Poesie teilt das Geheimnis mit dem Leben

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch Poesie teilt das Geheimnis mit dem Leben

Poesie teilt das Geheimnis mit dem Leben

KRAFTLEIEREI

auf der suche nach den stimmen
aus der menge fiel er über
die eigne. die folgen des falles
machten schwer von sich reden.

zeiten später, beim besingen
des versagens, legte sich das
von alleine. in schreibversuchen
ließ sich erlesenes leben.

um die sache mit den stimmen
ist es gern geschehen. so einer
alles auf einmal sagt, schweigt
leicht die eigne geschichte.

in die sprache eines stummen
läßt sich das nicht drehen. wer
gegen sich die stimme hebt, hebt
eigentlich lebens gewichte.

Andreas Koziol

 

 

 

Ein Lebensmittel

Unter den wenigen persönlichen Dingen, die mein Vater im Tode hinterließ, befanden sich zwei Hefte. Anfangs mit preußischblauer Nachkriegstinte, dann mit Kugelschreiber eingetragen, stehen in ihnen ungefähr zweihundert Gedichte; nicht, wie man vermuten könnte, eigene, nein, diejenigen, welche ihm von Jugend an wichtig waren oder ihm später begegneten und so gefielen, daß er sie zu Gefährten machte. Seine eigentümliche Treue ihnen gegenüber bestand darin, daß er sie auswendig kannte, so daß er sie sich nach Belieben vergegenwärtigen konnte. Häufig tat er dies, wenn er allein war, zum Beispiel bei der Morgenwäsche, mitunter aber auch in Anwesenheit von uns Kindern oder Gästen. Das trug ihm dann regelmäßig Bewunderung ein. Aber nicht um deretwillen wurde Schillers Glocke nochmals gegossen, zog Eichendorffs Mond am Abendhimmel auf. Hier lebte ein Mensch nicht vom Brot allein. Während er sich unter Säcken und Kisten bückte, um unseren Umsiedlertisch zu decken, flatterte, nur von ihm bemerkt, Uhlands blaues Band durch die Luft des Packhofs. Solch Zustrom ließ ihn die äußere Misere leichter ertragen, ja leichtnehmen. Meinem Vater, der wahrscheinlich nie einen Vers verfaßte, verdanke ich, daß er mir zeigte, wie sich Poesie zur Prosa des Lebens gesellen und unverlierbar werden kann. Die Kindheit hindurch saß so das Göttliche mit am Tisch, Goethes Maxime vom edlen, hilfreichen und guten Menschen.
In einer Zeit der neuerlichen Umwertung aller Werte, wie wir sie durchleben, werden, ich bin sicher, außer Zeitungen, Statuten und Werbeschriften bald auch wieder Gedichte gelesen werden; zumindest von jenen, denen Sinn und Summe ihres Lebens nicht fraglos sind. Was die Dichter hier einbringen, wird kein anmaßender Konkursrichter mir nichts dir nichts entwerten.

Richard Pietraß, Vorwort

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