Ralph Dutli: Zu Ossip Mandelstams Gedicht „Nur sprecht mir nicht von Ewigkeit –…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ossip Mandelstams Gedicht „Nur sprecht mir nicht von Ewigkeit –…“ erschienen in Ralph Dutli: Mandelstam, Heidelberg. –

 

 

 

 

OSSIP MANDELSTAM

Nur sprecht mir nicht von Ewigkeit –
Kein Raum für sie, sie ist nicht heilig.
Doch ist nicht Ewigkeit verzeihlich
Für meine Liebe und Sorglosigkeit?

Ich höre, wie sie wächst, hör da
Die Welle, nächtlich, ungeheuer.
Doch wird’s bezahlen, zahlt es teuer,
Wer sich ihr nähert allzu nah.

Dem stillen Nachhall dieses Rauschens
Lausch ich nur aus der Ferne – froh:
Die schäumenden Kolosse so
Für Kleines, Nichtiges vertauschend.

 

Gedichte aus Heidelberg

Ein programmatisches Gedicht der Heidelberger Zeit, das vorausweist auf ein wichtiges Postulat des Akmeismus, der 1912 in Sankt Petersburg gegründeten Vereinigung von Dichtern, der Mandelstam angehörte – die Ablehnung der Ewigkeit und ein Bekenntnis zum Hier und Jetzt, wie sie in einem manifestartigen Gedicht von 1912 zum Ausdruck kommen:

Nein, nicht den Mond, ein helles Zifferblatt
Seh ich – dass ich die Sterne milchig-matt
Nur finde, was kann ich dafür?

Der Hochmut Batjuschkows! mir ist er leid:
Gefragt „Wie spät ist es?“ gab zu Papier
Er seinen Fragern einzig: „Ewigkeit“
.1

Der Hintergrund der Anekdote: Der russische Klassiker Konstantin Batjuschkow (1787 bis 1855), einer von Mandelstams Lieblingsdichtern (dazu das Gedicht „Batjuschkow“ vom 18. Juni 1932),2 fiel 1821 in geistige Umnachtung und machte laut Zeugenberichten immer wieder eine Handbewegung, als ob er eine Uhr aus der Tasche zöge, wobei er fragte „Was ist die Uhr?“ und sich selbst die Antwort gab: „Ewigkeit“.
Im obenstehenden Gedicht wird die Ewigkeit mit einem Meer verglichen, sie ist ein gefährliches, menschenfeindliches Prinzip, eine gewaltige Welle, der das „Ich“ nicht zu nahe kommen will. Im Höreindruck von Zeit und Ewigkeit kündigt sich bereits der Titel von Mandelstams autobiographischer Prosa an: „Das Rauschen der Zeit“ (1925). In Mandelstams Gedicht „Der Fußgänger“ (1912) wird die Hellhörigkeit des Ich hervorgehoben:

Ein Fußgänger bin ich, aus alten Zeiten,
Und überm Abgrund, auf dem Brettersteg
Hör ich den leisen Schneeball, er wächst weiter,
Und Ewigkeit, die auf dem Stein der Uhren schlägt
.3

Die Empfindungen von Liebe und Sorglosigkeit, zu denen sich der Dichter bekennt, haben ihre eigene, „verzeihliche“ Ewigkeit, ebenso wie das Kleine und Nichtige, das er am Schluss als Gegenstand seines Denkens bezeichnet. Das Bekenntnis zum Vergänglichen und Kurzlebigen spricht aus mehreren frühen Gedichten, etwa „Das Bienenvolk des Schnees treibt leichter“ (1910), wo ebenfalls die kalte Ewigkeit dem Zitternd-Lebendigen entgegensteht:

Und fließt in eisigen Diamanten
Nichts als der Frost der Ewigkeit
So stehen hier Libellenaugen –
Zittriges Blau, kurzlebigleicht.4

Ralph Dutli, aus Ralph Dutli: Mandelstam, Heidelberg, Gedichte und Briefe 1909–1910, Wallstein Verlag, 2016

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