EIN DRÖHNEN: es ist
die Wahrheit selbst
unter die Menschen
getreten,
mitten ins
Metapherngestöber
Schöpft Poesie seit jeher aus den Quellen der Tradition, so entscheidet doch über ihren Rang erst die Weise, in der sie das Überlieferte ins Eigene bindet. Dabei entsteht das Problem der Aneignung nicht aus der prinzipiellen Fremdheit des Tradierten, sondern aus dessen zu großer Geläufigkeit, einer gleichsam subjektlosen Vertrautheit. Sie ist, paradoxerweise, das eigentlich Widerständige, und es kommt darauf an, das Geläufige in ein individuelles Fremdes zu verwandeln, man könnte auch sagen: ins fremde Eigene. Wie eine solche verfremdende Aneignung sich im Prozeß der Dichtung vollzieht, zeigt sich an der Verwendung so traditionsbeladener Motive wie Blume, Auge, Stern, Stein, Atem, Licht oder Schnee in der Lyrik Paul Celans. Auf jedem von ihnen liegt ein doppelter Akzent von Fremdheit und Eigenheit, und es scheint, als hätte Celan durch ihren in jedem Sinn radikalen Gebrauch oft ein motivgeschichtlich Äußerstes erreicht. Ein Rückbezug auf die Tradition dürfte dem Leser die gedichtinterne Bedeutung dieser Motive eher vernebeln, statt sie ihm zu erhellen. Das Motiv des Singens gibt dafür ein besonders eindrucksvolles Beispiel ab. Auf den ersten Blick möchte man es kaum zu den charakteristischen Elementen der Celanschen Dichtung zählen, dann aber überrascht die große Zahl der Belege. In jedem achten der etwa siebenhundert Gedichte des Gesamtwerkes ist von Singen, Lied oder Gesang die Rede. Celans kühne, ab Atemwende geradezu tollkühne Verwendung dieses Motivs ist ohne Beispiel in neuerer Lyrik, so beispiellos wie dessen jüngste Geschichte, die ich deshalb zunächst zu skizzieren versuche – auf eine Verlustmeldung läuft es hinaus.
Das Gesang-Motiv, vormals ein wesentliches Element jeder Poesie, ist seit dem Beginn der Moderne von einem grassierenden Bedeutungsschwund betroffen. Seine Verwendung in bedeutender Dichtung nach Rilke ist rückläufig bis an die Grenze des Verschwindens. Wo Begriffe wie Lied oder Gesang heute noch vorkommen, sind sie keine Erkennungszeichen eines noch irgendwie der Musik zugewandten Selbstverständnisses der Lyrik mehr. Dieses Verschwinden oder Beinahe-Verschwinden eines vormals das Wesen der Poesie reflektierenden Motivs scheint sich indes so leise, geschwind und selbstverständlich vollzogen zu haben, daß man angesichts anderer, spektakulärerer Veränderungen der Künste darüber zu staunen vergaß. Hat man es überhaupt bemerkt? Daß dieses Staunen sich mit Verspätung nun doch noch einstellt und ausgerechnet bei der Beschäftigung mit Gedichten Paul Celans, entbehrt nicht der Ironie. Man erkennt den Ausnahme-Charakter des Celanschen Motiv-Gebrauchs in dem selben Moment, in dem einem aufgeht, um welcher Regel Ausnahme es sich hier handelt. Ich beschränke mich auf Andeutungen zu drei Punkten: 1.) zum poetologischen Status des Gesang-Motivs, 2.) zur Verlaufsform seines Verschwindens und 3.) zur poesiegeschichtlichen Bedeutung dieses Vorgangs.
Erstens. Seinen poetologischen Status erhielt das Gesang-Motiv durch die Gleichung: Gedicht gleich Lied, Poet gleich Sänger. Sie ist der Kern des Motivs und zugleich der älteste Topos dichterischen Selbstverstehens; sie deutet zurück auf den Ursprung der Gattungsbezeichnung „Lyrik“, an deren alte Bedeutung nicht mehr zu denken, heute die Voraussetzung ihrer Weiterverwendung ist. Wo immer das Motiv des Singens erschien, erinnerte es an eine prinzipielle Verbundenheit von Dichtung und Musik, an den Gesang als höchste Steigerungsform der Poesie und an das Singen als eine traditionelle Aufführungspraxis der Dichtung. Diese Zugewandtheit besaß ihr materiales Fundament in einer Reihe formaler Analogien in beiden Künsten: in Metrik, Strophik, musikalischer Periodik oder Rhetorik. Der Kantabilität der Tonkunst entsprach ein Verständlichkeitsgebot in der Dichtung. Von diesen sympathetischen Entsprechungen wird unter Punkt 3 noch einmal zu reden sein. Sie begünstigten in allen Epochen der Poesie- und Musikgeschichte eine Art von platonischem Trieb, Ergänzung und Steigerung in der je anderen Kunst zu suchen. Diese Geltung haben sie in der Moderne weitgehend verloren, und gleichzeitig büßte das Motiv des Singens seinen poetologischen Sonderstatus ein.
Zweitens. Zum historischen Verlauf dieses Bedeutungsverlustes erweist sich ein Rückblick auf Klopstock und Herder als nützlich. Durch sie gewann seit dem Ende der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts die Gleichung von Poet und Sänger und das Motiv des Singens überhaupt eine neue, folgenreiche Dringlichkeit. Durch Herders Volksliedpropaganda war der romantischen Sangverslyrik ein Paradigma gegeben, das über Heines Buch der Lieder hinaus bis in die Epigonendichtung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Geltung blieb. Wo Lied, Gesang und Gedicht nun erschienen – und in romantischer Lyrik (etwa bei Brentano oder Eichendorff) war ihr Gebrauch nicht nur überaus zahlreich, sondern fast immer mit einer frommen, weltfrohen Emphase verbunden −, traten sie als programmatisch-synonyme Begriffe auf, die zugleich auf eine musikalische Zweckbestimmung der Verse verwiesen. Hölderlin dagegen folgte nebst Klopstock vor allem Vorbildern aus der Antike; daß er Formen der Sangverslyrik vermied, mußte die Vertonbarkeit seiner Dichtung im 19. Jahrhundert stark beschränken. Seine musikalische Stunde – sieht man vom Brahms’schen Schicksalslied ab – schlug erst in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts, nun freilich unter grundsätzlich anderen Voraussetzungen, die mit dem Problem der Singbarkeit seiner Dichtung (im traditionellen Verständnis) nichts mehr zu tun haben. Die Gründe dafür sind in den Botschaften seiner Dichtung und in der Sympathie mit einem an seiner Zeit exemplarisch Gescheiterten, nicht aber in den Formen der Hölderlinschen Dichtung zu suchen, denen das Sympathetisch-Analoge zur Musik des 19. Jahrhunderts gerade fehlte. Gleichwohl verstand auch er sein Gedicht als „reifen Gesang“ oder „sterblich Lied“ und sich selbst, den Dichter, als Sänger. Ähnlich der Petrarkist August von Platen, bei dem sich bereits jener routinierte Gebrauch dieses Topos andeutet, der dann die Lyrik der zweiten Jahrhunderthälfte kennzeichnen sollte. Diese Routine wurde aber zumindest pragmatisch durch die überwältigend zahlreichen, oft ebenso routinierten Gedicht-Vertonungen sanktioniert: das Klavierlied war eine bevorzugte Aufführungspraxis zeitgenössischer Lyrik bis zum Beginn der Moderne.
Geradezu exzessiv und zum letzten Mal in der dem 19. Jahrhundert vertrauten Weise verwendet das Motiv des Singens Rainer Maria Rilke. Bereits in seiner frühen Lyrik – was zunächst nur deren epigonalen Charakter bestätigt begegnet der Topos Gedicht gleich Lied an zentraler Stelle; er wird in den Florentiner Mädchenliedern zur Doppelgleichung Gedicht gleich Lied gleich Leben erweitert und so ins Ästhetisch-Existentielle (oder Existentiell-Ästhetische) gewendet. In Rilkes Spätwerk ist er das Grundmotiv einer orpheischen Dichter-Mythe. In nach-Rilkescher Dichtung aber sind Belege für den Gebrauch des Gesang-Motivs selten und eher beiläufiger Art – so bei Benn, Loerke, Huchel oder Eich. Sie sind selten sogar bei Ingeborg Bachmann, die der Neuen Musik wahrlich nahe stand, dem Gesang aber geradezu verfallen war; sie wußte, und hat es in ihrem Essay über Musik und Dichtung auch ausgesprochen, daß beide Künste sich heute nur noch „wenig Blicke zuwerfen und nicht mehr in den alten Umarmungen liegen“. Nur wenige Beispiele, und durchwegs motivgeschichtlich ohne Belang, auch bei Brecht, der in den „Gebrauchswert“ seiner Gedichte gelegentlich deren Singbarkeit einbezog. So daß man sagen darf, daß das Motiv des Singens in Rilkes Dichtung zwar die Grenze zur Moderne überschritt, dort aber nicht ankam. Wo wir dem Topos Gedicht gleich Lied danach noch begegnen, verdankt sich seine Weiter- oder Wiederverwendung – etwa in den Gedichten von Max Herrmann-Neiße oder (mit sozialistischem Akzent) beim späten Johannes R. Becher – romantisch-nostalgischen Poesie-Konzeptionen.
Drittens. Der hier skizzierte Bedeutungsverlust eines Motivs mit poetologischem Sonderstatus signalisiert Veränderungen im Selbstverständnis der Dichtung. Zum ersten Mal im Verlauf ihrer Geschichte scheint der deutschsprachigen Lyrik das Singen in jedem Sinne vergangen. Es entspricht einer allgemeinen Entheiterung und Introvertierung, wenn wir uns das in modernen Gedichten mit seiner Selbstbehauptung beschäftigte Ich als ein singendes kaum noch vorzustellen vermögen – die Alternative seines Verstummens ist nicht der Gesang. So reflektiert Poesie, wo sie heute noch etwa vom Singen spricht, kaum noch sich selbst, schon gar nicht etwa im Topos Gedicht gleich Lied, Dichter gleich Sänger. Auch ist Gesang keine von den Dichtern noch vorausgesetzte oder erhoffte Aufführungspraxis ihrer Gedichte mehr. Dies und eine weitgehende Prosaisierung der Lyrik bedenkend, darf man die Feststellung wagen, daß die deutschsprachige Poesie ihr Wesen noch nie so musikfern bestimmte und zur Musik sich so teilnahmslos verhielt, wie seit dem Beginn der Moderne. Diese Teilnahmslosigkeit ist gegenseitig. Auch die Musik hat sich von jenen formalen Analogien, die einmal Zeichen einer prinzipiellen Zugewandtheit waren, verabschiedet. Auch sie ist „prosaisch“ geworden – „musikalische Prosa“, ein Begriff Arnold Schönbergs −, sie hat sich aus den Bindungen der Metrik und Periodik gelöst, jede „kommode“ Singbarkeit preisgeben müssen und so auch ihrerseits das Ende der alten Gemeinsamkeiten besiegelt – eine zwar parallele Entwicklung in beiden Künsten, aber doch eine, die neue Gemeinsamkeit nicht zu begründen vermochte. Zwar gibt es noch immer (und immer wieder) Vertonungen von Gedichten, darunter bedeutende Werke der Neuen Musik, doch solche Text-Aneignungen widerlegen nicht den generellen Befund. Er mag von der Seite der Lyrik her deutlicher erscheinen als in der Perspektive der Neuen Musik. Dieser ist längst schon jede Art von Nicht-Poesie, vom Katalogtext bis zur Zeitungsannonce, gleich vertonungswürdig geworden. Wo heute Dichtung und Musik zusammenfinden, verdanken sie es allein dem Willen des Komponisten, nicht aber jener in sympathetischen Analogien vorgegebenen Vereinigungsbereitschaft, die vormals zu ihrem Wesen gehörte. Im Bedeutungsverlust des Gesang-Motivs spiegelt sich ihre Entfremdung, und das Verschwinden der traditionellen Gleichsetzung von Gedicht und Lied bezeugt, daß diese Entfremdung auch ein Sich-selbst-Fremdgewordensein der Dichtung als „Lyrik“ bedeutet… Vor diesem Hintergrund erweist sich Paul Celans Gebrauch gerade dieses Motivs als Bestätigung und Ausnahme einer epochalen Regel. Er hypertrophiert das Gesang-Motiv, treibt es weit über sich hinaus, entfremdet es seiner Tradition, hält aber doch an ihm fest – ein Festhalten, das nur eine andere Form der Verabschiedung ist.
Der statistische Befund beweist die Anwesenheit des Gesang-Motivs auf allen Stufen des Celanschen Schaffens. Bei einem insgesamt hohen Häufigkeitsdurchschnitt von 8:1 zeigen sich zwischen den einzelnen Sammlungen erhebliche Schwankungen, die auffälligste zwischen den für Ruth Kraft zusammengestellten und durch sie überlieferten Gedichten 1938-1944 (Frankfurt/M. 1985), mit Belegen in jedem fünften Gedicht, und dem Band Mohn und Gedächtnis (1952), wo das Motiv in jedem zehnten vorkommt. Nur in Atemwende (1967) wird die Belegzahl des Frühwerks noch einmal annähernd erreicht (jedes sechste Gedicht). Die wenigsten Beispiele – 35:1 – finden sich in Schneepart (1971), der letzten von Celan autorisierten Sammlung. Für die druckbereit hinterlassenen fünfzig Zeitgehöft-Gedichte gilt aber wieder eine Häufigkeit von 10:1. Im Frühwerk und in Atemwende kommt das Gesang-Motiv am meisten vor. In den Gedichten 1938-1944 erkennt man, aus welch traditionellen Anfängen es sich entwickelte: in 12 von 97 Texten erscheint es bereits im Titel. Celan hat diese Gedichte als Lied oder Gesang bezeichnet, als „Gesang der fremden Brüder“, als „Mystisches Lied“, „Tag-, Abend-, Schlaf-, Lebens-, Sternen-, Steppenlied“ oder als ein „Zur Laute“ zu singendes. Dieser Titeltyp kehrt noch zweimal in Mohn und Gedächtnis wieder, fehlt in den beiden nachfolgenden Gedichtbänden ganz und wird in Die Niemandsrose verabschiedet mit „Psalm“ und „Eine Gauner- und Ganovenweise“ gesungen zu „Paris emprés pontoise von Paul Celan“ aus Czernowitz bei Sadagora. Damit verschwindet auch jede explizite Gleichsetzung von Gedicht und Lied. Von jener Wende, die der Titel des nächsten Bandes als Atemwende bezeichnet, scheint auch das Motiv des Singens betroffen.
Aus den bis Atemwende vorkommenden traditionellen Motiv-Verwendungen sind hier einige wenigstens zu zitieren: „wenn Katjuscha anfängt zu singen“ – „Nicht sei gewiegt, dem sie kein Schlaflied sangen“ – „ich singe: / Wie lebten wir hier?“ – „sangen: / ,O komm übers Meer‘“ – „ein französisches Lied von der Liebe, das sang ich im Herbst“ – „Und wir sangen die Warschowjanka“ – „Du, die du’s hörtest, da ich die Augen schloß, wie / die Stimme nicht weitersang nach: / ’s muß asoj sajn.“ Hier wird das Singen als humane Lebensäußerung in Erinnerung gerufen. Das Gesungene kann ein vorgegebenes Lied sein, gelegentlich ist es eine Frage oder eine Botschaft. Die Grenze dieses traditionellen Motiv-Gebrauchs ist aber überschritten, wenn das Gesungene nur aus einem einzigen Wort besteht, wie in Argumentum e silentio:
Jedem das Wort.
Jedem das Wort, das ihm sang:
als die Meute ihn hinterrücks anfiel −
Jedem das Wort, das ihm sang und erstarrte.
Lied und Wort sind identisch – Gesang ist die Erscheinungsweise eines Wortes, das sich selbst singt. Unklar bleibt, ob es jedem Menschen dasselbe oder jedem ein anderes ist, jedenfalls scheint in ihm eine jeweils persönliche Botschaft enthalten, die in einer extremen Situation „als die Meute ihn hinterrücks anfiel“ als Gesang gehört wird, wonach dann das Wort erstarrt. In ähnlicher Weise spricht das Gedicht „Psalm“ von dem einen „Purpurwort, das wir sangen“. Bemerkenswert an diesen Textstellen ist die Verbindung von Wort- und Gesang-Motiv. Bemerkenswert vor allem deshalb, weil das Wort-Motiv fortan in Celans Dichtung einen ähnlich herausgehobenen poetologischen Status besitzt wie vormals das Motiv des Singens. Im Frühwerk stehen beide nebeneinander und reflektieren gemeinsam ein teils übernommenes, teils schon eigentümliches, insgesamt aber noch schwankendes Selbstverständnis der Celanschen Poesie. Bedenkt man, daß „Lied“ eine Pluralität von Worten bezeichnet, die im Gesang ihre Einheit finden, „Wort“ aber ein solitäres Sprachwesen meint, so ahnt man die Gespanntheit und Unentschiedenheit des Frühwerks. Spätestens in Von Schwelle zu Schwelle ist diese poetologische Konkurrenz zugunsten des Wort-Motivs entschieden – es ist die Entscheidung für den solitären Weg der Celanschen Dichtung. Von nun an steht das Motiv des Singens frei für immer kühnere Variationen, die es schließlich seiner eigenen Tradition entfremden werden.
Seit dem Band Atemwende gibt es für Celans Gebrauch dieses Motivs Tradition von Singen, Lied und Gesang keine Rückversicherungen mehr.
*
Dazu vier Beispiele aus dem Zyklus „Atemkristall“, der ersten Abteilung des Bandes Atemwende. Das siebte Gedicht spricht von einem singenden Hammer:
DIE ZAHLEN, im Bund
mit der Bilder Verhängnis und Gegen-
verhängnis.
Der drübergestülpte
Schädel, an dessen schlafloser Schläfe ein irr-
lichternder Hammer
all das im Welttakt
besingt.
Offenbar ein Bild für das unwillkürliche Eingeschlossensein von Welt im Bewußtsein. Der Schädel ist „drübergestülpt“ wie eine Glocke – und zu einer Glocke wird er tatsächlich durch den Hammer. Der schlägt gegen die (eben deshalb) „schlaflose Schläfe“. Daß er „irr-lichternd“ heißt (mit einem Zeilenbruch mitten im Wort), unterstreicht das Irr- und Wahnsinnige dieses Vorgangs. Ein menschliches Subjekt wird nicht genannt, nur als Objekt ist es präsent durch seinen Schädel und kenntlich durch das Leiden der Schlaflosigkeit. Das Schlagen des Hammers gegen die Schläfe – „im Welttakt“ – bringt den welthaltigen Menschenschädel zum Dröhnen. Dies ist das vom Hammer gesungene Lied, dies heißt hier „Singen“. Das Gedicht scheint relativ leicht paraphrasierbar; seine privateste Dringlichkeit – pathogrammatische Verse! – teilt sich in Bildern mit, die als Metaphern gelesen werden können. Nicht mehr paraphrasierbar dürfte dagegen das neunte Gedicht des Zyklus sein:
WEISSGRAU aus-
geschachteten steilen
Gefühls.
Landeinwärts, hierher-
verwehter Strandhafer bläst
Sandmuster über
den Rauch von Brunnengesängen.
Ein Ohr, abgetrennt, lauscht.
Ein Aug, in Streifen geschnitten,
wird all dem gerecht.
Ich hebe nur den mittleren Textteil hervor „Landeinwärts…“. Diese Passage bleibt in ihrem Gesamtentwurf wie in jedem ihrer Bild-Details einem sinnlichen Nachvollzug, vermutlich sogar einer metaphorischen Auslegung entzogen. Weder vermag Strandhafer Sandmuster zu blasen, noch bläst er überhaupt; ein blasender Strandhafer wäre keiner. Aber was ist er dann? Bei dem Kompositum „Brunnengesänge“, das an ein „Brunnenland“ erinnern mag, bleibt ungewiß, wer da singt: die Brunnen selbst, oder wird bei den Brunnen gesungen? „Rauch von Brunnengesängen“ ist eine starke poetische Setzung, doch mit unklarem Wirklichkeitsbezug und als Metapher kaum aufzuschließen. Ebensowenig ist (z.B. wettertechnisch) nachzuvollziehen, wie über diesen Rauch hinweg Sandmuster zu blasen wären, schon gar durch Strandhafer. Solch ein Nicht-Verstehen könnte freilich gar die Pointe des Gedichtes sein! Mit seinen Schlußversen sagt es, daß derartiges mit heilen Sinnen nicht nachvollzogen werden könne. Nur „ein Ohr, abgetrennt“, sei fähig, die als Rauch aufsteigenden Brunnengesänge zu hören; nur ein in Streifen geschnittenes Auge werde „all dem gerecht“. Hier ist die chirurgische Absonderung der wahrnehmenden Organe die Bedingung des Verstehens, wenn nicht des Gedichtes selbst, so doch dessen, wovon es spricht: Amputation und Verstümmelung. Was einzig unter dieser Bedingung wahrzunehmen und zu verstehen wäre, müßte jenseits der Grenzen des Menschlichen liegen. Von Liedern „jenseits der Menschen“ spricht das sechzehnte Gedicht:
FADENSONNEN
über der grauschwarzen Ödnis.
Ein baum-
hoher Gedanke
greift sich den Lichtton: es sind
noch Lieder zu singen jenseits
der Menschen.
Hier ist eine Licht-Erscheinung („Fadensonnen“) zugleich ein Klang-Ereignis. Sie geschieht über einer Ödnis, in der sich ein Baum zeigt. Die Gestalt dieses Baumes wird dabei nicht des Baumes wegen hergerufen, sondern als die Erscheinungsform eines „Gedankens“. Dieser greift nach dem „Lichtton“ – ein Greifen und Begreifen zugleich, nämlich daß es Lieder aus Lichttönen gibt, „jenseits der Menschen“. Es sind keine Menschenlieder, doch stellt die Wendung „sind noch (…) zu singen“ eine Beziehung zu menschlichem Gesange her, derart, daß es auch dann noch Lieder geben werde, wenn es keine Menschen mehr gibt. Subjekt solchen mystischen Singens wäre das tönende Licht.
Zu einer überaus kühnen Engführung des Gesang-Motivs mit dem Motiv des Schiffbruchs kommt es im zehnten Gedicht des Zyklus:
MIT ERDWÄRTS GESUNGENEN MASTEN
fahren die Himmelwracks.
In dieses Holzlied
beißt du dich fest mit den Zähnen.
Du bist der liedfeste
Wimpel.
Das erste Zeilenpaar gibt das Bild eines kollektiven Schiffbruchs. Man darf ihn allumfassend, ja kosmisch nennen, denn er hat am Himmel stattgefunden. Kieloben treibende Schiffe zeigen mit ihren Masten nun erdwärts. Hans-Georg Gadamer hat in seinem Kommentar zu diesem Gedicht auf Celans Satz aus der Büchner-Rede hingewiesen: „− wer auf dem Kopf geht, der hat den Himmel als Abgrund unter sich“. Das Zitat hat bei Celan einen Bezug auf Büchners Lenz, läßt sich mit diesem Gedicht aber nur ungefähr assoziieren. (Wenn die Masten der im Himmel gekenterten Schiffe erdwärts zeigen, ist die Erde ihr Abgrund.) Deutlicher scheint mir dagegen die Nähe zu einer Wendung aus dem Woyzeck-Märchen: „die Erd ein umgestürzter Hafen“. Gegen diese Reminiszenz, die vielleicht nur eine des Interpreten ist, ließe sich einwenden, daß in Büchners Sprachgebrauch „Hafen“ nicht „Port“, sondern „Topf“ meint. Gewiß. Da Celans Dichtung für ihre Leser aber ein strenges Exerzitium auf den mehrfachen Sinn der Wörter ist, wird man dasselbe Wortsinngespür, dem diese Dichtung ihre Eigenart dankt, auch bei Paul Celan als Büchner-Leser voraussetzen dürfen. Im Woyzeck-Märchen sucht ein verlassenes Kind, „weil auf der Erde niemand mehr war“, sein Heil im Himmel, der Himmel aber ist verwüstet, und „wie’s wieder auf die Erde wollte, war die Erd ein umgestürzter Hafen“. Läßt man Büchners „Hafen“ als Hafen gelten, ergibt sich ein dem Celanschen Gedicht analoges Bild für die Vernichtung der ganzen Schöpfung, und man wird nicht ausschließen wollen, daß der zentrale Bild-Gedanke dieser Verse von Büchners Satz aus dem Woyzeck inspiriert sein kann.
Zeigen die Masten des Wracks nun erdwärts, so waren sie vor dem Schiffbruch himmelwärts gerichtet. Da es gesungene Masten sind – Mast: Lied: Holzlied −, hat sich im Schiffbruch auch die Richtung des Singens verkehrt. Vielmehr: die Richtung des Gesungenen. Das Gedicht spricht nur von dem, was gesungen wurde, von der Möglichkeit gegenwärtigen Singens ist nicht die Rede, es scheint sie nicht mehr zu geben. Wenn sich der Schiffbrüchige am gesungenen Masten festbeißt – was nicht nur ein letzter Rettungsversuch ist, sondern auch der Versuch einer Einverleibung sein könnte −, läuft das „Holzlied“, das vorgesungene fremde, zwischen seinen Zähnen hindurch und wird einen Mundbreit gleichsam sein eigenes. Als ein Singen oder Mit-Singen läßt sich diese Art von Teilhabe aber kaum noch bezeichnen, nicht nur weil es sich wortwörtlich um eine Verbissenheit handelt, sondern vor allem deshalb, weil das hier angesprochene Du just im Augenblick des Zubeißens seine Subjekt-Eigenschaften verliert. Es gerät in einen Zustand der Verdinglichung, es wird zum „Wimpel“. Von diesem heißt es, daß er „liedfest“ sei – ein Wort, an dem sich das Verstehen des Gedichtes entscheidet. Wäre der Wimpel nämlich „liedfest“ im Sinne von bibel-, trink- oder sattelfest, so müßte er des Singens mächtig, ein singender Wimpel sein; „liedfest“ bezeichnete dann eine Subjekt-Qualität. Gerade diese Wortbedeutung realisiert das Gedicht aber nicht, es meint eine Objekt-Eigenschaft: fest am Mast, holzliedfest und zugleich auch preisgegeben, als Wimpel, an jener exponierten Stelle, die einmal, als der Mast noch himmelwärts stand, die oberste war und jetzt die unterste ist.
Natürlich ist dies ein Gedicht über Dichtung, vor allem über Paul Celans eigenes Dichten. In der Verfremdung einer Du-Anrede spricht der Dichter zu sich und von sich selbst. Nennt er nun jenes Du – also sich selbst oder einen, der ganz seinesgleichen wäre – „liedfest“, so ist die Voraussetzung dafür nicht etwa der alte Topos Poet gleich Sänger, sondern die in diesem Augenblick gefundene, aus der Logik des enggeführten Motiv-Materials sich überraschend und zwingend ergebende Gleichung Dichter gleich Wimpel. Ein Wimpel aber kann nicht das Subjekt einer Botschaft sein, er ist die Botschaft selbst, nämlich: eines Schiffes, hier eines „Himmelwracks“, dessen Mast ein „Holzlied“ ist.
Hans-Georg Gadamer hat diese Pointe in seiner Interpretation des Gedichtes wohl verkannt, wenn er gerade hier noch ein „letztes Hochhalten des Hoffens“ zu erkennen meint: „So ist der Dichter mit seinem Lied als letzter eine Verheißung von Leben (…). Er heißt mit Pointierung ,liedfest‘. Denn nichts als das Lied ist es, das dauern wird…“ Hier zeigt sich, wie schwer es fällt, der Trostlosigkeit dieses Celanschen Bild-Gedankens standzuhalten und ihn nicht ins Licht einer Hoffnung zu ziehen, die aus dem anderen Lebensgefühl seines Lesers stammt. Gadamers Auslegung setzt Hölderlins „Was bleibet aber, stiften die Dichter“ ebenso voraus wie ein Weitergelten der Gleichung von Dichter und Sänger. Doch was im Gedicht „Holzlied“ heißt, ist nicht das Celansche Gedicht, sondern ein vor dem Schiffbruch Gesungenes – vielleicht ist es die Dichtung, die fremde frühere, einst himmelwärts gesungene. Noch ist sie da, aber nur noch als Mast eines „Himmelwracks“: ein Lied, endend als Holz, wie es Holzwege gibt, die im Holze enden. (Nicht nur bei Martin Heidegger.) Der sich in dieses „Holzlied“ verbissen hat, ist als Wimpel zur Botschaft eines universalen Gescheitertseins geworden. Mit dieser Selbst-Behauptung wird das Pathos aller Metaphern früherer Dichter-Selbstverständnisse weit übertroffen – Eichendorffs „Der Dichter ist das Herz der Welt“, Heines „Durch das meinige ging aber der große Weltriß“ oder Goethes Tasso „So klammert sich der Schiffer endlich noch / Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte“. Selbstbehauptung im universalen Untergang – der Dichter als Wimpel eines gesungenen Masten am Himmelwrack. Sprachlich war dieser Bild-Gedanke nur durch die kühne Engführung zweier Motive, Singen und Schiffbruch, zu vermitteln. Und nur so ließ sich die alte poetologische Bedeutung des Gesang-Motivs noch einmal reaktivieren, doch in welcher Verfremdung. Die Pointe dieser Motiv-Verschränkung hat Celan bereits in der Eingangszeile des Gedichtes, in einem nur leicht verdeckten Wortspiel, angetönt: „gesungen“ / gesunken. Bedenkt man den Bedeutungsverlust des Gesang-Motivs in neuerer Lyrik, so möchte man meinen, dies sei die Pointe einer langen poesiegeschichtlichen Tradition, deren Ende.
Peter Horst Neumann, aus: H. Danuser u.a. (Hrsg.): Das musikalische Kunstwerk. Geschichte. Ästhetik. Theorie. Festschrift für Carl Dahlhaus, Laaber Verlag, 1988
Die Erinnerung geht zurück zu einem im Sprechen wie im Schweigen beredten Juninachmittag vor Jahren in Paris, als Celan während des Gesprächs nach seinem Band Sprachgitter griff und mir aus dem einleitenden Zyklus die beiden letzten Abschnitte mit fast beschwörender Genauigkeit vorlas. Wir waren von der „Engführung“, dem Schlußzyklus des Buches, ausgegangen, er aber ging dann an den Anfang zurück und endete mit „den Stimmen im Innern der Arche“:
Es sind
nur die Münder
geborgen. Ihr
Sinkenden, hört
auch uns.
Jenen „Stimmen im Innern der Arche“ reihte sich die präzise Stimme Celans ein, so leise wie eindringlich, so traurig wie gegenwärtig. Denn seine Gegenwart war das nicht vergängliche Leid des jüdischen Volkes und der nicht vergängliche Mord an ihm, identisch mit dem Menschenleid und Menschenmord überhaupt. Es war in der Wohnung Celans oben im Haus Nr. 78 der rue de Longchamp, das er in seiner Atemwende, anspricht, jene Treppen hinauf: „Die Sprossen der Leiter, über / die Odysseus, mein Affe, nach Ithaka klettert, / rue de Longdiamp.“ Aber wohnen im wesentlichen Sinn tat er nicht in diesem Haus, in diesem Zimmer seiner Arbeit und unseres Gesprächs; das tat er, auch während seine Stimme zu mir sprach, in einer jener „Tränen im Bruderaug“ (,der Jakobsstimme‘): „eine blieb hängen, wuchs. / Wir wohnen darin.“ Die Wirklichkeit war der Kern seines Gedichts. Aufmerksam gemacht auf die Bedeutung der hölderlinschen Zeilen (aus dem hymnischen Entwurf ,Vom Abgrund nemlich‘): „Mein Herz wird / Untrügbarer Krystall an dem / Das Licht sich prüfet“, grenzte er mit großer Entschiedenheit ein: „Wenn nicht das einengende Wort ,Deutschland‘ noch als Bruchstück diesen Zeilen folgte.“ Für immer prägte sich mir der ingrimmige Griff Celans nach dem zweiten Band von Beißners großer Hölderlin-Ausgabe auf dem Bücherschaft hinter ihm ein und der Finger, der auf das Wort ,Deutschland‘ deutet: er nahm Hölderlin mit der gleichen Rücksichtslosigkeit ernst wie sich selbst. Das Wort nahm ihm in diesem Zusammenhang den selbständigen Richtungswert von Hölderlins Vers. Seine Sensibilität konnte nicht anders. Seine Trauer mußte auf etwas anderes lenken:
KEINE
STIMME — ein
Spätgeräusch, stundenfremd, deinen
Gedanken geschenkt, hier, endlich
herbeigewacht: ein
Fruchtblatt, augengroß, tief
geritzt; es
harzt, will nicht
vernarben.
Die verstummende Stimme ließ die Worte weiter wie Steine im Raum stehen: „will nicht / vernarben“. Mit gleicher Stimme ging er nach dem Schweigen von dem Vorlesen zum Gespräch über, auf den ihm wichtigen Zentralgedanken: „Spätgeräusch“; wobei die Silbe ,Spät‘ weder einen historischen noch biologischen Charakter annahm: es ist eine nackt datierende Information und hat weder mit Reifen noch Vergehen zu tun. Mit ungeheurer Härte versuchte Celan, sein Leben und sein Werk auseinanderzuhalten, obwohl und weil sie bei ihm eins waren.
In dieser Gesprächsstunde waren sich Hölderlin und Celan auf eine fast unbegreifliche Weise nahe. Unbegreiflich. Denn mit Recht weist in seiner Interpretation des Gedichts „Tübingen, Jänner“ Bernhard Böschenstein auf den unermeßlichen zeitlichen Abstand zwischen Hölderlin und Celan hin. Es ist so: „Wenn Hölderlin wiederkehrte, er müßte noch viel verhüllter, noch viel blinder sprechen.“ Die Befreiung aus der Sprachlosigkeit macht zwar das Wortgestein Celans unauflöslich. Aber die Fremdheit der Wortformen und der Syntax in Celans Sprache entspricht der Welt eines Wahn-gängers, die unserm Schicksal heute näher liegt als die hölderlinsche Abwesenheit.
Das Hier und Heute Celans ist einem ausgehaltenen ständigen Wechsel von Bewußtsein und Wahn zu verdanken. Dieses Aushalten hat keine heroischen oder mythischen Züge. Es wäre gut, wenn Celans Freitod dieses Frühjahr in der Seine nicht zur Legende würde. Lob wie Tadel, Hymne wie Pamphlet sind gleich unzulässig und undurchlässig für konkrete Sprachschicksale wie die Hölderlins und Celans. „Niemand / zeugt für den / Zeugen“, weiß Celan und nimmt es auf sich. Und trotzdem: jeder, der zu einer Kommunikation mit dem Celanschen Wort kommt, muß auch seinerseits das Wagnis des Dichters als Zeugen auf sich nehmen und für den Zeugen zeugen. Auch wenn er daran scheitert oder wegen Meineids verdächtigt wird.
Das Wagnis Celans war es, aus abgründigem Leid heraus durch Formung der einzig ihm gebliebenen Realität, der Sprache, die als unsinnig verfemte Welt des Wahns aufzuschließen und ihre einfachsten, die nur aus einem Subjekt, Wahrheit zu begründen — in dem Richtungssinn, wie es Simone Weil nach einer Aufführung des Lear erkannte, daß Narren, „Wesen auf der niedersten Stufe der Demütigung wirklich imstande sind, die Wahrheit zu sagen“. Mit diesem Wissen der Simone Weil steht doch wohl auch der Satz Celans im Gespräch mit mir: „Lyrik ist Mystik“ im Zusammenhang.
Celan als Glied des gedemütigten jüdischen Volkes hat die ,Wahrheit‘ in seinem Werk, das in seinem Kern ein Dialog mit seiner gemordeten Mutter ist. Er konnte kraft des einmaligen Formgeistes in ihm, durch sprachliche Verrückung der Maßstäbe und Perspektiven und Proportionen in Wortwahl, Syntax, Zeilenfügung, eine neue Realität durchsetzen gegen die Irrealität der konventionellen, scheinnormalen Welt, die millionenfachen Mord beging und begeht, nicht nur im öffentlichen Schicksal der Völker, sondern im intimen Alltag der einzelnen, in frühester Kindheit. Gegen die Verformung durch die Heuchelei des Normalen ist eine Verrückung und Verrücktheit nötig, die nicht nur durch den Gegendruck der etablierten Außenmacht, sondern auch durch den im eigenen Innern gefährdet ist. Celan setzte sich buchstäblich dafür mit seinem Leben ein, bereit, wie Erhart Kästner schon in seiner Bremer Rede auf Celan vorahnend wußte, das Gelingen seiner Gedichte mit dem „Lebenspreis“ zu bezahlen. Celan wagte syntaktisch die schwierigsten Sätze. Aber er konnte selbst die einfachsten, die nur aus einem Subjekt, Prädikat und Objekt bestehe, durch Wortwahl so verrücken, daß sie den sogenannten normalen Sprachverstand außer Gefecht setzen: „Bluthufe scharren die Denksträuße zusammen“, heißt es da. Oder: „Die vertanen / Brückenzölle, geharft, / durchmeißeln die Kalkschlucht.“ Oder: „Die Panzerlurche / nehmen die blauen Gebetsmäntel um.“ Solche Sätze als Surrealismus und Absurdität zu klassifizieren, wäre falsch. Sie wollen nicht provozieren und kommen nicht aus dem Unbewußten. Sie kommen aus einem sehr präzisen Vorstellungsbereich und brechen die Schale der durch Konvention unpräzis und bequem gewordenen Bildwelt auf für eine neue Realität.
Es wird die Aufgabe kommender Interpreten sein (so manches Klärende etwa Beda Allemann, Peter Paul Schwarz, Alfred Kelletat u.a. schon geleistet haben), über das Thematische hinaus die Verrückung der Perspektiven durch Einblick in die sprachlichen Neufügungen aufzudecken (wie das etwa kürzlich für Hölderlin Winfried Kudszus begonnen hat) und darüber hinaus die Begründung einer Sprache durch Aufbrechen der Syntax und des Verses durch eine ebenso differenzierte wie subtile Rhythmisierung der Sätze und Zeilen. Viel näher als dem Surrealismus steht Celan der abstrakten Malerei, etwa eines Nicolas de Stael, der dasselbe Ende nahm wie Celan und vielleicht aus denselben menschlichen wie künstlerischen Gründen. Der sich aufzwingende Rhythmus eines beliebigen Gedichts, etwa des „Flimmerbaum“ aus der Niemandsrose, die syntaktischen Wort- oder Teilsatzwiederholungen, die am Zeilenende verzögerten oder in die neue Zeile hinübergezogenen Präpositionen oder Artikel, die Schrecken zu bewahren: verteilten Farbflecken der Grundwörter, die Verwandlungen der Aussagen in Fragen in Antworten — alles erzeugt eine abstrakte Grundmelodie, die deutlicher spricht als eine vordergründige Realbedeutung. Durch die zunehmende Engführung im Werk Celans wird angesichts der Verschlüsselung ohne Klartext die Information durch die Form immer entscheidender, die syntaktischen Bezüge sprechen mehr zu uns als die Sinnbezüge. Was zuletzt unverständlich bleibt, ist nicht subjektiv, paradox, willkürlich. Die Sprache dieser präzisen Dunkellyrik ist das genaue Äquivalent zu unserer undurchschaubaren Weltexistenz.
Beim späten Hölderlin heißt es: „Augen hat des Menschen Bild… Der König Ödipus hat ein Auge zuviel vielleicht.“ In einer Dissertation über Celan wurde statistisch nachgewiesen, daß im Frühwerk das Wort ,Auge‘ am häufigsten vorkommt. Nun kann man für eine Suppe die Linsen einzeln zählen, anstatt sie in einem Schub in den Topf zu schütten. Es geht aber darum, daß zu jenem Hölderlinvers eine genaue Beziehung besteht und im gesamten Werk Celans das Auge nur genannt wird, um es angesichts des Schicksalsablaufs blind werden zu lassen, dunkel zu lassen vor dem „Lichtzwang“. Das Auge Celans „dunkel: als Hüttenfenster“ hat das Entsetzliche des jüdischen Massenmords eingesammelt; Celan hat das Auge der ermordeten Mutter vor sich, das er wie ein Kind im Arm wiegt, um es vor dem Schrecken zu bewahren:
DEIN AUGE IM ARM,
die
auseinandergebrannten,
dich weiterwiegen, im fliegen-
den Herzschatten, dich
Wo?
Mach den Ort aus, machs Wort aus.
Der Sprachlosigkeit vor dem Unbegreiflichen, der das Celansche Gedicht in ständiger Gegenbewegung abgemüht wird, entspricht die Augenlosigkeit, die zu einem Schlüsselwort wird: „Du, die du’s sprachst in den augen- / losen, den Auen“, heißt es in der Niemandsrose, und in der Atemwende: „Vom großen / Augen- / losen / aus deinen Augen geschöpft.“ In Fadensonnen aber ist die Befreiung da: „die Augenlosen ohne Gestalt / führen dich frei durchs Gewühl.“ Das Auge schmerzt nicht mehr, es ist zu einem Ding geworden, es erfährt nicht mehr, man kann es beliebig behandeln: „ein Aug, in Streifen geschnitten“ (Atemwende) und „Ein Auge, dem Arzt / aus der Niere geschnitten“ (Fadensonnen). Die Hilfe war von einem andern Schlüsselwort gekommen. In der ,Engführung‘ am Schluß von Sprachgitter hieß es schon: „es blieb / Zeit, blieb, / es beim Stein zu versuchen — er / war gastlich, er / fiel nicht ins Wort.“ Gleichgültig, ob es statistisch stimmt: das Wort Stein verdrängt das Wort Auge im Prozeß des Werks. Beim Stein kann man vertrauend verweilen, er war schon sprachlos, empfindungslos, todlos, augenlos. Von ihm aus konnte man wieder anfangen, wieder in die Welt hinausgehen, das Böse vermeiden: „Ein Stein, / der die Teufelssteige umgeht“, „Der Stein, / schläfennah einst, tut sich hier auf“ und „Der Stein trat aus dem Berge“, heißt es in der Niemandsrose.
Die Paradoxie der Welt wird einfaches Ereignis: nachdem das geliebte Lebendige leblos gemacht worden war, wird das Leblose, der Stein, lebendig: „mit der Flugwurzel, der / Steinatem zuwächst“. Der Stein kann in Wahrheit fliegen oder schreiben: „wo die Steinboote fliegen“ und „mit von Steinen geschriebenen Schatten“, steht es nun in der Atemwende. Trotz des Grauenvollen war es im Dialog mit der Mutter zu einem der glücklichsten, leichtgewichtigsten Gedichte gekommen, die Celan geschrieben hat:
DIE HELLEN
STEINE gehn durch die Luft, die hell-
weißen, die Licht-
bringer.
Sie wollen
nicht niedergehen, nicht stürzen,
nicht treffen. Sie gehen
auf,
wie die geringen
Heckenrosen, so tun sie sich auf,
sie schweben
dir zu, du meine Leise,
du meine Wahre —:
ich seh dich, du pflückst sie mit meinen
neuen, meinen
Jedermannshänden, du tust sie
ins Abermals-Helle, das niemand
zu weinen braucht noch zu nennen.
Und kurz darauf begrüßt er die Augenlosigkeit des Steins, dem er die bleibende „Graugestalt“ seiner Mutter verdankt, die er nun als Augenloser in tausend Verwandlungen sehen kann, hier als „hellflügelige“ kleine Phaläne:
aaaaaaugen-
loser du, Steinblick, mit dem uns
die Erde hervortrat, menschlich…
Das Du der Mutter, das sich zuzeiten in das Du der Schwester oder der geliebten Frau verwandelt, muß bei Celan mit der gleichen Scheu als geheimnisvolle Realität geachtet werden wie bei Trakl dessen Schwester. Damit ist der Inzest-Gedanke angesprochen, der, ins Zeitlose gerückt, eine andere Perspektive bekommt. Celan hat die Wahrheit nicht verschleiert. In dem Gedicht „Am weißen Gebetriemen“ aus der Atemwende schreibt er in Erinnerung an die Öfen der KZ: „biß sich mein kletternder Mund fest, noch einmal, / als er dich suchte, Rauchspur / du, droben, / in Frauengestalt“ — und am Schluß: „wie weit / ich dich ins Tiefe stieß, wo / dich mein bitterster Traum / herzher beschlief, im Bett / meines unablösbaren Namens“. Der Name ist unablösbar, aber auch hier wieder ist der Stein hilfreich. Man kann ihn fortwälzen: „Fortgewälzter Inzest-Stein“ heißt die Überschrift eines Gedichts gegen Ende des letzten von ihm veröffentlichten Gedichtbands. Um so ergreifender ist die Losgelöstheit, mit der er in der postumen Lyrik noch oder wieder sehen kann. Zwar steht da in Zeilen, die dem Band den Titel — Lichtzwang — gaben: „Doch konnten wir nicht / hinüberdunkeln zu dir: / es herrschte / Lichtzwang“. Und es sind „Wahngänger-Augen“, in die die übrigen Blicke münden. Aber dann steht im Kontrast zu dem Lichtzwang ein ganz erhelltes Gedicht da, in dem erneut die Augen aufgehn und das Gesicht der Mutter:
ICH KANN DICH NOCH SEHN:
ein Echo,
ertastbar mit Fühl-
wörtern, am Abschieds-
grat.
Dein Gesicht scheut leise,
wenn es auf einmal
lampenhaft hell wird
in mir, an der Stelle,
wo man am schmerzlichsten Nie sagt.
Ohne Zweifel ist Celans Wort zunächst ein Dunkelwort, seine Sprache verschlüsselt, ohne Klartext. Und ohne Zweifel kann man ihm nur nahekommen über die abstrakt erfaßte Form seines rhythmisierten Zeilengefüges. Dann aber kommt ein Heimischwerden in seiner Sprache und, nach unermüdlich wiederholtem Lesen der einzelnen Gedichte und dann der einzelnen Bände als Ganzes, der beglückende Augenblick, in dem der Text in einem sehr subtilen Sinn ,klar‘ wird, in dem das Schwere leicht wird: die Steine „schweben“, und wir finden die Tür zu einer neuen Wirklichkeit. Wenn wir dem dahingegangenen Begründer dieser Wirklichkeit einen Nachruf nachschicken, ist es kein ,Nach-Rufen‘ nach dem Vergangenen, in der Trauer über seinen Freitod nach dem Entsetzen über den Massenmord, sondern, wenn es heute schon möglich ist, ein Vor-Schweigen vor dem Zukünftigen, eine — schwermütige — Hoffnung auf das Freiwerden seiner Gestalt.
Franz Büchler, Neue Rundschau, Heft 3, 1970
– Am Grabe Paul Celans. –
Nach einigen Tagen Aufenthalt in einem Vorort im Süden von Paris bat ich Carole, meine Gastgeberin, mich nach Thiais zu fahren.
„Thiais? In der Nähe von Orly? Was willst du denn dort?“ – Ich sagte es ihr: Paul Antschel. Oder Celan. Er hat sich in der Seine… – „Ach ja, den Lyriker meinst du? Tut mir so leid, aber ich bin noch immer nicht dazu gekommen, seine Gedichte zu lesen.“
Ich verstehe Carole. Wer kannte ihn schon in Paris? Hatte ich mich doch damals, wenige Tage, nachdem man Celan seineabwärts gefunden hatte, an seinem Arbeitsort in der Ecole normale supérieure, nach ihm erkundigt. Für die Sekretärin war er „ein Professor weniger, es sind so viele, wie soll ich sie alle kennen, manchmal, ja, da stirbt einer, das kommt öfter mal vor“. Im Grunde war man erstaunt. Eine Schweizerin, die fragt, wo man Celan begraben habe. Man musterte mich mit irritierten Blicken. Studenten und Lehrer kamen herein, gingen hinaus. Flüstern. Was sucht sie? Das Grab dieses Celan? Achselzucken. Niemand schien sich für ihn, seinen Tod zu interessieren.
Draußen, im düsteren Häuschen innerhalb des Portals, saß die Pförtnerin und las in einer Illustrierten. Mein Eindringen in den Hof war ihr entgangen. Jetzt schaute sie auf und blickte mich fragend an.
Celan, Antschel? Ja, so hieß er, schrieb Gedichte, deutsch, ich verstehe diese Sprache nicht, schade, hätte gern was von ihm gelesen, krank war er (sie greift sich an den Kopf), schon lange, armer Mensch, hat mich immer so freundlich gegrüßt, wenn er eintrat, durch das Tor, die andern, wissen Sie, die gehen da einfach vorüber. Ja. Man hat ihn gefunden. Wo? Ach, weit außerhalb der Cité. Irgendwo. Begraben? Weiß ich nicht. Unsere Schule ist groß, da stirbt immer wieder einer, Lehrer, ältere natürlich, oder ein Schüler, aus Liebeskummer und so. Schade um den Professor.
Einen Augenblick lang schien sie wirklich betrübt. Ich hatte ihre Zeit überschritten, sie wandte sich wieder ihrer Illustrierten zu.
Irgendwo hatte ich gelesen, Celan sei in Thiais, südlich von Cachan, bestattet worden, und Cachan, meine Pariser Wohnstadt, liegt südlich der Porte d’Orleans, in deren Nähe Celan gelebt hatte und wo ich ihn 1970, einige Tage zu spät, hatte aufsuchen wollen.
In Thiais ist ein Teil des weit angelegten Friedhofes, 123 Parzellen sollen es sein, für die Pariser Region reserviert. „Feld 31“ steht auf meinem Zettel. Auf unseren suchenden Blick kamen einige Friedhofsdiener vom Haupteingang herüber, freundliche Leute, bereitwillig wiesen sie uns den Weg: immer der breiten Allee entlang, dann, nach dem Denkmal dort vorn, nach rechts.
In den Bäumen rauschte der Wind, die Sonne stach, umgarnt von drohenden Wolken. „Nicht einmal Blumen bringen wir mit“, sagte ich. Aber sicher wäre Celan ein Strauß Rosen jetzt nicht so wichtig. Wir suchen nach der „Straße“, die zum Feld 31 führt. „Bevor der Regen kommt“, so Carole, „möchte ich das Grab gefunden haben.“
Thiais ist kein Friedhof wie der Père Lachaise“ oder der „Montmartre“ mit seinen steinübersäten Monumenten und den Grabmälern berühmter Namen. Thiais gleicht eher unseren Kirchhöfen: Gräberreihe an Gräberreihe, jeder nah an den anderen gebettet, ob Straßenfeger oder Dichter, Concierge oder Direktor. Selbst einem Waldfriedhof ist er ähnlich, etwa dem in Winterthur.
Zwei Arbeiter, mit dem Ausheben neuer Gruben beschäftigt, sind uns behilflich, „Jahr?“ 1970. „Hier, in diesem Viertel.“ – Einer möchte Auskunft haben, was für ein Grab wir suchen. Nicht aus Neugier fragt er, wir spüren es. „Celan“, sage ich, „Paul Celan, es könnte auch Antschel stehen auf dem Stein.“ Der junge Mann weiß es nicht, auch scheint er irritiert. Vor einem Jahr war sein Arbeitsplatz anderswo. „Wenn er hier liegt, werden wir ihn bestimmt finden. Nur Geduld.“ Hinter seiner Stirn arbeitet es, aber wagt nicht, die Frage zu stellen: warum wir hergekommen sind, wenn wir nicht einmal wüßten, wo der Tote liegt. Fremde, wird er denken, Fremde.
An frisch ausgehobenen, mit Brettern verschalten Gruben vorbei stoßen wir fast gleichzeitig auf den flachen Marmorstein, der die Grabstätte in ihrer ganzen Länge, bis auf einen etwa 30 Zentimeter breiten, zum Anpflanzen ausgesparten Streifen, waagerecht deckt. Wir beugen uns über den Namen. Die Buchstaben sind eingemeißelt und mit Gold grundiert: Paul Celan, 1920–1970. Und darüber: François Antschel-Celan, 1953 (Sein Bruder? Oder – sein Kind?). Nichts sonst. Kein Blumenschmuck. Weder Türkenbund noch Rapunzel. Nichts. Nicht einmal eine „Niemandsrose“.
Die Sonne spiegelt sich im schwarzen Stein. Vielleicht hätten wir doch Blumen mitbringen sollen. Seltsam. Ich habe an Celan gedacht, den Menschen, der litt. Und nicht an Blumen, an „Geborgtes“ kurze Zeit. Ich könnte mir vorstellen, er mag das lieber, was hier wild wächst: Mohn, den er geliebt hat, den „Mohn des Vergessens“, leise wiegend in Feuerzungen, glutend auf dem nachtdunklen Marmor, und auf der anderen Seite wilder Senf, strahlendes Gelb, „wie Sternfüße“, oder könnte es auch Raps sein? Ich kenne mich zu wenig aus, aber Kreuzblütler sind es sicher. Nur wo der Platz für Blumen einbezogen ist, wuchert Unkraut, blütenlos, ein paar Büschel Gras, „Nachthalme“, vergilbt. Paul Celans Grab blüht.
Die Sonne zieht ihr Licht vom Stein. Wir stehen noch einige Minuten in der Stille. In mir wachsen tonlos Worte, „zwei Mundvoll Schweigen“. Wieder wirbelt der Wind von Baum zu Baum. Draußen vor dem Tor, fallen die ersten Tropfen.
Lilly Ronchetti, die horen, Heft 104, 4. Quartal 1976
„Im Nichts einer Nacht“ – Erste Begegnung (1952)
Um Österreich zu entfliehen, einem Lande, das wenig geneigt war, seiner jüngsten Vergangenheit als „Ostmark“ des Großdeutschen Reiches gerecht zu werden, wollte ich fort von dort, wollte mich anderswo etablieren, in einer der altbewährten Demokratien, am liebsten in einer der großen Hauptstädte wie etwa London. Mein Ziel war es auch, Universitätsstudien auf eigene Kosten anzustreben, ohne Unterstützung durch Familie oder Staat – ein Ding der Unmöglichkeit im damaligen Österreich, und schon gar in Linz, das noch keine Hochschule besaß. Schließlich fiel meine Wahl auf Paris, wo ich im Juli 1951 schon erste Eindrücke gesammelt hatte, um mich dann, ab November desselben Jahres, dort niederzulassen. […]1
Mittlerweile, im Laufe des Juni 1952, kam mein Bruder, Herbert Eisenreich, der kurz zuvor an der Versammlung der Gruppe 47 in Bad Niendorf, in der Nähe von Lübeck, teilgenommen hatte, nach Paris zu Besuch. Er lud mich ein, ihn zu begleiten, indem er mir sagte:
Ich werde dich mit einem wirklich hervorragenden Dichter bekannt machen, mit jemand durchaus Besonderem.
Es war Paul Celan. Er sagte auch:
Du wirst sehen, schon seine Art zu sprechen, seine Haltung und Art zu gehen ist nicht so wie die jedermanns.
Und in der Tat, so sah ich ihn auch später: nicht besonders groß, den Kopf leicht nach vorne geneigt, der Blick seiner dunklen Augen zugleich werbend und aufmerksam, so zog er durch die Straßen und Gassen, neben der Zeit, ihr immer um einen halben Schritt voraus und mit tausend Schritten im Früher festgenagelt. Unruhig und gesammelt in einem. Seine Stimme war angenehm und wohlklingend, ganz ohne Emphase, die Intonation meinem Sprachgefühl wohl vertraut: mir war, als sei in seiner Gegenwart die Fremde weniger fremd. Damals verbrachten wir den Abend und einen guten Teil der Nacht zusammen – er, um uns das geheimnisvolle Paris im Herzen des Quartier Latin, wo er wohnte, zu zeigen; wir, um ihm, bezaubert, zuzuhören: er war ein Dichter, aber auch, das steht außer Zweifel, zu jeder Zeit ein Verführer, mit einem feststehenden Repertorium an Zauberkünsten. Er wies auf den herbstzeitlosenfarbigen Himmel von Paris, er ließ uns hinuntersteigen zum Seine-Ufer und wollte, dass wir den sehr besonderen Klang der Eisenringe hörten, wenn sie auf den Mauern der Quais aufschlugen, Ringe, an denen früher die Schiffe befestigt wurden. Das Motiv des herbstzeitlosenfarbigen Himmels findet sich im Gedicht „Erinnerung an Frankreich“, im damals noch unveröffentlichten Band Mohn und Gedächtnis und zuvor schon in Der Sand aus den Urnen, aber nicht in der letzten Nummer der von Otto Basil in Wien edierten Zeitschrift Plan. Obwohl ich, noch in Österreich, durch meinen Bruder zu einigen Heften dieser Zeitschrift Zugang hatte, glaube ich nicht, die 17 von Celan darin veröffentlichten Gedichte gelesen zu haben. Ich sehe noch den roten Umschlag, weiß noch mit Sicherheit, dass sie als avantgardistisch und oppositionell galt, und sogar als sozialistisch mit kommunistischer Tendenz – eine Richtung, welche die österreichische Politik der unmittelbaren Nachkriegsjahre und auch, inmitten der Trümmer, das erstaunlich vielfältige Kulturleben Wiens bestimmte.
Ich erinnere mich, dass ich in jener Nacht ein grünes Kleid trug, das im Wind flatterte, als Celan mir die Hand reichte, um die Stufen vom Quai hinaufzusteigen; wir flanierten in den engen Gässchen rund um Saint-Julien-le-Pauvre; in der Nähe des Odeon-Platzes führte er uns zur Cour du Commerce Saint-Andre (in meiner Erinnerung auch „Passage Danton“ genannt), einem geheimnisvollen, halb versteckten Ort, wo angeblich die Guillotine an einer Ziege ausprobiert worden war.
Irgendwo haben wir dann auch zu Abend gegessen; wenn ich nicht irre, war es in einem „Griechenbeisel“ (wie man in Wien sagen würde), L’Acropole, in der Rue de l’École de Médecine gelegen, damals das einzige seiner Art und bis heute in Betrieb. Auch später noch hat er, soviel ich weiß, dieses Lokal besucht – es lag ja gleich neben dem Institut d’Études germaniques, wo er 1956/57, die Aufgabe hatte, die Studenten der École Normale Supérieure de Saint-Cloud in die Geheimnisse des Übersetzens einzuweihen. Zu seinen Gepflogenheiten gehörte es auch, das gegenüberliegende winzige Café eines Zuckerbäckers aus Böhmen, berühmt für seine Missmutigkeit und seine Apfelstrudel, aufzusuchen. Es existiert immer noch. Später erfuhr ich, dass in derselben Straße Celans Onkel, Bruno Schrager, vor seiner Deportation gewohnt hatte und dass Celan ihn dort im November 1938, zu Beginn seines ersten Frankreichaufenthalts, besucht hatte.
Hat er uns auch, als wir unseren nächtlichen Rundgang fortsetzten und er die Bedeutung des „Vert-Galant“ erklärte, von Paris als dem „Schifflein“ gesprochen, dem Wahrzeichen der Stadt, das dann in Mohn und Gedächtnis, im Gedicht „Auf hoher See“, genannt wird? Mich dünkt, dass er diese Emblematik gleichfalls erwähnte. Vermutlich handelte es sich auch um Hinweise auf konkrete Zusammenhänge für meinen Bruder, der verschiedene Gedichte möglicherweise schon gehört oder gelesen hatte. Hat Celan uns damals die Fenster der Wohnung in der Nähe des Pont Neuf gezeigt, am Quai de l’Horloge, die Chagall bewohnte? In unmittelbarer Nähe befand sich der Flinkersche Buchladen, ein Treffpunkt der literarischen Welt, wo man deutschsprachige Literatur erwerben konnte und der gelegentlich seine Umfragen aussandte, auf die Paul Celan zweimal, in den Jahren 1957 und 1960, antworten wird – kleine Stellungnahmen zur deutschsprachigen Lyrik und zur „Zweisprachigkeit“, die mir aber nie zu Gesicht gekommen sind. Es war eine besonders schöne Sommernacht, eine Nacht voller Zauber, und die Stadt, die damals noch fast frei von Automobilen war, zeigte sich flimmernd in allen Nuancen, von Weiß über das Silbergrau der noch nicht von altem Staub gereinigten Fassaden bis Schwarz reichend. Von diesem Augenblick an erschien mir Paul Celan als überaus liebenswert. Ein Gefühl, das ich für mich behielt. Aber schon von diesem Zeitpunkt an fiel mir auf, wie sehr sein Leben und sein Dichten ein und dasselbe waren.
Im folgenden, während ich meine Kenntnisse der französischen Sprache, Geschichte und Literatur an der Sorbonne erweiterte, kam ich manchmal zu Celan auf Besuch in seinem in der Nähe gelegenen Zimmer im Hôtel d’Orleans in der Rue des Écoles. Er war immer sehr liebenswürdig und aufmerksam, er erzählte mir von seinen Studien, klagte auch über das ewige Leben im Hotel, dem er gerne entrinnen wollte, über die rüde und unverständige Art und Weise des Hotelbesitzers und überhaupt über eine derartige Existenz – vier ganze Jahre schon hatte er schließlich, seit seiner Ankunft in Paris im Jahr 1948, dort zugebracht. Das Hotelzimmer befand sich, soviel ich mich erinnere, im obersten Stock, war verhältnismäßig geräumig und hatte sogar einen Balkon. An einem Wintertag traf ich ihn in der Rue des Écoles, in Begleitung von Gisèle de Lestrange; ich war zusammen mit einigen Österreichern, die auch Celan kannten – darunter der Maler Kurt Moldovan und ein angehender Filmemacher, der mit einem Äffchen auf der Schulter Paris zu durchwandern pflegte. Er stellte sie uns als seine Verlobte vor, nach einigen Worten trennten wir uns wieder. Moldovan meinte, nicht ohne Zynismus, dass eine Heirat mit einer Französin ihm die von allen heimatlosen Ausländern eifrig angestrebte Naturalisierung erleichtern würde. Es muss kurz vor seiner Eheschließung am 23. Dezember 1952 gewesen sein. In der Folge stellte ich natürlich meine sporadischen Besuche ein.
Schuberts „Unvollendete“ (1953–1957)
Ich erinnere mich nicht mehr, ob Paul Celan selbst es war, der mir seine neue Adresse im 16. Bezirk, 5 Rue de Lota, mitgeteilt hatte, und wenn ja, wann und wo, oder ob sie mir durch irgend jemanden aus meinem Bekanntenkreis übermittelt worden war.
In einem sehr alten, zerknitterten Adressbüchlein aus den Jahren 1953/1954 finde ich jedenfalls diese Adresse eingetragen und sogar eine andere, seine Aufenthalte im Landhaus der Familie Lestrange, unweit von Paris, „Tournebride, Grand-Bourg par Évry-Petit-Bourg“ betreffend. Ich weiß aber noch, dass ich ihm, unter dem Vorwand einer literarischen Angelegenheit, eine Botschaft dorthin schickte. Ich selbst war, nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in der internationalen Studentensiedlung Cité universitaire, im Herbst 1953 – ich glaube, im September – in ein Zimmer im 7. Stock eines großbürgerlichen Hauses der Avenue Kléber, an der Ecke der Rue Boissière, also im selben Bezirk und nicht weit vom Trocadero, eingezogen. Statt einer Antwort hörte ich eines Abends jemand ganz unten auf der Straße das bekannte Motiv der 8. Symphonie von Schubert, der sogenannten „Unvollendeten“, pfeifen, ein, wie ich sofort erkannte, mir zugedachtes Signal. Celan kam zu mir, in mein kleines Zimmer hoch oben unter den Dächern, und so begann eine Beziehung, die fast neun Jahre lang gewährt hat. Von allem Anfang an war mir klar, geradezu schlagartig, dass ich in etwas Schweres hineinging, dass es sich um keine Liebschaft der Art handeln konnte, deren Ort, Namen, Umstände, wenn ihre Zeit vorbei war, man leicht vergessen könnte.
In dieser ersten Zeit waren seine Besuche selten. […] Doch erinnere ich mich genau an Celans zweiten Besuch. Den Aschenbecher vom ersten Mal hatte ich, einer gewissermaßen fetischistischen Regung folgend, nicht entleert, gleichsam um das Ereignis zu verlängern. „Hier wurde aber viel geraucht“, meinte er, und ich klärte den Sachverhalt nicht auf. Mir lag offensichtlich daran, den schwebenden Charakter des Anfangs unserer Begegnung nicht zu verlieren. Instinktiv wusste ich, dass ich, wollte ich diesen erhalten, meine Gefühle nicht zu sehr zeigen sollte. Dieser Beginn fiel in die Zeit der großen Leiderfahrung des Ehepaars Celan, Anfang Oktober 1953, als das erste Kind, François, die überaus schwere Geburt nur um wenige Stunden überlebte. Auf Celans zu diesem Zeitpunkt zwangsläufig einsamen Wanderungen durch die Stadt lag ihm meine Wohnstätte, wenn ich so sagen darf, gewissermaßen als Trost- und Haltestelle am Weg; und so erzählte er mir denn von diesem Kummer sowie, einen Monat später, von dem Besuch von Assisi, der Gedächtnisstätte des Bettelbruders Franz, der ihn sehr bewegt hatte. Dieser Besuch ist, wie man weiß, im Gedicht „Assisi“ festgehalten. Celan dürfte dort, in der Basilika, auch die Fresken von Giotto gesehen haben, wo mystische Elemente aus dem Leben des Franziskus, die ihm wichtig gewesen sein mögen – der Empfang der Wundmale und die Rede mit den Vögeln –, dargestellt sind. Auch hörte ich etwas später vom Eintritt seiner Schwiegermutter, Odette Marquise de Lestrange, in einen religiösen Orden. Auf seine Verbindung mit dem alten Adel Frankreichs war er ein wenig stolz, wie ich bemerkte, als er mir einen schönen, von seiner neuen Familie erhaltenen Ring, eine Art Siegelring, zeigte – da manifestiere sich eben die „vieille France“, meinte er dazu, das heißt die Zugehörigkeit zu den alten Adelsgeschlechtern, im Unterschied zu der jüngeren, postnapoleonischen Noblesse. Als im Frühjahr 1954 sein Gedichtband Mohn und Gedächtnis in zweiter Ausgabe erschien, brachte er ihn mir zum Geschenk. Ich wüsste nicht mehr zu sagen, ob wir über die darin enthaltenen Gedichte oder gar über die Wiederaufnahme von Gedichten aus dem Band Der Sand aus den Urnen längere Gespräche geführt haben; und dies, obgleich sie mir alle, auch die „Todesfuge“, damals noch ganz unbekannt waren. Sie schienen mir aber so einprägsam, dass ich bald so manche Stellen auswendig wusste.
Um meine Anwesenheit zu signalisieren und um dem Besucher den unnützen Aufstieg über die steile Treppe in den 7. Stock zu ersparen, befestigte ich ein weißes Tuch an meinem Fenster, wo es als „Fahne“ seinen Zweck erfüllte. Dieses Wort war zudem mit großen Lettern auf die Tür gemalt, damit ich beim Weggehen nicht vergäße, das Tuch hereinzunehmen; es spielte in unseren Gesprächen als Zeichensprache eine gewisse Rolle: Es meinte ja Gegenwart, Erwartung, mögliches Zusammensein. Es meinte den Reiz und die Schönheit des „Augenblicks“, das Wehen der Vergänglichkeit. Es meinte den „Nu“ in der Zeit, über dessen Seltsamkeit, schon als Wort und in seiner Unfassbarkeit, wir beide gelegentlich staunten. Schuberts Melodie, gepfiffen, diente weiterhin als Kommunikationsmittel – als Aufforderung also, dass ich auf die Straße hinunterkommen sollte. Ich fand die Wahl dieses musikalischen Motivs nicht vom Zufall diktiert; ob das nun stimmte oder nicht, ich empfand sie als Bestätigung für das Zusammenspiel der Neigungen. Schon als Jugendliche hatte ich Schuberts kurzes und ergreifendes Leben als Thema für Redeübungen in der Schule gewählt, und seine Musik war mir damals, mehr sogar als die Mozarts, die meist und am liebsten gehörte – seien es die Lieder, die Klaviersonaten oder eben die „Unvollendete“. So fanden wir uns denn auch außerhalb meines Zimmers, in Kaffeehäusern der Avenue Kléber, auf den Bänken des nahe gelegenen Square des États-Unis, auf der Insel Saint-Louis, in einem Lokal namens L’Escale, das es noch heute gibt und das, wie ich jetzt sehe, auch in der Beziehung zu Ingeborg Bachmann eine Rolle spielte. Später trafen wir uns häufig im Quartier Latin, meist in einem Café der Place Saint-André-des-Arts, dessen Namen ich vergessen habe, etwas abseits des Boulevard Saint-Michel, aber nahe des gleichnamigen Brunnens und nicht weit entfernt von der Sorbonne und den damals noch zahlreichen Buchläden gelegen. Vom 16. Bezirk aus, unser beider Wohngegend, war dieser Ort mit der 63er Buslinie leicht und direkt zu erreichen – eine Linie, auf deren Bänken man sich mitunter auch unverhofft gegenübersaß.
Mir war bewusst, dass die starke physische Anziehung, die Celan für mich empfand, ihn beunruhigte. Soviel ich mich erinnere, begleiteten uns zu Anfang keine Liebesäußerungen, zärtliche Worte, geschrieben oder auch nur leise einander zugedacht. Mich dünkt, dass dies seine Art war, seiner Frau die Treue zu wahren. Nur einmal weiß ich noch, dass er mich, als ich ihm weißgekleidet entgegenkam, mit dem Ausruf begrüßte: „Du meine Weiße“; und dass er meine Silhouette mit den Gemälden der unter ihren Schleiern nackten Frauen des Lukas Cranach d.Ä. verglich – war es Lukretia oder Venus, ich weiß es nicht mehr. Sicher ist, dass ich mit dem Vergleich nicht unzufrieden war… Um das Porträt zu vervollständigen: Ich hatte damals langes rotblondes Haar, braun-grüne Augen und einen seit eh und je leicht gebogenen Rücken. Auf viel allgemeinerer Ebene sprachen wir auch von der Ambivalenz der Beziehungen zwischen Mann und Frau, von der gar nicht eindeutigen Zugehörigkeit zum einen oder anderen Geschlecht, ein Gedanke, der von ihm stammte und den ich mir gemerkt habe: Sonst aber? Sicher hätte ich ihm gerne gelegentlich Briefe zugesandt, aber das durfte nicht sein – von allem Anfang an stand alles unter dem Gesetz des Geheimen. Erst Jahre später hat er mir ein goldenes Kettchen geschenkt, das ich heute noch trage, dessen Herkunft aber bisher niemandem bekannt war. Ansonsten tauschten wir, außer Büchern, keine materiellen Andenken oder gar Photographien, unsere Fest- und Feiertage waren nicht von gegenseitigen Wünschen begleitet; ich glaube, wir kannten nicht einmal unsere jeweiligen Geburtsdaten, von Gratulationen dazu ganz zu schweigen. Ganz allgemein könnte man bemerken, wie sehr die Nachkriegsjahre in Österreich zwar liebeshungrig, aber auch ziemlich frei in diesen Belangen waren: das Kriegserlebnis, Not und Entbehrung, Entwurzelung, Völkerverschiebung hatten dazu beigetragen, die Grenzen zwischen den sozialen Klassen zu verwischen; eine gewisse Entbürgerlichung war das Ergebnis, verbunden mit dem Wegfall so mancher Schranken, aber auch einer Art verbaler Prüderie – man hatte Angst vor Sentimentalitäten, man schwelgte nicht in Liebeserklärungen, man wusste von vornherein, dass alle Worte unzureichend waren. Auch ich stand unter dem Einfluss dieser zeitbedingten Tendenz. Es war eine Zeit, in der das heute gängige und gewöhnlich gewordene Vokabular für Liebesleben und Lust noch nicht ganz allgemein im Umlauf war; der vielgestaltige, in die unzähligen Figuren des Lebens verkleidete Eros war nicht allzu geschwätzig. […]
Im folgenden Jahr, 1955, beschenkte mich Paul Celan mit seinem zweiten, seiner Frau expressis verbis gewidmeten Gedichtband, Von Schwelle zu Schwelle (der Titel entstammt einem frühen Gedicht: „Chanson einer Dame im Schatten“). Mir aber schien das Schwellenmotiv im Titel des Buches, ebenso wie das Gedicht „Mit wechselndem Schlüssel“ darin, das sogar einen ganzen Zyklus benennt, sehr konkret auf das Überschreiten der Eingänge zu verschiedenen Wohnstätten hinzuweisen, also auf eine Pluralität der persönlichen Bezugsorte, sowohl im Lauf der Zeit als auch im Nebeneinander. Gerne hätte ich’s gesehen, wenn einer dieser Orte mich gemeint hätte; doch fragte ich nicht danach, um mich zu vergewissern. Dass viele seiner Gedichte sich teilweise auf die Frauengestalten seines Lebens bezogen, war mir eine Selbstverständlichkeit; warum also nicht auch dies oder jenes auf mich? Zum Beispiel war ich eitel genug, „Dies späte, späte Licht“ im Gedicht „Ich weiß“ auf mein von unten her sichtbar erleuchtetes Fenster zu projizieren. Wir sprachen jedoch auch von der Zweitbedeutung des Wortes „Schwelle“, den Schwellen unter den Eisenbahngleisen, wobei er sich, was selten vorkam, an die Zeit der Zwangsarbeiten seiner jungen Jahre, von Juli 1942 bis Februar 1944, in der rumänischen Moldova erinnerte. Hieß dies, wie ich es damals verstand, dass er auch zur Schwerarbeit des Schwellenlegens gezwungen worden war? Wann hat er zu mir von der Ermordung seiner Eltern gesprochen? Von seinem Schuldgefühl, weil er sich in der Nacht ihrer Deportation, Ende Juni 1942, bei einem jungen Mädchen befand, wie er mir erzählte, das seine Freundin war? Von der starken Bindung an seine Mutter? Von ihrer Sprache, die sich an das Prager Deutsch anlehnte, der eigentlichen lingua austriaca, wie sie auch mir geläufig war? Von ihrer Liebe zur Poesie? Vom weniger geliebten Vater? Von diesem wusste ich nur, dass seine Beschäftigung irgendwie mit Holz zu tun hatte – vielleicht ist ihm in der zu Lebzeiten unveröffentlicht gebliebenen „Walliser Elegie“ ein Denkmal gesetzt, in den Versen: „Mauten, Mauten der Heimat. Holzgeruch sommers, am Rand / einer Kindheit […]“, die freilich auch mit einem Werfel-Zitat verbunden sind. All diese Vertraulichkeiten, die im Lauf der Zeit sich ansammelten – ich könnte sie nicht mehr einordnen. Nur sporadisch, eher andeutungsweise denn genau berichtend, kamen sie im Lauf der Jahre ans Licht. Vieles verschwieg er, auch in bezug auf Gegenwärtiges – zum Beispiel Einzelheiten von seinen Reisen und sogar seinen Besuch 1955 bei meinem Bruder in Stuttgart. […]
Was mich anbelangt, so begann ich damals, ohne dass Celan es wusste, mein Erlebtes in poetische Formen zu fassen. Schon in meiner Kinderzeit hatte ich versucht, die Welt im Gedicht einzufangen: „vom somer ein gedicht“ und „vom winter ein gedicht“ hieß das dann in der Schreibweise meiner sieben oder acht Jahre. Worterlebnisse hatte ich schon früh, dergestalt, dass so manches Wort, wenn ich es lang genug im Mund herumdrehte, eine selbständige und fremdartige Substanz annahm, die mit seinem eigentlichen Sinn nichts mehr zu tun hatte und die mich verblüffte. Einige der neueren Versuche wurden in Wort in der Zeit abgedruckt. Die österreichische literarische Zeitschrift wurde von Hanns Winter betreut, den ich bei einem Aufenthalt in Wien kennengelernt hatte, vermutlich im Café Raimund, wo Hans Weigel, umringt von jungen Literaten, Hof hielt. Auch Celan war mit Winter bekannt – schon zuvor hatten sie sich in Paris sogar getroffen, wovon ich meinerseits nichts wusste. Als ich Celan aber diese poetischen Erstlinge zeigte, vermutlich Ende 1956, hat er sie nicht abgelehnt, wie ich befürchtete, sondern sie mit Anmerkungen und Ratschlägen versehen. […]
Im Winter 1956/1957 kam meine Mutter zu Besuch. Eines Abends begab ich mich mit ihr in die Maison des lettres in der Rue Ferou in der Nähe des Jardin du Luxembourg. Es war dies ein von der Sorbonne eingerichtetes Kulturinstitut, halb Klub, halb Konzertsaal. Wir hörten dort die auf Band aufgenommene Kammermusik von Béla Bartok, die damals in Frankreich außer in Kennerkreisen noch wenig bekannt war, präsentiert von André Almuro. Paul und Gisèle Celan waren auch zugegen; man stellte sich vor, tauschte einige wenige Worte – weder er noch ich verrieten unser Geheimnis. Wie wir auch so taten, als ob wir einander nicht kennten, als unsere Wege sich eines schönen Sonntags im Bois de Boulogne kreuzten – Celan mit Gisèle und dem kleinen Eric in einiger Entfernung an mir vorübergehend, ich lesend im Gras liegend: Nur seine und meine Blicke trafen verstohlen aufeinander. […]
Anfang August 1957 kam Paul Celan, um mir, geradezu jubelnd, die gelungene Übersetzung des „Trunkenen Schiffs“ von Rimbaud anzuzeigen – es war ihm wie ein Sieg; ein Sieg, an dem er mich teilhaben ließ: Es kam vor, dass er im Zustand sinnlicher Erregung das Wort „Königin“ ausrief – so auch an diesem Tag. Merkwürdigerweise erschien mir schon damals dieser Ausruf nicht als persönliche Anrede, sondern als etwas irgendwie Rituelles. „In drei Tagen war es da“, wird er an Christoph Schwerin schreiben, um die Übersetzung dem S. Fischer Verlag zur Herausgabe anzubieten, „und es war ein ganz merkwürdiger Zustand.“ Nach langen Monaten verringerter Schaffenskraft, die er selbst mehrfach bezeugte, stellte diese Leistung zweifellos eine Wende dar. […]
War es Ende 1957 oder Anfang 1958, dass er mir Heideggers im Jahr 1957 neu verlegtes Buch Holzwege brachte? „Mit freundlichem Gruß, Martin Heidegger“ steht darin als Widmung; er jedoch sagte mir:
Dieses Buch will ich nicht haben.
Ich glaubte zu verstehen, dass Heidegger mit diesem Geschenk und mit dieser Widmung die Verbindung suchte, eine Verbindung, von der Paul Celan aber nichts wissen wollte. Lange bevor man in Frankreich davon Kenntnis nahm, schon in den Jahren vor 1957, hat er mir die skandalöse Haltung Heideggers nach 1933 gegenüber Husserl geschildert, seine Bindung an den Nationalsozialismus während des Rektorats und auch später. […]
Eine frühere Ausgabe der Holzwege (1950) war allerdings schon seit 1953 in Celans Besitz, mit vielen Anstreichungen versehen, wie aus dem Katalog seiner Bibliothek philosophischer Werke zu ersehen ist – diese allerdings ohne Widmung, im Gegensatz zu so manchen anderen ihm schon vor 1957 und dann wieder später persönlich zugeeigneten Schriften Heideggers. Das mir überbrachte Buch blieb auf meinen Regalen, wo es noch heute ist – merkwürdiger Zeuge einer widersprüchlichen Beziehung.
Auch das Buch Die Perfektion der Technik von Friedrich Georg Jünger, dem Bruder Ernst Jüngers und Freund Heideggers, lieh er mir eines Tags, diesmal aber mit dem ausdrücklichen Wunsch, mich dazu zu äußern. Vermutlich kannte er die Meinung dieses vieldiskutierten Schriftstellers, die ihn aufgestört hatte:
Der Dichter ist überflüssig in der technischen wie der ökonomischen Welt – das macht sein Elend und seine Größe aus.
Selten nur sprachen wir über politische Tagesprobleme. Vielleicht mit Ausnahme des ungarischen Aufstands im Herbst 1956 wie auch der Unruhen im Jahr 1958, als das republikanische Frankreich in Gefahr war und als Michel Debré, der gaullistische Justizminister, mit zitternder Stimme die Bevölkerung im Rundfunk aufrief, wieder die Gewehre der Tage vom August 1944 hervorzuholen. Ich kannte Celans Grundhaltung: im Wesen anarcho-kommunistisch im ursprünglichen und utopischen Sinn, wie sein mir gegenüber geäußerter Hinweis auf die auch im Meridian genannten Theoretiker der Solidarität – Kropotkin und Landauer – beweist; er war äußerst kritisch gegenüber dem totalitären Stalinismus, der sich in intellektuellen Kreisen Frankreichs damals noch eines recht guten Rufes erfreute. Er erzählte mir von den entsetzlichen Lebensumständen der nach Sibirien Verbannten, darunter von einer Frau, die zu seinem persönlichen Bekannten- oder Freundeskreis gehört hatte. Ihr Name blieb mir unbekannt oder ist mir entschwunden. (In Celans Briefwechsel mit Franz Wurm ist ihr Name, Hella Ippen, genannt.) Eines Tages brachte er mir eine Zeitschrift (war es die im Juni 1959 erschienene Nr. 100 von Preuves?), in welcher der italienische Schriftsteller Ignazio Silane als erster die lange Liste der verfolgten und deportierten Schriftsteller in Sowjetrussland publiziert hatte. Darunter Ossip Mandelstamm. Aber manchmal, solang nicht alle Hoffnung ihn verlassen hatte, sang er, meist auf russisch, die revolutionären Lieder seiner Jugend. Es könnte sich um die in Russland sehr beliebte „Warschowjanka“ gehandelt haben, ferner um das „Partisanenlied“ der Roten Armee, vielleicht um das eigentlich trotzkistische „Zimmerwald“ und, auf deutsch, das Brecht/Eislersche „Vorwärts und nicht vergessen“, das Lied von der „Solidarität“, das Celan als „Wiener Liedl“ bezeichnet hat, noch „als Bub in Czernowitz“ erlernt und in einem Brief an Robert Neumann erwähnt; vielleicht war auch „Oviedo“ darunter, des Spanischen Bürgerkriegs eingedenk. Da ich all diese Lieder – vielleicht mit Ausnahme von „Vorwärts und nicht vergessen“ – selbst nicht singen konnte, habe ich sie mir auch nicht genau gemerkt.
Ich war nicht die einzige, die dieses aus der Frühzeit seiner Lebensgeschichte hervorgeholte Singen war und wieder gehört hat; es ist, soviel ich weiß, auch von anderen bezeugt. An wen aber im Gedicht „Flimmerbaum“ in Die Niemandsrose sich die Frage „Weißt du noch, dass ich sang?“ richten wird und ob diese Frage diese Lieder oder sein Dichten insgesamt meint, wüsste ich nicht zu sagen. Viel später, als ich nach unserer Trennung den Gedichtband in Händen hielt, schien es mir, als ob sowohl die zweimal wiederholte, demnach wichtige Frage als auch das „Nimmer“ in diesem Gedicht mich in einem sehr deutlichen Sinn beträfen, um so mehr, als der Vers „es war / eine Freiheit“ dieses „Nimmer“ genauer bezeichnet: „Du meine Freiheit“ war eine der wenigen mündlich und direkt an mich gerichteten Interpellationen gewesen, die ich aufgezeichnet habe; eine Freiheit, deren Verlust ich gegen Ende unserer Beziehung, wie es einer meiner Briefe bezeugt, mehr als anderes bedauert habe. Bei Celan aber wird das Wort von der „Freiheit“, die er mir zugesprochen hatte, zum „anderen Gesetz“, es findet seine gegenläufige, relativierende Entsprechung in einem rückblickenden Brief, den er an seine Frau im Jänner 1965 richten wird:
Für Augenblicke habe ich in diesen letzten Jahren geglaubt, nach einem anderen Gesetz leben zu müssen, aber ganz zuinnerst, von Grund auf, bleibe ich Ihr Mann.
Es gibt viele andere Belege für diese nur scheinbar ambivalente Haltung Celans, zwischen beständiger, fast ritualisierter, aber darum nicht weniger wahrhaftiger Treue zu seiner Frau und den mit dieser Treue als verträglich aufgefassten Exkurs in die Sinnlichkeit der Begegnung mit anderen Frauen – sei es im Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann, sei es im Tagebuch von Gisèle Celan-Lestrange, sei es sogar in meinen Briefen, wo sein Wort von der zu stiftenden „Ordnung“ und sein mehrfaches Bemühen, mich aus der Zwei- wenn nicht Mehrgleisigkeit und der Namenlosigkeit herauszuholen, von derselben, nicht immer ungetrübten Doppeltendenz berichten. Die Schwierigkeit, besonders für die als Partner Betroffenen, bestand in der Unvereinbarkeit des Freiheitsanspruchs mit dem gleichzeitigen, oft geäußerten Ruf nach „Wahrheit“, der im privaten Bereich zur fast rücksichtslosen Offenlegung der gelebten Wirklichkeit führte, andererseits aber im Geheimnis der Dichtung seine eigentliche Aussage fand. Er war der Vielgeliebte, daran ist nicht zu zweifeln; er aber, mit dem Traum von „Freiheit“ und „Wahrheit“ im Herzen, war er der jeweils ganz und immer wieder Liebende?
[…]
Brigitta Eisenreich, in Brigitta Eisenreich: Celans Kreidestern. Ein Bericht. Mit Briefen und anderen unveröffentlichten Dokumenten. Unter Mitwirkung von Bertrand Badiou, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2010
Er las 1953 im Vestibül einer Stuttgarter Villa aus seinem Gedichtband Mohn und Gedächtnis vor. Der getragene Ton seines Vortrags überraschte mich. Und obwohl ich die Assoziationen der Celanschen Verse beim Hören nicht so intensiv wahrnehmen konnte, wie ich mir dies wünschte, war ich mit dem Gehörten einig. Es berührte mich. Und der Mensch, der die Gedichte vortrug, erschien mir als einer, der sich fremd fühlt; weshalb ich dachte, Gedichte und Person seien bei ihm eins.
Der schreibt, wie er ist, sagte ich zu mir und wunderte mich, weil mir aus seinen Versen etwas nahekam, das ich zwar nicht benennen konnte, das mir aber als etwas Besonderes erschien. Der schaut hinters Klotzige, Irdische, Simple, Banale und Triviale, sagte ich zu mir selbst.
Er bewegte sich wie einer, der dem Boden nicht traut.
Ein Jahr später rief mich der alte Lektor des Verlages an, in dem Celans Gedichte erschienen waren, und sagte: „Celan kommt zu Ihnen ins Büro“, denn ich war damals so etwas wie Bürogehilfe bei einem Kulturverein, und Celan kam zu mir, um zu fragen, ob er bei uns wohnen könne.
Im Einfamilienhäuschen, wo ich bei meinen Eltern wohnte, ging’s zwar ein bisschen eng her, doch schien dies Celan nicht zu stören. Er, der immer korrekt gekleidet war, erzählte, wie er mit Klaus Demus in Wien vom Portier des Hotels Sacher abgewiesen worden war, weil sie beide keine Krawatten trugen. Und er brachte mehrere Exemplare meines Buchs Das doppelte Gesicht von der Deutschen Verlags-Anstalt mit nach Hause. Das Buch war ihm gemäß, und er schlug mir vor, ich solle für Klaus Demus „zur Erinnerung an mein schwäbisches Wien“ ins Buch schreiben. Dabei ließ er mich wissen, die Wiener Straßenbahnen seien dunkelrot, während sie bei mir gelb waren wie die Stuttgarter. Doch dabei handelte es sich ja um ein Wien der Phantasie.
„Ich werde für das Buch eintreten“, sagte er und fügte hinzu:
Mit meinen Vorlieben habe ich wenig Glück.
Er bewegte die Hand und lächelte. Dann erzählte er, wie’s bei der Gruppe 47 gewesen war. – „Na ja“, sagte er, „diese Fußballspieler… Da hat einer zu mir gesagt: Die Gedichte, die Sie vorgelesen haben, waren mir sehr unsympathisch. Und dann haben Sie sie auch noch im Tonfall von Goebbels vorgetragen.“ Oder er beschrieb, wie Hans Werner Richter zu einem Kollegen von der Zeitung gesagt hatte:
Und das ist Herr Celan, der macht Gedichte wie… Nun, sagen Sie schon, wie Sie dichten.
Celan machte Richters Geste nach und fuhr fort:
Ich habe geantwortet: Nun, doch hoffentlich wie ich.
Er erzählte auch von Böll und sagte:
Der ist rund. Er hat mir das Schema seines neuen Romans gezeigt, eine graphische Darstellung mit mehreren Farben. „Jetzt muss ich wieder mal Blau nehmen“, hat Böll zu mir gesagt.
Wir gingen zu dritt ins Feuerbacher Tal hinab, das sanfte Hügel hat. Er kannte sich in Blumen und Gräsern aus und gab meiner Frau die Blume Augentrost, die klein ist und weiße Lippenblüten hat. Es war ein wolkenschleieriger Tag im Frühling.
Als wir wieder zu Haus waren, sagte er „Ich möchte du zu Ihnen sagen“ und las uns das Gedicht „Nächtlich geschürzt“ vor. Er sagte, das passe zu uns, und er möchte es uns widmen. Dann las er andere Gedichte aus dem Manuskript des Bandes Von Schwelle zu Schwelle vor. Er las bei Kerzenlicht; denn so hatte er es sich gewünscht.
Er erzählte von seiner Arbeit als Lehrer und sagte, die sei für ihn wichtig; sie lenke ihn ab.
Später las er in der Technischen Hochschule und wollte, dass sich meine Frau und ich in die erste Reihe setzten. Hinten hatten die Studenten aus Max Benses Seminar Platz genommen. Max Bense selbst war dabei, und ich erinnere mich, auch einen Autor unter ihnen gesehen zu haben, der konkrete Texte schrieb.
Diese Leute redeten, während Celan las und die Finger auf der Tischplatte spreizte. Einer stand auf, ging hinaus und ließ die Tür laut ins Schloss schnappen. Dann wurde draußen ein Motorrad angeworfen, knatterte und zischte auf der Stelle, bis es endlich wegfuhr.
Celan unterbrach seine Lesung und sagte:
Haben Sie doch Verständnis.
Auf einem Spaziergang blieb er im Pragfriedhof stehen und schaute einem Kleiberpaar zu, das um einen Baumstamm kletterte und Milben aus der Rinde pickte. Er erwähnte diese Vögel, als ich ihn hernach fragte, was ihm von unserem Spaziergang am eindringlichsten in Erinnerung geblieben sei. Solche Augenblicke sind mir mehrere gegenwärtig, und ich sehe Paul Celan vor der Türe meines elterlichen Hauses stehen. Er hat einen dunklen und hochgeschlossenen Mantel an, den auch ein Pfarrer tragen könnte. Oder ich zeige ihm einige Verse, die ich gemacht habe, und er sagt zu mir:
Du musst die Menschen verblüffen.
Wir redeten so gut wie nie über Literatur. Einmal sagte er zu einer Dame, die rötlich gefärbtes Haar hatte:
Für Sie sollte ich ein Gedicht auf ein rotes Ahornblatt schreiben.
Das war nach seiner Lesung im Eßlinger Rathaus. Und ein anderes Mal wohnte er mit seiner Frau Gisèle und seinem Sohn Eric bei uns, und Eric schlief auf einem Sofa aus dem Jahr 1911, das wir mit der Rückenlehne nach außen an die Wand geschoben hatten, damit Eric im Schlaf nicht herausfallen konnte. Eric fragte:
Ist dies ein deutsches Bett?
Ein Jahr später besuchten wir Paul in Paris, wo er nicht weit vom Triumphbogen wohnte und die Fenster aufs Dach hinausgingen. Dort redete ich mit Eric in einer erfundenen Sprache, und Paul erzählte seinem Sohn Geschichten, in denen ein Männlein vorkam, das in der Dachrinne spazierengeht.
Alles allzu harmonisch, wie? Ich weiß, dass man heutzutage Dissonanzen einer Freundschaft ausplaudern soll. Und sie werden lachen, aber zwischen mir und Celan gab es wenig Widriges, 1960 waren wir in Darmstadt, als er den Büchner-Preis erhielt. Dort saß er abends allein abseits und starrte durch ein Fenster in den Hof.
Um diese Zeit wurde er von Claire Goll des Plagiats an den Gedichten Yvan Golls bezichtigt. Ich sagte zu ihm: „Lass doch das blöde Weib schreiben, was es will“, aber es quälte ihn trotzdem und steigerte sein Gefühl, verfolgt zu werden. Hermann Kasack ließ als Präsident der Darmstädter Akademie von Reinhard Döhl eine Analyse der Celanschen Gedichte erstellen, und Döhl widmete sich dieser Aufgabe zwar mit wissenschaftlicher Akribie und Beflissenheit, blieb aber trotzdem parteiisch gesinnt; denn Döhl war damals ein Parteigänger der Konkreten Poesie, die Max Bense als Oberhaupt der „Stuttgarter Schule“ befehligte, wenn ich so sagen darf. Seine Anhänger pflegte Bense als „gute Truppe“ zu bezeichnen.
Döhls Untersuchung verletzte Celan, und er glaubte, meine Frau und ich hätten ihr Zustandekommen verhindern können. Ihm klarzumachen, dass wir keinen Einfluss auf Kasacks Entschlüsse hatten, war unmöglich, und so trat zwischen uns das ein, was man gemeinhin eine Entfremdung nennt. Celan wurde von schweren Depressionen heimgesucht. Ich hörte, dass er geäußert hatte:
Ich gehe nicht mehr gerne nach Stuttgart, weil ich dort Freunde verloren habe.
Doch trotz unserer vorübergehenden inneren Entferntheit blieb unsere Freundschaft unverletzt. Schließlich hat er in den sechziger Jahren auch mit anderen Freunden kritische Zeiten überwinden müssen.
1970, kurz vor seinem Tod, war er in Stuttgart und las aus seinem neuen Gedichtband, der auch klinische Erfahrungen in sich aufgenommen hat. Wenigstens scheint mir dies so, wenn ich seine Verse aus dieser Zeit wieder lese. Und er besuchte uns, und wir redeten zusammen, als hätte sich nichts verändert. Es war auch so und wird immer so sein.
Hermann Lenz, in Paul Celan, hrsg. Von Werner Hamacher und Winfried Menninghaus, Suhrkamp Verlag, 1988
II
Der Zauber Paul Celans ging von seinen Augen aus. Was waren das für Augen! Paul Celan konnte sein Gegenüber zugleich intensiv und zärtlich ansehen, und man meinte: er weiß alles von einem. Und er ist bereit, zu verzeihen. Es war ein wissender Blick. Dieser Blick, das spürte man sogleich, galt nicht nur seinem Gegenüber. Es war ein Blick, dem nichts verborgen blieb und der die ganze Welt umfasste. Ein Blick, der voller Zärtlichkeit war und gleichzeitig voll Verstörung. Das war das Einmalige, Unwiederholbare an ihm: die Gleichzeitigkeit von Zartheit und Verstörung. Celan hatte der Welt Zartheit, Zärtlichkeit entgegengebracht, aber sie hatte sie nicht erwidert. Daher kam seine Verstörung. Celan verstand die Welt nicht mehr. Alles Wissen war plötzlich umsonst. So schien sein Blick ins Leere zu gehen, auch wenn er seine Augen auf den Menschen gegenüber richtete und ihn unverwandt ansah, als wäre dieser der einzige auf der Welt. […]2
X
Vom 1. Januar 1963 bis zum 31. Oktober 1974 – also durch fast zwölf Jahre – war ich für die Ausstellungen der Kestner-Gesellschaft Hannover verantwortlich. Paris war damals ein Traumziel. Mit dem Schlafwagen, der gegen 19 Uhr in Hannover abging und gegen 6 Uhr früh an der Gare du Nord in Paris ankam (wo ich sogleich die Brasserie aufsuchte), unternahm ich etwa alle zwei Monate die jeweils mehrtägige Erkundungstour an die Seine. Einer meiner ersten Besuche führte mich – wohl Ende 1963 oder Anfang 1964 – in die Rue de Longchamp 78 im 16. Pariser Bezirk zu Paul Celan und Gisèle Celan-Lestrange, um ihre Grafik näher kennenzulernen (die ich nur aus Reproduktionen kannte). Ich war angemeldet und wurde überaus freundlich empfangen. Ein Abendessen war vorbereitet, und es war ausgiebig Gelegenheit, die Blätter von Gisèle Celan-Lestrange anzusehen.
Ich habe Gisèle Celan-Lestrange als eine außergewöhnlich sensible Frau kennengelernt, ihrem Mann in treuer Hingabe zugewandt. Wir unterhielten uns englisch – sie sprach nicht (oder nur bruchstückhaft) deutsch, ich nicht französisch. Aber sie verstand sehr wohl (und ich meine auch genau), was Paul Celan mit mir besprach. Er übersetzte dann meine Angaben, die Ausstellung in Hannover betreffend – die Auswahl der Blätter, ihren Transport, die Versicherung.
Ich sprach zu Celan auch von Dr. Bernhard Sprengel und versuchte, ihm dessen Rolle zu erklären. Dr. Sprengel, Mitinhaber einer Schokoladenfabrik, war Musikliebhaber und Vorsitzender der Kammermusikgemeinde, zugleich aber auch der Kestner-Gesellschaft. Bei der Programmgestaltung dort ließ er mir völlig freie Hand. Die Gedichte Celans haben diesen sehr deutschen Mann lange und intensiv beschäftigt.
Ich war von den Blättern Gisèle Celan-Lestranges sehr berührt. Sie machten auf mich einen tiefen Eindruck. Ich war damals – und bin es noch heute – überzeugt, hier große Kunst zu sehen. Viele Blätter waren als Begleitung des Gedichtzyklus „Atemkristall“ von Paul Celan konzipiert. Es ist einfach, das Werk Gisèle Celan-Lestranges kongenial mit den Gedichten Paul Celans zu nennen. Es ist ein Lob, das zugleich eine Einschränkung bedeutet. Vielleicht erklärt es – wenigstens zum Teil – das unverdient geringe Echo, das die Kunst Gisèle Celan-Lestranges bisher in der zeitgenössischen Kunstszene gefunden hat. Alles, was Gisèle Celan-Lestrange machte, war an Paul Celan adressiert und auf seine Dichtung fixiert. Darum zweifelte ich, ob es auch unabhängig von dieser Bestand haben, vor allem aber Wirkung erzielen könnte (obgleich fraglos die Qualität dazu in ihm angelegt war). Es gehörte zum Werk Paul Celans, aber als etwas Eigenes, als etwas, was es sonst nicht gab, was nirgendwo anders als hier existierte. Es war eine verschlüsselte Reaktion auf die Fragen, die in Celans Lyrik enthalten waren. Verschlüsselt durch die diesen Blättern eigene, ganz selbständige (nirgendwo entlehnte) Bildhaftigkeit. Oder wiederholten diese Blätter nur die Fragen der Gedichte in einem anderen Medium?
Atemkristall – so sollte einmal eine Publikation der Radierungen von Gisèle Celan-Lestrange zu Gedichten von Paul Celan heißen. Sie ist dann, lange nach der verabredeten Ausstellung in Hannover, bei Brunidor in Paris im Herbst 1965 erschienen. Als erster Zyklus ist dann „Atemkristall“ in dem Gedichtband Atemwende enthalten, der freilich erst 1967 im Suhrkamp Verlag in Frankfurt am Main herauskam. Das Wort „Atem“ hatte für Paul Celan eine besondere Bedeutung. Er verstand seine Gedichte vom lebendigen Atem ihres Sprechers her, als Ausdruck seiner Emanation. Hier berührte er sich mit Alberto Giacometti, der in allen seinen Skulpturen nach dem Atem als Zeugnis ihrer Lebendigkeit suchte. Ich dachte, als ich die Blätter von Gisèle Celan-Lestrange betrachtete, auch an Marcel Duchamp, der sich einmal, nach seiner Identität befragt, als „ein Atmer“ definiert hatte. Für Paul Celan bedeutete „Atem“ aber noch mehr. Er hat einmal geschrieben:
Atem, das heißt Richtung und Schicksal.
Als ich damals die Gelegenheit hatte, die Blätter von Gisèle Celan-Lestrange anzusehen, gingen meine Gedanken jedoch in eine andere Richtung – in die der Übersetzung von Geistigem in Natur. Ich dachte an die Spuren des menschlichen Atems, wenn er gegen eine frostklirrende Fensterscheibe gehaucht wurde, die sogleich beschlug und undurchdringlich wurde – und an die schönen Eisblumen, die dann auf dem Fenster erschienen (wenngleich die Eisblumen auf dem Fenster von Strukturen der Symmetrie geprägt waren, Strukturen, welche die Radierungen konsequent mieden). […]
XIII
Die Ausstellung der Radierungen von Gisèle Celan-Lestrange fand in der Kestner-Gesellschaft Hannover vom 21. Mai bis zum 21. Juni 1964 statt. Es handelte sich dabei – wie bei Grafiken üblich – um eine Studio-Ausstellung. Gleichzeitig zeigten wir teilweise großformatige Werke vier italienischer Künstler, von Alberto Burri, Giuseppe Capogrossi, Piero Dorazio und Lucio Fontana, eine Wanderausstellung, die eine römische Galerie ursprünglich für Skandinavien zusammengestellt hatte (woher die Bilder auch kamen). Da keiner der vier italienischen Künstler nach Hannover kommen wollte, gehörte die Eröffnung ganz Gisèle Celan-Lestrange und Paul Celan.
Wir hatten die Celans als unsere Gäste in Kastens Hotel Luisenhof untergebracht, wo wir regelmäßig unsere Künstlergäste einquartierten (und wo gut 16 Monate später Marcel Duchamp mit seiner Frau Teeny wohnen sollte). Paul Celan hatte mir eingeschärft, nach Paul Antschel und Frau an der Rezeption zu fragen, wenn ich Gisèle und ihn abholen kam, um sie in die Warmbüchenstraße zu begleiten. „Das ist der Name, der in meinem Pass steht“, sagte er und erklärte mir, wie er aus Antschel (rumänisch Ancel) das Anagramm Celan geformt hatte – eine Geschichte, die mir ohnedies schon vertraut war. In der Kestner-Gesellschaft hat Umbo, unser Hausfotograf, dann einige Aufnahmen von Paul Celan und seiner Frau gemacht.
Der Aufenthalt Paul Celans in Hannover war mit einer Lesung verbunden, die zu halten er sich bereit erklärt hatte. Dieses Mal sollte sie (wie ich mich zu erinnern meine) nicht bei Hans Mayer – der damals als Professor an der Technischen Hochschule in Hannover wirkte –, sondern bei Henning Rischbieter stattfinden. Rischbieter war nicht nur Herausgeber und Chefredakteur des renommierten Magazins Theater heute, sondern auch Vorsitzender der Literarischen Gesellschaft (die so oder so ähnlich hieß, wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht). An die Lesung habe ich keine Erinnerung, wohl aber an ein anderes Ereignis, das mir höchst unangenehm war.
Mit dem „anderen Ereignis“ meine ich einen Abend, zu dem ich Paul Celan und Gisèle Lestrange eingeladen hatte. Ich weiß leider den Namen des Lokals nicht mehr, weiß auch nicht, um welches Restaurant es sich gehandelt hat und ob es noch heute besteht. Es war auf jeden Fall eine „typisch deutsche“ Gaststätte, spezialisiert auf (aus Niedersachsen stammende) regionale Gerichte, auf deren Zubereitung man sich verstand. Schon auf dem Weg dorthin kam es zu einem ersten Zwischenspiel. Paul Celan entdeckte an einer Wand Naziparolen, die dort aufgesprüht waren. Auch das Hakenkreuz hatten die Sprayer nicht vergessen. Celan machte mich auf die Parolen aufmerksam. Nie zuvor hatte ich sie gesehen. Celan hatte recht gehabt. Seine böse – wenn auch mir gegenüber zunächst nicht ausgesprochene – Voraussicht war wieder einmal richtig gewesen. Es gab Naziparolen in Hannover, und sie waren für jeden sichtbar. Ich hatte geglaubt, dass Hannover frei sei von dergleichen und hatte dies gegenüber Celan auch betont:
In Hannover können Sie sicher sein, dem faulen Zauber, der in der Bundesrepublik hier und da das Haupt erhebt, nicht zu begegnen.
Das in etwa hatte ich Paul Celan vorhergesagt, gleichsam für Hannover meine Hand ins Feuer gelegt. So war ich tief betroffen von der Schrift an der Wand.
Doch es sollte noch schlimmer kommen. An den Speiseplan in dem gewählten Restaurant erinnere ich mich nicht mehr genau, doch ich weiß noch, dass das Essen in Ordnung war. Doch etwas anderes war es nicht – unsere Nachbarschaft. Denn es passierte an diesem Abend etwas, das ich so weder vorher noch nachher erlebt habe. (Allerdings ging ich in Hannover nur selten aus, und wenn, dann zu einem Italiener oder Jugoslawen, nur ganz selten in ein typisch bodenständiges Lokal.) Aber damals war es so. Und plötzlich – am Nebentisch mussten Rechtsradikale Platz genommen haben, ich hatte nicht darauf geachtet – wurde neben uns das Horst-Wessel-Lied angestimmt. Das Horst-Wessel-Lied! In Hannover! Im Beisein Paul Celans! Vor Scham wäre ich am liebsten im Boden versunken. Es hilft nichts, wenn man sagt: Paul Celan zog das Unglück an. Es half auch wenig, dass der Wirt, wohl selbst erschrocken, an den Nachbartisch kam und für Ruhe sorgte. Es war zu spät. Es war passiert. […]
Paul Celan blieb an diesem Abend verstört. Hatte er mich noch, korrigierend, auf die antisemitischen Parolen an der Wand hingewiesen, so schwieg er jetzt. Es gab nichts mehr zu sagen. Und ich hatte ihn überzeugen wollen, dass so etwas in Hannover nicht möglich sei, dass es überhaupt mit dem Hervortreten des Neonazismus in der Bundesrepublik nicht so weit her sei, wie oft behauptet wurde. Ob ich nur etwas nicht wahrhaben wollte? Jedenfalls war mir nun das Gegenteil bewiesen worden.
XIV
[…] Noch in Hannover war ein weiterer Besuch in der Rue de Longchamp fest verabredet worden. Aber dieser Besuch fand nicht statt. Bei einer meiner nächsten Reisen nach Paris (wie immer benutzte ich den Schlafwagen) meldete ich mich bei Celan und fixierte ein Treffen. Und dann, schon in der Rue de Longchamp, bin ich umgekehrt. Meine Phantasie spielte mir einen Streich. Ich stellte mir den kommenden Abend in jedem Detail vor. Besonders die langen Monologe Celans, die Affäre Claire Goll betreffend. Sie waren endlos, und ich kannte sie auswendig. Mir genügte es, sie wieder ins Gedächtnis zu rufen. Ich meinte exakt zu wissen, was Celan sagen würde, wann und wie. Etwas anderes kam noch hinzu: das Gefühl, nicht bestehen zu können, schuldig zu sein. In der Gegenwart Paul Celans fühlte ich mich besonders nichtig. Celan vermittelte mir das Gefühl, mitschuldig zu sein – nicht bloß an seinem eigenen Schicksal, sondern grundsätzlich. Das alles stellte ich mir vor, und ich meinte es nicht ertragen zu können. So machte ich plötzlich kehrt. Ich telefonierte noch mit Celan, entschuldigte mich (ich glaube, ich sprach von unerträglichen Kopfschmerzen) und war froh, als ich in meinem Hotelzimmer den Hörer auflegen konnte.
Heute erscheint mir mein damaliges Verhalten als vollständiges Versagen, und ich wollte, ich hätte die Kraft gehabt, den Abend mit Paul Celan und Gisèle Celan-Lestrange zu verbringen. Es musste 1964 keine schlechte Zeit für Celan gewesen sein. Erst später kam sein psychischer Zusammenbruch, der Auszug aus der gemeinsamen Wohnung und all das andere, wovon in biographischen Darstellungen die Rede ist.
Ich sollte Paul Celan nicht wiedersehen.
[…]
Wieland Schmied, in Wieland Schmied: Paul Celan. Erinnerungen, Dokumente, Briefe, Rimbaud Verlag, 2010
THIAIS / PARIS
Für Paul Celan
Zwischen dir und ihnen
die das Wolkenbett
endlich ertragen
die Finsternis
aus dem Auge geweint
nur auf den Lidern noch
verschwommen
das letzte, das
vergessene Wort.
Zwischen ihnen
die dich
ausgesetzt jetzt
als ihresgleichen
verstehn
aber deinen Namen
nicht kennen
nicht deine Lieder
deine Fesseln nicht
noch deine Freiheit
die ihren eigenen Schmerz
hinausschrien
in ein taubes Gehör
in die blinde Bläue
aussäten
ihre eigene Lust.
Zwischen ihnen und dir
sind die Wunden versteinert
und die Lichter der Seele
in schrumpfenden Meilen
verwandt.
Auf dem schwarzen Marmor
gehäus zwischen Feuermohn
und wild wachsendem Senf
nur ein Buchstabenkranz
aus schwindendem Gold
über dem letzten, dem
weitergegangenen
Wort.
Lilly Ronchetti
L’INCONNU DE LA SEINE
Paul Celan zum Gedenken
Vom Grund auf
vom Urgrund her
vom Ungrund mit-
aaaaaaaaaaaaaaaalaufend
Die Bukowina: Strünke mit Blicken
aaaaaaaaaaaaaaStrünke mit Brüsten
aaaaaaaaaaaaaaMetall
aaaaaaaaaaaaaaim Aug der Tage
aaaaaaaaaaaaaaim Blick der Welt
aaaaaaaaaaaaaaSchuld ja Mit-
Schuld
Aufgespalten in der Wasserscheide
aaaaaaaaaaaaaaam Grenzstrich
aaaaaaaaaaaaaazum Verriß
Der Silben Federn schleißen
Bis auf den Knochen schinden die Haut
Stacheldrähte: die Drähte von Auschwitz
aaaaaaaaaaaaadie Drähte der Gulags
aaaaaaaaaaaaadie Drähte von Theresienstadt
aaaaaaaaaaaaaStacheldrähte…
Chor: wer wohl darin dahinsiecht?
Der Kiesel Siebenstimme ein-
sam
aaaauf Grund allein
Trotz dem der Fall
– von Grund auf
Ludvík Kundera
Aus dem Tschechischen von Felix Philipp Ingold
Paul Celan: Dichter ist, wer menschlich spricht. Ein Film von Ulrich H. Kasten und Hans-Dieter Schütt mit Eric Celan und Bertrand Badiou.
Gerhart Baumann hielt seinen Vortrag Paul Celan: Um-Wege zu sich und die offene Frage des Gedichts auf der Tagung Vom Sinn moderner Lyrik am 23. Januar 1971 im Haus der Katholischen Akademie in Freiburg.
Niemand zeugt für den Zeugen. 100 Jahre Paul Celan. Literarische Soirée am 30.9.2020 im Haus am Dom Limburg.
Paul Celan, Czernowitz & die „Todesfuge“. Helmut Böttiger berichtet.
„Ästhetik und politische Dimension der Dichtung Paul Celans“. Mit Helmut Böttiger, Thomas Sparr und Monika Rinck; Moderation: Dieter Stolz am 23.11.2020 im Literaturforum im Brecht Haus.
Serhij Zhadan und Oleksandr Bojtschenko: Paul Celan – zwischen Biographie und Poetik
Paul Celan in Europa – Videogespräch am 22.9.2020 im Rahmen der trilateralen Forschungskonferenzen 2020–2023 in der Villa Vigoni.
Paul Celan übersetzen – Gabriel Horatiu Decuble im Gespräch mit Ton Naaijkens und Alexandru Bulucz, Moderation Ernest Wichner am 6.11.2021 im Literaturhaus Halle im Rahmen der Tagung „Was setzt über, wenn Gedichte übersetzt werden“.
Clément Fradin, Julia Maas und Michael Woll stellen Paul Celans Bibliothek im Deutschen Literaturarchiv Marbach vor.
„Die Todesfuge. Zur Biographie eines Gedichts im Archiv“ – Thomas Sparr im Gespräch mit Jan Bürger, Kai Uwe Peter und Michael Woll
Michael Woll stellt Paul Celans Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach vor. Im Mittelpunkt stehen dabei die Hölderlin-Bezüge in Celans Texten.
Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Kehraus mit Celan
Zwischen „Grabschändern“ und „Linksnibelungen“. Wolfgang Emmerich im Gespräch mit Michael Braun über Paul Celans Verhältnis zu Deutschland und seinen deutschen Kritikern.
Carolin Callies, Ann Cotten, Daniela Danz, Aris Fioretos, Norbert Hummelt und Rainer René Mueller kommentieren Paul Celans Gedicht „Was es an Sternen bedarf“.
Paul Celan liest Gedichte in Jerusalem am 9.10.1969
Daniel Jurjew / Klaus Reichert: Paul Celan: Ich sehe seine Hellsichtigkeit, bei anderem denke ich einfach: er übertreibt
Frankfurter Rundschau, 19.4.2020
Gregor Dotzauer: Das Eigene und das Andere
Der Tagesspiegel, 19.4.2020
Susanne Ayoub: Es ist Zeit, dass es Zeit ist
Der Standart, 19.4.2020
Sandro Zanetti: Akute Dichtung: Celans Zumutungen
Geschichte der Gegenwart, 19.4.2020
Friederike Invernizzi: Sprechen zwischen Wunde und Narbe
Forschung & Lehre, 19.4.2020
Frank Trende: Die bewegende Geschichte der Todesfuge
shz.de, 19.4.2020
Dunja Welke: Paul Celan – Ein zerrissener Dichter
RBB, 18.4.2020
Stefan Lüddemann: Paul Celan, Dichter des Holocaust, starb vor 50 Jahren
Neue Osnabrücker Zeitung, 19.4.2020
Shmuel Thomas Huppert: Erinnerungen an Paul Celan
SR 2, 26.2.2020
Christoph Bartmann: Ein Riss, der nicht zu heilen war
Süddeutsche Zeitung, 20.4.2020
Christine Richard: Ein Leben, immer nahe am Untergang
Tages-Anzeiger, 20.4.2020
Anton Thuswaldner: „Die Welt ist gegen mich losgezogen“
Salzburger Nachrichten, 19.4.2020
Klaus Reichert im Gespräch mit Niels Beintker: Erinnerungen an Begegnungen und Gespräche mit Paul Celan
BR24, 20.4.2020
Rüdiger Görner: Asche atmen: Zu Paul Celan
Die Presse, 23.4.2020
Marko Martin: Paul Celan und die „Linksnibelungen“
Welt, 27.4.2020
Evelyne Polt-Heinzl: Paul Celan Ein Migrant in Wien
Die Furche, 8.4.2020
Andreas Wirthensohn: Todesklage für die Überlebenden
Wiener Zeitung, 21.11.2020
Klaus Demus: „Eine sehr große Freundschaft“
literaturoutdoors.com, 22.11.2020
Claus Löser: Fünf Filme für Paul Celan
Berliner Zeitung, 21.11.2020
Krisha Kops: Paul Celan: Dichter, Überlebender, Heimatloser
Deutsche Welle, 22.11.2020
Ulf Heise: Lyrik als Flaschenpost
Freie Presse, 22.11.2020
Susanne Ayoub: Paul Celan: Verlust der Heimat, Trauer um die Eltern
Der Standart, 22.11.2020
Wolf Scheller: Was nicht gesagt, nur angedeutet werden kann
Der Standart, 23.11.2020
Andreas Montag: Dichter Paul Celan – Der Schleier des Herbstes
Mitteldeutsche Zeitung, 23.11.2020
Andreas Müller: Paul Celan – zum 100. Geburtstag
Wiesbadener Kurier, 23.11.2020
Stefan Kister: Unter die Deutschen gefallen
Stuttgarter Zeitung, 22.11.2020
Paul Jandl: Vielleicht war Paul Celan einmal ganz er selbst. Da spielte er die Dürrenmatts beim Tischtennis in Grund und Boden
Neue Zürcher Zeitung, 23.11.2020
Sabine Glaubitz: Er schrieb das Unsagbare auf: Nachkriegsdichter Paul Celan wäre heute 100 Jahre alt geworden
stern, 23.11.2020
Volker Weidermann: Ein Grab in den Lüften
Der Spiegel, 20.11.2020
Jochen Hieber: Im Höhenrausch mit Ingeborg Bachmann
Der Spiegel, 23.11.2020
Stefan Brams: Interview mit Thomas Sparr – Paul Celan stiftet zur Erinnerung an
Neue Westfälische, 23.11.2020
Helmut Böttiger: Die graue Sprache
Süddeutsche Zeitung, 22.11.2020
Helmut Böttiger: Auf der Suche nach einer graueren Sprache
Jüdische Allgemeine, 21.11.2020
Albrecht Dümling: Die Todesfuge in Tönen
Deutschlandfunk Kultur, 20.11.2020
Nikolaus Halmer im Gespräch mit Barbara Wiedemann: Paul Celan: „Es sind noch Lieder zu singen jenseits der Menschen“
Die Furche, 11.11.2020
Harald Seubert: Lieder jenseits der Menschen und kodierte Zeit: Paul Celan (1920–1970). Zum Gedenken
youtube.com, 15.6.2020
Celebrating Paul Celan: An Evening with Pierre Joris and Paul Auster
youtube.com, 21.11.2020
Stadtführung „Auf den Spuren von Paul Celan“
youtube.com, 10.9.2020
Paul-Celan-Literaturtage 2020. Videopräsentation vom Paul Celan Literaturzentrum Czernowitz
Ausstellung Paul Celan 100 – Unter den Wörtern
Online-Begleitprogramm zur Ausstellung Paul Celan – Meine Gedichte sind meine Vita
West-östliche Konstellationen. Internationale Tagung als hybride Veranstaltung im Lyrik Kabinett, München, sowie online.
Tagungskonzeption und -organisation: Prof. Markus May und PD Dr. Erik Schilling (Institut für deutsche Philologie der LMU München)
8.–9.10.2020
Eröffnung
Ambivalente Topographien. Rilkes Dritte Duineser Elegie und Celans „Walliser Elegie“
„West-östliche“ Lesarten im Jahrhundert nach Celan
Das Schweigen über Brücken. Orte Celans bei Robert Schindel
Abendvortrag: Todesfuge. Biographie eines Gedichts
„Wortaufschüttung“. Materialität als Indexikalität bei Paul Celan
Betreten. Zum Anfang von Engführung
Celans Draußen. Über reale und sprachliche Räume in seiner Dichtung
„Stimmen vom Galgenbaum“. Celans west-östliches Rotwelsch
Paul Celans Todesfuge interpretiert von Diamanda Galas im Teatro Albeniz, Madrid, 15.10.2008.
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