Peter Salomon: Poesiealbum 361

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Peter Salomon: Poesiealbum 361

Salomon/Arntz-Poesiealbum 361

DIE FALSCHE ÜBERSETZUNG

Eine gewisse Zeit meines Lebens
Dachte ich, Ludwig Wittgenstein
Sei Engländer gewesen und habe
Den Tractatus auf englisch geschrieben. 

What we cannot speak about
We must consign to silence.

So hatte ich es gelesen.

Öfter war ich dabei
Wie jemand den Satz als Waffe benutzte
Wenn ein anderer Schwierigkeiten hatte
Sich klar auszudrücken
Auf deutsch:

Wovon man nicht sprechen kann
Darüber muß man schweigen!

Der Abgekanzelte schwieg gekränkt
Er hatte sich Mühe gegeben. 

Ich ärgerte mich. Auch schien mir
Die das Zitat so als Waffe benutzten
Hätten es falsch übersetzt.

Heißt to consign nicht
Anvertrauen, überantworten? 

Ich hätte übersetzt:
Das, worüber man nicht sprechen kann
Muß man dem Schweigen überantworten

Oder anvertrauen. 

Oder griffiger:
Worüber man nicht sprechen kann
Davon muß man schweigen. 

Also statt wovon: Worüber
Und statt darüber: Davon.

Diese Besserwisser hatten offenbar keine
Ahnung von der Psychoanalyse!

Auf einigen öffentlichen Veranstaltungen
Trug ich meine Theorie
Von der falschen Übersetzung vor
Wenn wieder einer niedergemacht wurde.

Professoren, Schriftsteller, Politiker
Nickten verständnisvoll, wenn ich
Sie so en passant belehrte.

Eines Tages nach Jahrzehnten
Bemerkte ich den Irrtum.
Wittgenstein war Österreicher, er hatte
Bloß in England gelebt
Das Buch hatte er auf deutsch geschrieben
Und dann erst auf englisch.

Die falsche Übersetzung
Stammt von ihm selbst –

 

 

 

Peter Salomon

Seine Gedichte gehören zu den glücklichen Ausnahmen die man nicht zur Seite legt, weil der Autor nicht nur sein Handwerk versteht, sondern auch etwas mitzuteilen hat. Dabei spielt er nicht den Besserwisser und scheut sich auch nicht, für Banalitäten banale Worte zu finden. Salomon ist immer auch politischer Autor, der sich einmischt und boshafte Glossen zum Zeitgeschehen verfaßt. Seine Ahnherren sind Georg Heym und die Expressionisten sowie die amerikanische Beat-Generation.

Ankündigung in Christa Reinig: Poesiealbum 360, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, 2021

Stimmen zum Autor

Salomon verfügt, für Lyrik in der Tradition der Neuen Subjektivität bezeichnend, über einen Reichtum an alltäglichen Themen sondergleichen: von Kindheitserlebnissen in Berlin über Begegnungen mit berühmten Dichtern und über Naturbilder bis hin zum Einkaufsrummel in der Konstanzer Innenstadt. Dazu gesellt sich ein gewaltiger Formenreichtum: es finden sich Prosagedichte und freie Rhythmen neben metrisch gebundenen Texten, kurze epigrammatische Gedichte neben längeren Erzählgedichten, japanische Haiku neben Formen aus der abendländischen Lyriktradition.
Mario Andreotti

Seine ,schwulen Gedichte‘ sind nämlich verzauberte Wunderdinge: melancholisch und witzig, poetisch und sexy.
Thomas Ott

Salomon ist immer auch politischer Autor, einer, der sich einmischt und boshafte Glossen zum Zeitgeschehen, manchmal auch in Reimen, verfaßt. Unter seinen literarischen Ahnherren finden wir Georg Heym und die Expressionisten neben der amerikanischen Beat-Generation. Salomons schwule Liebesgedichte sind glücklicherweise frei von Pathos und Sentimentalitäten. Er spielt nicht den Besserwisser und scheut sich nicht davor, für die Banalitäten des Lebens auch banale Worte zu finden.
Thomas Böhme

Kaum ein anderer Dichter deutscher Zunge packt die Gegenwart so schonungslos in seine Lyrik.
Matthias Kehle

Ein Autor, der eine unverwechselbare Note zur deutschen Literatur der Gegenwart beigetragen hat.
Walter Neumann

Klare Formen, weder Sprachdonner noch Metapherngedöns, kühler Blick auf die Umwelt eines sich selbst nicht sicheren Ichs, Witz, Wehmut, Bekennermut und Idiotenwut. Salomons Gedichte sind haltbar seit 1973.
Hermann Kinder

Weil die juristische Ausbildung viel mit Sprache und Denken zu tun hat, folgen seine Gedichte einer klaren Diktion; dennoch ist ihm das Atmosphärische wichtiger als Tatsachentreue, die durch zu viel Genauigkeit das Poetische zerstört.
Hans Dieter Schäfer

Poesiealbum 361

Salomon, ein wahrer poeta doctus, betreibt ein reiches intertextuelles Spiel mit Anklängen an Benn, Brecht, Grass, Körner und andere. Das verbindet seine Lyrik über die Neue Subjektivität hinaus mit der Postmoderne. In seinen Texten heben sich triste Lebensrealität und sehnsuchtsvoller Lebensentwurf in resignierender Macho-Pose auf. „Altersweisheit unterwandert jugendlichen Wortwitz“ gilt als das Salomonische in Salomons Lyrik. Seine Gedichte sind angefüllt mit prallem Leben, in dem sich Daseinstrauer reimt auf Gassenhauer.

MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2021

 

Beitrag zu diesem Buch:

kw: Mit klaren Formen und kühlem Blick
Freie Presse, 7.8.2021

 

 

Fakten und Vermutungen zum Poesiealbum + wiederentdeckt +
Interview
50 Jahre 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv
Porträtgalerie: Brigitte Friedrich Autorenfotos + Keystone-SDA

 

Zum 70. Geburtstag des Herausgebers:

Nico Bleutge: Sprachschaufel
Süddeutsche Zeitung, 21.6.2004

Michael Braun: Der poetische Chronist
Neue Zürcher Zeitung, 21.6.2004

Wolfgang Heidenreich: Gegen das schäbige Vergessen
Badische Zeitung, 21.6.2004

Tobias Lehmkuhl: Das durchaus Scheißige unserer zeitigen Herrlichkeit
Berliner Zeitung, 21.6.2004

Hans-Dieter Schütt: „herzwillige streifzüge“
Neues Deutschland, 21.6.2004

Frank Quilitzsch: Chronist einer versunkenen Welt
Lese-Zeichen e.V., 19.6.2004

Zum 75. Geburtstag des Herausgebers:

Christian Eger: Leidenschaftlicher Leser der mitteldeutschen Landschaft
Mitteldeutsche Zeitung, 19.6.2009

Jürgen Verdofsky: Querweltein durch die Literaturgeschichte
Badische Zeitung, 20.6.2009

Norbert Weiß(Hg.): Dieter Hoffmann und Wulf Kirsten zum fünfundsiebzigsten Geburtstag
Die Scheune, 2009

Zum 80. Geburtstag des Herausgebers:

Lothar Müller: Aus dem unberühmten Landstrich in die Welt
Süddeutsche Zeitung, 21./22.6.2014

Thorsten Büker: Der Querkopf, der die Worte liebt
Thüringer Allgemeine, 22.6.2014

Jürgen Verdofsky: Querweltein mit aufsteigender Linie
Badische Zeitung, 21.6.2014

 

Zum 85. Geburtstag des Herausgebers:

Frank Quilitzsch: Herbstwärts das Leben hinab
Thüringische Landeszeitung, 21.6.2019

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Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Wulf Kirsten

 

Wulf Kirsten – Dichter im Porträt.

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