie mit dem Anspruch auf Wahrhaftigkeit auftreten. Und man muss das aushalten können, diese Anwesenheit von nicht gleich Deutbarem. Es stellt sich die Frage: Was ist Ursache, und was ist Symptom? Schreiben heisst, eine Deutung dafür zu finden.
Jandl: Die Affekte und die Intelligenz laden einander in Ihrem Werk gegenseitig auf, und so entstehen die Gedichte als eine Art Leuchten…
Rinck: … und im Schein dieser Lampen kann man dann vielleicht schon etwas anderes machen. Wenn es gelingt, ist man also schon einen Schritt weiter.
Jandl: Ihre Gedichte scheinen sich zunehmend von der Idylle zu verabschieden, Unversöhnliches bleibt unversöhnt.
Rinck: Für meine „Kritik der Motorkraft“, an der ich jetzt schreibe, habe ich gerade von Döblin „Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine“ gelesen. Dort steht der schöne Satz „Lieber Freund, wir müssen dem Feind die Kabel abschneiden!“. Was die Idylle betrifft: Es ist schon seltsam, dass es ein einziges Segment gibt im Printmedienmarkt, das grosse Erfolge feiert, und das sind alle diese Landleben-Zeitschriften. Das ist vielleicht die Kehrseite der Anthropozän-Debatte, die den Eingriff des Menschen in das Gleichgewicht der Erde thematisiert. Natürlich gibt es eine Flucht vor Komplexität, wobei Komplexität jetzt häufig als Vorwand begegnet, sich mit etwas nicht mehr weiter zu beschäftigen.
Jandl: Soll man denn wieder politische Lyrik schreiben?
Rinck: Vielleicht ginge das epigrammatisch. Oder als Langgedicht. Ann Cotten kann das, sharp as a razor. Ich weiss nicht, ob ich es kann. Ja, vielleicht müsste man wieder mehr Gelegenheitsgedichte schreiben und den Mut haben, mehr schlechte Gedichte sehr schnell zu veröffentlichen.
Jandl: Der Letzte, der das versucht hat, war vor ein paar Jahren Günter Grass.
Rinck: Na ja.
Hendrik Jackson im Gespräch mit Monika Rinck
Holm-Uwe Burgemann und Konstantin Schönfelder: VOR|ZEICHEN #10 Monika Rinck Champagner für Alle
MONIKA RINCK
mein lyrisches
mit namen rotkäppchen
es kommt zurück
in jeder nacht
treffe ich auf
mein brutales double
das fragt mich aus
das verhört mich
immer immer wieder:
Hast du schon?
Monika?
Und ich schreie:
Ja, ich hab schon?
Ja, Monika. Du hast,
brüllt mein Double.
Und wie du hast, Monika.
Schäm dich, rinck dich.
Peter Wawerzinek
Hanns-Josef Ortheil: Klaus Siblewski wird siebzig
Börsenblatt, 16.10.2020
Monika Rinck beim 22. Literaturfestival Druskininkai Poetic Fall 2011.
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