DIE FALSCHE ÜBERSETZUNG
Eine gewisse Zeit meines Lebens
Dachte ich, Ludwig Wittgenstein
Sei Engländer gewesen und habe
Den Tractatus auf englisch geschrieben.
What we cannot speak about
We must consign to silence.
So hatte ich es gelesen.
Öfter war ich dabei
Wie jemand den Satz als Waffe benutzte
Wenn ein anderer Schwierigkeiten hatte
Sich klar auszudrücken
Auf deutsch:
Wovon man nicht sprechen kann
Darüber muß man schweigen!
Der Abgekanzelte schwieg gekränkt
Er hatte sich Mühe gegeben.
Ich ärgerte mich. Auch schien mir
Die das Zitat so als Waffe benutzten
Hätten es falsch übersetzt.
Heißt to consign nicht
Anvertrauen, überantworten?
Ich hätte übersetzt:
Das, worüber man nicht sprechen kann
Muß man dem Schweigen überantworten
Oder anvertrauen.
Oder griffiger:
Worüber man nicht sprechen kann
Davon muß man schweigen.
Also statt wovon: Worüber
Und statt darüber: Davon.
Diese Besserwisser hatten offenbar keine
Ahnung von der Psychoanalyse!
Auf einigen öffentlichen Veranstaltungen
Trug ich meine Theorie
Von der falschen Übersetzung vor
Wenn wieder einer niedergemacht wurde.
Professoren, Schriftsteller, Politiker
Nickten verständnisvoll, wenn ich
Sie so en passant belehrte.
Eines Tages nach Jahrzehnten
Bemerkte ich den Irrtum.
Wittgenstein war Österreicher, er hatte
Bloß in England gelebt
Das Buch hatte er auf deutsch geschrieben
Und dann erst auf englisch.
Die falsche Übersetzung
Stammt von ihm selbst –
Seine Gedichte gehören zu den glücklichen Ausnahmen die man nicht zur Seite legt, weil der Autor nicht nur sein Handwerk versteht, sondern auch etwas mitzuteilen hat. Dabei spielt er nicht den Besserwisser und scheut sich auch nicht, für Banalitäten banale Worte zu finden. Salomon ist immer auch politischer Autor, der sich einmischt und boshafte Glossen zum Zeitgeschehen verfaßt. Seine Ahnherren sind Georg Heym und die Expressionisten sowie die amerikanische Beat-Generation.
Ankündigung in Christa Reinig: Poesiealbum 360, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, 2021
Salomon verfügt, für Lyrik in der Tradition der Neuen Subjektivität bezeichnend, über einen Reichtum an alltäglichen Themen sondergleichen: von Kindheitserlebnissen in Berlin über Begegnungen mit berühmten Dichtern und über Naturbilder bis hin zum Einkaufsrummel in der Konstanzer Innenstadt. Dazu gesellt sich ein gewaltiger Formenreichtum: es finden sich Prosagedichte und freie Rhythmen neben metrisch gebundenen Texten, kurze epigrammatische Gedichte neben längeren Erzählgedichten, japanische Haiku neben Formen aus der abendländischen Lyriktradition.
Mario Andreotti
Seine ,schwulen Gedichte‘ sind nämlich verzauberte Wunderdinge: melancholisch und witzig, poetisch und sexy.
Thomas Ott
Salomon ist immer auch politischer Autor, einer, der sich einmischt und boshafte Glossen zum Zeitgeschehen, manchmal auch in Reimen, verfaßt. Unter seinen literarischen Ahnherren finden wir Georg Heym und die Expressionisten neben der amerikanischen Beat-Generation. Salomons schwule Liebesgedichte sind glücklicherweise frei von Pathos und Sentimentalitäten. Er spielt nicht den Besserwisser und scheut sich nicht davor, für die Banalitäten des Lebens auch banale Worte zu finden.
Thomas Böhme
Kaum ein anderer Dichter deutscher Zunge packt die Gegenwart so schonungslos in seine Lyrik.
Matthias Kehle
Ein Autor, der eine unverwechselbare Note zur deutschen Literatur der Gegenwart beigetragen hat.
Walter Neumann
Klare Formen, weder Sprachdonner noch Metapherngedöns, kühler Blick auf die Umwelt eines sich selbst nicht sicheren Ichs, Witz, Wehmut, Bekennermut und Idiotenwut. Salomons Gedichte sind haltbar seit 1973.
Hermann Kinder
Weil die juristische Ausbildung viel mit Sprache und Denken zu tun hat, folgen seine Gedichte einer klaren Diktion; dennoch ist ihm das Atmosphärische wichtiger als Tatsachentreue, die durch zu viel Genauigkeit das Poetische zerstört.
Hans Dieter Schäfer
Salomon, ein wahrer poeta doctus, betreibt ein reiches intertextuelles Spiel mit Anklängen an Benn, Brecht, Grass, Körner und andere. Das verbindet seine Lyrik über die Neue Subjektivität hinaus mit der Postmoderne. In seinen Texten heben sich triste Lebensrealität und sehnsuchtsvoller Lebensentwurf in resignierender Macho-Pose auf. „Altersweisheit unterwandert jugendlichen Wortwitz“ gilt als das Salomonische in Salomons Lyrik. Seine Gedichte sind angefüllt mit prallem Leben, in dem sich Daseinstrauer reimt auf Gassenhauer.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2021
kw: Mit klaren Formen und kühlem Blick
Freie Presse, 7.8.2021
Nico Bleutge: Sprachschaufel
Süddeutsche Zeitung, 21.6.2004
Michael Braun: Der poetische Chronist
Neue Zürcher Zeitung, 21.6.2004
Wolfgang Heidenreich: Gegen das schäbige Vergessen
Badische Zeitung, 21.6.2004
Tobias Lehmkuhl: Das durchaus Scheißige unserer zeitigen Herrlichkeit
Berliner Zeitung, 21.6.2004
Hans-Dieter Schütt: „herzwillige streifzüge“
Neues Deutschland, 21.6.2004
Frank Quilitzsch: Chronist einer versunkenen Welt
Lese-Zeichen e.V., 19.6.2004
Christian Eger: Leidenschaftlicher Leser der mitteldeutschen Landschaft
Mitteldeutsche Zeitung, 19.6.2009
Jürgen Verdofsky: Querweltein durch die Literaturgeschichte
Badische Zeitung, 20.6.2009
Norbert Weiß(Hg.): Dieter Hoffmann und Wulf Kirsten zum fünfundsiebzigsten Geburtstag
Die Scheune, 2009
Lothar Müller: Aus dem unberühmten Landstrich in die Welt
Süddeutsche Zeitung, 21./22.6.2014
Thorsten Büker: Der Querkopf, der die Worte liebt
Thüringer Allgemeine, 22.6.2014
Jürgen Verdofsky: Querweltein mit aufsteigender Linie
Badische Zeitung, 21.6.2014
Frank Quilitzsch: Herbstwärts das Leben hinab
Thüringische Landeszeitung, 21.6.2019
Wulf Kirsten – Dichter im Porträt.
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