Robert Creeley: Robert Creeley und sein Gedicht „Zorn“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Robert Creeley und sein Gedicht „Zorn“. –

 

 

 

 

ROBERT CREELEY1

Oxydation

1
Die zeit ist.
Die luft scheint eine decke,
das zimmer ist still.

Sie bewegt sich, sie
hatte sich bewegt. Er
hörte sie.

Die kinder
schlafen, der hund gefüttert,
das haus um sie herum

ist offen, beschreibbar,
ein lastauto durch die wände,
lichter hell da,

blendet, das plötzliche auf-
heulen seines motors, ganz
vertraute wirkung

wie es so nah
vorüberfuhr. Er
haßte es.

Doch was antwortet sie.
Sie geht
weg davon.

In allem was sie sich ersparen,
in der art wie er ihnen
das durcheinander erspart, die ansammlung

der erwarteten unordnung –
als ob jeder schmutz,
jeder fleck, verschmiert

zum glück, grund
gäbe, zum glück –
ist sie nicht genügend da.

Er ist zornig. Sein
gesicht schwillt – als ging
ein mond aus

schwarzem licht auf,
der sich zuckend verdunkelt,
als wäre leben schwarz.

Es ist schwarz.
Es ist ein offnes
loch aus grauen, aus

nichts als ob nicht
genug nichts
wäre. Eine grube –

die er wiedererkennt,
vertraut, deren zweck
er begreift, ein loch

für zorn und
stopft es
mit sich,

doch beob-
achtet am rand,
als ob sie nicht

hereingezogen werden würde,
eine hand könnte
ihn aufhalten. Dann

als das brüllen
schwillt und schwillt
lauter und lauter

mit räumen
des gleichen offnen
schweigens, der dunkelheit,

drinnen und draußen, er
selber zwischen ihnen,
steht leer und

streckt seine hand nach
beiden aus,
schreit jetzt

es können nicht
dieselben sein, wartet
sie im einen

während die andre
im loch im boden,
in der wand, stöhnt.

 

2
Gibt es einen geruch
der zorn ist,

ein gesicht
das wut ist.

Ich denk ich denk
doch find mich drin.

Das muster
ist nur ähnlichkeit.

Ich kann mich nicht sehn
außer als was ich seh, ein

ding doch ein mann,
lüstern zu verzeihn,

wütend, von dem punkt an,
sicher im vorsatz,

doppelt, gespalten.
Ist es bloß absicht,

ein rasch angenommenes zeichen,
verschoben um

der selbstzufriedenheit
schrecklichen platz zu machen.

Ich wüte.
Ich wüte, ich wüte.

 

3
Du hasts getan,
und hasts nicht gewollt,

und es war leicht.
Du hattest nichts damit zu tun,

selbst wenn dir der kopf abgeschnitten,
oder jeder finger

aus seiner form
gebogen wurde bis er brach,

und auch du schriest,
mit der andern, vor vergnügen.

 

4
Schau mich,
im dunkeln, an,
mein gesicht. Sieh mich.

Es ist der schrei
den ich mein ganzes
leben höre, meine eigne

stimme, mein
auge abgekapselt in
selbstsicht, nicht

die welt was
immer die ist
sondern das nahe

atmen neben
mir nach dem ich
taste, das ich als wärme

spüre in
meinen händen dann
erwidert. Die wut

ist was ich
will, was
ich nicht mir,

von mir, geben
kann, in
der welt.

 

5
Nachher, was
ist es – als ob
die sonne aus

versehn, wieder, aufgegangen
wär. Es war
ein andres leben, ein

tag, etwas
zeit vorbei, es
war geschehn.

Doch auch
das vergnügen, die
anfänglicheerleichterung
in dem sogar was
man so haßte.

 

6
Alles was ihr sagt ihr wollts
euch selber antun tut ihr
einem andern an als euch

und wir sitzen zwischen euch
warten auf was immer endlich
das wirkliche ende von euch sein wird.

 

Gedichte zu schreiben fällt mir zu.

Ich kann ihrer Entstehung nicht vorgreifen. Alle Intelligenz, die ich aufbringen kann, habe ich benutzt, um den Möglichkeiten zu folgen, die das Gedicht „unter der Hand“, wie Olson sagen würde, ausspricht, doch ich kann den notwendigen Schlußfolgerungen des Vorgangs nicht vorgreifen, noch kann ich in irgendeinem Sinne, während der Augenblicke des Schreibens, die Bedeutung dieses Schreibens beurteilen: ich merke lediglich, daß es sich fortsetzen darf. Ich will sagen, daß man beim Schreiben, wenigstens wie ich es erfahren habe, in dem Vorgang steckt, und diese Tatsache ist es, die ich so sehr als die Bedeutung von allem, was wir Dichtung nennen, empfinde.
In gewisser Hinsicht, also, um davon zu sprechen, wie es war, daß ich zur Dichtung kam –: zu Beginn war ich viel mehr interessiert am Schreiben als solchem als an seinen verschiedenen Arten, und vielleicht bin ich in dieser Hinsicht typisch amerikanisch. Zunächst einmal scheute ich vor dem Wort „Dichter“ zurück und allen seinen Assoziationen, die es in der Welt hatte, in der ich mich damals bewegte. Es bedeutete Verschwommenheit und Romantik und, häufig, eine fragwürdige Sexualität. Kurz, es war keine passende Beschäftigung für einen jungen Mann, der im Neu-England-Stil groß geworden war, und dessen Begriffe von Sprache und Sensibilität puritanisch depraviert waren. Das Leben war wirklich und das Leben war ernst, und damit hatte man genug zu tun. Doch die Eindringlichkeit, mit der „Wörter“ mich gefangennahmen, begann früh, einfach weil ich so gern wissen wollte, was die Leute sagten, und, genauer, was sie damit meinten.
Ich glaube, das Entscheidendste, was mir als jungem Mann, der zu schreiben versuchte, begegnete, war das, was ich im Werk von William Carlos Williams fand. Er benutzte Sprache auf einer Ebene, die meinen eigenen Sinnen vertraut und lebendig klang, und machte seine Gedichte zu einer äußerst emotionalen Wahrnehmung, wie offenkundig auch immer seine Intelligenz sein mochte. Wenngleich er auf seinen mediterranen Verbindungen insistierte, war er doch, sozusagen, so puritanisch wie ich – oder Lawrence, oder Thoreau, oder der Melville des Pierre.
Ansonsten wurden die Vierzigerjahre – die Zeit, in der ich mündig wurde – auf viele bittere Arten kompliziert. Nicht das kleinste Problem, das sich damals jemandem stellte; der sich in der Welt zu verwirklichen suchte, war die Verwirrung, die darüber bestand, was denn „Literatur“ eigentlich sei. Als einer, der aus Neu-England kam, spürte ich von vornherein eine Mißlichkeit Büchern gegenüber, weil sie für mich oft Beispiele für ein soziales Prestige waren, manchmal sogar ein Privileg des intellektuellen Standes – ganz so wie Hardy von ihnen in Jude the Obscure spricht. Ich war sehr schüchtern, meine persönlichen Probleme beim Lesen auszuspielen, und doch benutzte ich Bücher als einen sehr realen Ort, an dem ich sein konnte. Nicht bloß als eine Flucht vor der Welt – die Schwierigkeit war, wie man in sie hinein kam, nicht aus ihr heraus – erwiesen sich Bücher als ein Ort, der, in Augenblicken des Lesens, sehr weit offen für mich war, in einem Sinn, den nur wenige andere je für mich haben sollten.
Da ich daran denke, lassen Sie mich auf die Verwandtschaft mit einem anderen Schriftsteller – Robert Duncan – hinweisen, der eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hat, sowohl als Mentor, sehr oft, wie auch als jemand, von dem ich spüre, daß er mit mir diese besondere Weltsicht teilt, und solches Schreiben, und solche Dichtung, die ich am tiefsten respektiere. In einem seiner Gedichtbände, der den bezeichnenden Titel The Opening of the Field trägt, beginnt das erste Gedicht:

Often I am permitted to return to a meadow
(Oft darf ich zu einer Wiese wiederkehren)

und fährt dann fort:

as if it were a scene made-up by the mind
that is not mine, but is a made place,

that is mine, it is so near to the heart,
an eternal pasture folded in all thought
so that there is a hall there in

that is a made place, created by light
wherefrom the shadows that are forms fall.

(als wär es eine szene, aufgemacht vom geist
der mir nicht gehört, sondern ein gemachter ort ist,

der mir gehört, er liegt dem herzen so nah,
eine ewige weide, gefaltet in allem gedanken
so daß es eine halle darin gibt

die ein gemachter ort ist, erschaffen vom licht
von dem die schatten her, die formen sind, fallen.)

Diese Vorstellung von einem Gedicht – jener „Ort“, jene „Wiese“ – trägt Echos von so vielen Dingen, die meinem eigenen Begriff von Realität, wie ich sie beim Schreiben erfahren habe, sehr nah kommen. Man kann dieses Feld, oder diese „Wiese“, auch bei Whitman finden, und es wäre gleichermaßen die Art von Ort, den Allen Ginsberg, wie ich fühle, so oft betritt, von dem er spricht, nach dem er sich sehnt. Auch Charles Olson besitzt diese Vorstellung in seinem Begriff des „offenen“ Verses, oder jenes „offenen Feldes“, wie er es formuliert haben will, in der Komposition. Ich habe es besonders in der Dichtung H.D.’s gespürt:

I go where I love and am loved…

(Ich geh hin wo ich liebe und geliebt werde…)

Und in Pound’s „What thou lovest well remains, / the rest is dross“ („Was du wirklich liebst das bleibt, / der Rest ist Dreck“).

What thou lov’st well shall not be reft from thee
What thou lov’st well is thy true heritage
Whose world, or mine or theirs
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaor is it of none?
First came the seen, then thus the palpable
aaaaaaaaaaaaElysium, though it were in the halls of hell,
What thou lovest well is thy true heritage…

(Was du wirklich liebst das wird dir nicht entrissen
Was du wirklich liebst das ist dein wahres Erbteil
Wessen Welt, ist’s meine oder anderer
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaoder gehört sie niemand zu?
Erst kam das gesehne, dann, so, das fühlbare
aaaaaaaaaaElysium, wenn auch in den Hallen der Hölle,
Was du wirklich liebst das ist dein wahres Erbteil…)

Alle diese Beispiele sind, für mich, nicht bloß Zeichen sondern Beweise für einen Ort, einen sehr bestimmten und genauen „Ort“, den die Dichtung nicht nur erschafft, sondern von dem sie zugleich ihren Ausgang nimmt, und beim Schreiben darf man, wie Duncan sagt, „wiederkehren“, hingehen, in dieser Realität sein. Es gibt ein Gedicht von Allen Ginsberg, das mich immer tief berührt hat. Er nennt es schlicht „Lied“, und es findet sich in der ersten Sammlung seiner Gedichte, Howl. Die letzten Zeilen dieses Gedichtes lauten:

yes, yes,
aaaaaathat’s what
I wanted,
aaaaaaI always wanted,
I always wanted,
aaaaaato return
to the body
aaaaaawhere I was born.

(ja, ja,
aaaaaadas hab ich
gewollt,
aaaaaaich hab immer gewollt,
ich hab immer zurück-
aaaaaakehren gewollt
in den Körper
aaaaaader mich gebar.)

Dieser Körper ist das „Feld“ und ist gleichfalls die Erfahrung dieses Feldes. Es geht dann, also, um eine „Rückkehr“ nicht zu sich selbst als einem egozentrischen Mittelpunkt, sondern darum, sich selbst als in der Welt zu erfahren, und zwar durch diese Vermittlung oder durch dieses Faktum, das wir, verschiedenermaßen, „Dichtung“ nennen.

Im selben Zitat aus Duncan ist ein anderes Moment, das mich sehr interessiert, nämlich der Nachdruck, den er auf „made“ (gemacht, hergestellt) legt: „eine szene“, wie er sagt, „aufgemacht vom geist, / der mir nicht gehört, sondern ein gemachter ort ist, / der mir gehört…“ Und weiter, zwei Zeilen später:

es gibt eine halle darin
die ein gemachter ort ist…

Dieser Nachdruck schreibt sich her vom Begriff des Dichters als eines, der etwas macht, herstellt, was auf die griechische Wurzel poiein, „machen“, zurückgeht.
Eines meiner wenigen Bücher, das gestohlen war – nicht von mir, übrigens, sondern von einem Mädchen, das ich überredete, es für mich zu stehlen, – war William Carlos Williams’ Gedichtband The Wedge. Er erwies sich als „Feuer“ in einem sehr wirklichen Grad und wurde, dies zu Protokoll, später auch mir wieder gestohlen, als ich in den Mittfünfziger Jahren in Black Mountain unterrichtete. 1944, als er herauskam, und kurz nachdem er in meinen Besitz gelangt war, war sein Inhalt eine Offenbarung für mich. Im Vorwort erklärt sich Williams so:

Wenn einer ein Gedicht macht, es macht, sage ich, dann nimmt er Wörter, wie er sie in ihrer Verkettung um sich findet, und ordnet sie – ohne Verzerrung, die ihre exakte Bedeutung zerstören würde – zum intensiven Ausdruck seiner Wahrnehmung und seines Feuers, auf daß sie eine Offenbarung in der Sprache, die er benutzt, darstellen mögen. Nicht was er sagt, zählt als Kunstwerk, sondern was er macht, und zwar mit einer derartigen Intensität der Wahrnehmung, daß es mit einer selbstverständlichen Eigenbewegung lebt, um die eigene Authentizität zu erfüllen und zu bestätigen.

Ich glaube, dies ist eine sehr amerikanische Art sich auszudrücken – nicht aus Verlegenheit, weil Amerikaner vielleicht keine andere Möglichkeit sich auszudrücken hätten, sondern vielmehr, weil sie fühlen, daß sie, vielleicht mehr als irgendeine andere Gruppe von Menschen auf der Erde in diesem Augenblick, daß sie diese Wirklichkeit, in der es ihnen zu leben bestimmt ist, nicht nur sich vorzustellen, sondern damit auch erst zu machen hatten. Es ist, als müßten sie die Welt neu verwirklichen. Sie sind, wie Charles Olson sagt, „die letzten ersten Menschen“. Nun, von heute aus gesehen, sind sie zugleich die ältesten Kinder jener Vorstellung – in mancher Hinsicht sind sie das sogar auf schmerzliche Weise, weil sie nämlich die Welt nicht nur als einen Ort, in dem man leben kann, geerbt haben, sondern auch als eben diese Wirklichkeit, für die sie in jedem nur möglichen Sinne verantwortlich sind.
Ich würde jedoch meine eigene Erfahrung mit Dichtung mißverstehen, wenn ich sie als etwas rein Intentionales ausgeben wollte, und was der Mensch sich auch vorstellt – als Welt oder als Gedicht – ist nicht einfach ein Zweck, dem die eine wie das andere Genüge tun kann. Auch Williams dachte nicht an Dienlichkeit bei der Schaffung eines Gedichts, oder einer Welt – sondern fühlte, wie er in einem seiner Gedichte sagt:

Be patient that I address you in a poem,
aaaaaaaaaathere is no other
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaafit medium.
The mind
aaaaaaaaaalives there. It is uncertain,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaacan trick us and leave us
agonized. But for resources
aaaaaaaaaawhat can equal it?
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaThere is nothing. We
should be lost
aaaaaaaaaawithout its wings to
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaafly off upon.
The mind is the cause of our distresses
aaaaaaaaaabut of it we can build anew.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaOh something more than
it flies off to:
aaaaaaaaaaa woman’s world,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaof crossed sticks, stopping
thought. A new world
aaaaaaaaaais only a new mind.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaAnd the mind and the poem
are all apiece…

(Sei nicht ungeduldig, daß ich dich im Gedicht anrede,
aaaaaaaaaaes gibt kein anderes
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaapassendes Medium.
Der Geist
aaaaaaaaaalebt dort. Er ist unbeständig,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaakann uns foppen, kann uns in Qualen
hängenlassen. Doch was die Vielfältigkeit angeht
aaaaaaaaaawas kommt ihm gleich?
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaEs gibt nichts. Wir
wärn verloren
aaaaaaaaaaohne seine Flügel auf
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaadie wir uns schwingen.
Der Geist ist der Grund unsrer Nöte
aaaaaaaaaadoch aus ihm können wir von neuem bauen.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaOh mehr als das
wohin er sich aufschwingt:
aaaaaaaaaadie Welt einer Frau,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaus kreuzweisen Stäben, die den Gedanken
anhalten. Eine neue Welt
aaaaaaaaaaist nur ein neuer Geist.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaUnd der Geist und das Gedicht
sind aus einem Holz…)

Sehr einfach ausgedrückt: es ist nicht die Absicht zu schreiben, die zählt, sondern daß mans kann – daß es eine solche Möglichkeit geben kann, in der der Geist seine Vielfältigkeit – über die Begrenzung durch Zweck und Absicht hinaus – offenbaren mag.
In The Desert Music – für mich die schönste Form, die er uns hinterlassen hat – gibt Williams eine weitere Bestimmung des Gedichts in seiner spezifischen und singulären Funktion des Wirklichmachens:

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaOnly the poem
only the made poem, to get said what must
be said, not to copy nature, sticks
in our throats          .
The law? The law gives us nothing
but a corpse, wrapped in a dirty mantle.
The law is based on murder and confinement,
long delayed,
but this, following the insensate music,
is based on the dance:
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaan agony of self-realization
bound into a whole
by that which surrounds us          .
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaI cannot escape
I cannot vomit it up
Only the poem!
Only the made poem, the verb calls it
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaainto being.

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa(Nur das Gedicht
nur das gemachte Gedicht, sagen zu können was gesagt
werden muß, nicht die Natur zu kopieren, steckt
uns in der Kehle          .

Das Gesetz? Das Gesetz gibt uns nichts
als einen Kadaver, in schmutzige Hülle geschlagen.
Das Gesetz gründet sich auf Mord und Einkerkerung,
längst überholt,
doch dieses, das der fühllosen Musik folgt,
gründet sich auf den Tanz:
aaaaaaaaaaaaaaaaaeine Agonie der Selbstverwirklichung
zu einem Ganzen verbunden
durch das was uns umgibt
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaIch kann nicht entkommen
Ich kann es nicht ausspucken
Nur das Gedicht!
Nur das gemachte Gedicht, das Verb ruft es
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaains Leben.)

Act (Handlung, Vorgang, Tat) wird dann die ursprüngliche Bedeutung von „Verb“, oder verbum, dem Wort. „Im Anfang war das Wort“ – und das Wort war die Wirklichkeit der Imagination. Die „Musik“, auf die der Titel des Gedichts Nachdruck legt, und die im Fortgang des Gedichts zu einem so zentralen Inhalt wird, ist das, was belebt, die anima mundi, Lebenhaftigkeit und/oder Leben selber. Unsere Antwort auf sie, oder auf das, was sie erschafft, ihre Wirkung in der Wirklichkeit, die uns gegeben ist, ist der „Tanz“.

Now the music volleys through as in
a lonely moment I hear it. Now it is all
about me. The dance! The verb detaches itself
seeking to become articulate          .

(Jetzt donnert die Musik durch während ich
in einem einsamen Moment sie höre. Jetzt ist sie überall
um mich. Der Tanz! Das Verb löst sich los weil es
artikuliert werden will          .)

Gedichte sind sehr spezifische Arten des Tanzens, weil Sprache die Möglichkeit ist, die uns als Menschen am spezifischsten ist. Doch ich spreche nur mühsam von diesen Dingen, weil ich immer Scheu und Verwirrung spüre, wenn ich versuche, einen Aspekt zu isolieren, der nur im buchstäblichen Faktum des Gedichts selber erfahren werden kann. Es ist, als würde ich versuchen, eine Vorstellung von Nässe zu geben, dabei aber absehen müssen von der Erfahrung des Wassers selber.
Es ist dennoch möglich fortzufahren und jetzt jene Männer zu benutzen, die ich so sehr benutzt habe, um deutlich zu machen, welche Vorstellungen von Dichtung für mich nachdrücklich wichtig gewesen sind. In „Maximus, an Gloucester“ gibt Charles Olson dem Vorgang auf eine Weise Dimension, die meine eigne informiert:

He left him naked,
the man said, and
nakedness
is what one means

that all start up
to the eye and soul
as though it had never
happened before

(Er ließ ihn nackt stehn,
sagte der mann, und
nacktheit
ist was man meint

daß alle auffahren
zu auge und seele
als ob es nie zuvor
geschehen wäre)

Ich verstehe, was Olson sagt, so. In der Tatsächlichkeit unseres Lebens werden wir mit primären Situationen, primären Erfahrungsbereichen konfrontiert – was die Vorfahren gemeint haben könnten mit „Die ersten Dinge zuerst“, aber wahrscheinlich nicht gemeint haben. „Nacktheit“ heißt, in dem, was einen bedingt, manifest zu stehen, in dieser notwendigen Frische, wie ungeschützt auch immer sie ist, weil alle Dinge partikulär sind, und die Wirklichkeit selber ist der spezifische Inhalt der Möglichkeit eines Augenblicks. In Gedichten erfassen wir, und zwar nicht auf diskursive oder sekundäre Weise, sondern mit diesem impliziten und absolut konsequenten Faktum des Erstmaligen, Bedingungen unseres eigenen Lebens, Manifestationen dieses Lebens, zu denen man, ansonsten, nur sehr linkisch steht. Es ist, wieder, jenes Feld, von dem Robert Duncan sagt, daß man es betreten „darf“. Erste Dinge. In Gedichten gelangen wir zu der Form des Lebens, die den lebensfähigsten und ursprünglichsten Teil in unserem eigenen Leben ausmacht.
Ich habe gesagt, daß ich mich für einen Dichter halte, dem das Schreiben zugefallen ist. Und ich fühle mich gar nicht wohl dabei, diese Bezeichnung zu verwenden, das heißt, mich so zu nennen, einen Dichter – weil ich empfinde, daß die Entscheidung nicht bei mir gelegen hat. Doch die Komplexität des Dilemmas scheint mir eine sehr reale zu sein. Wie sollen wir Williams’ schmerzlich markierte Nachdrücklichkeit, kurz vor dem Schluß von Desert Music verstehen:

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaI am a poet! I
am. I am. I am a poet, I reaffirmed, ashamed

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa(Ich bin ein Dichter ! Ich
bin. Ich bin. Ich bin ein Dichter, versicherte ich nochmals, beschämt)

In dem Land, aus dem ich komme, sind wir gewiß nicht einfach Dichter, und auch nicht die meiste Zeit – abgesehen von denen, deren Leben durch ein unverrückbares Faktum gesegnet ist, das sie vor keine Alternative stellt. Als junger Mann ließ ich mir den kleinen Bart stehen, den ich noch habe, und ich erinnere mich, daß meine Mutter, die wußte, wie gern ich Schriftsteller werden wollte, dazu sagte:

Vielleicht hilft ihm das bei seiner Karriere.

Etwa zur selben Zeit sagte sie auch von mir, im Hinblick darauf, daß ich keinen Job hatte:

Ich würde gern glauben, Bob könnte es zu etwas bringen, wenn er müßte.

Sie meinte das weder bitter noch abschätzig, sondern, wirklich, sehr freundlich. Ich habe mich nie mit ihr darüber gestritten, was ich „werden sollte“.
Die Sache war, glaube ich, die, daß ich keine Vorstellung davon hatte, was ich werden könnte, in irgendeinem buchstäblichen Sinne, und auch nicht davon, was ein Schriftsteller war, – wenn ich meine eigenen Hoffnungen ernst nehmen sollte –, und gar erst ein Dichter. Es wird Europäern, und besonders Deutschen, vielleicht merkwürdig vorkommen, daß man ihnen einen so seltsamen Begriff vom Dichter vorsetzt, wie ich es tue. Ich erinnere mich an Gespräche mit Rainer Gerhardt, in denen er mir sagte, der deutsche Dichter habe sehr bestimmten Anteil am Leben der Gemeinschaft, in die er gestellt sei, und er sei, in der Tat, ein sehr verantwortlicher Richter über ihr imaginatives Leben, über die Tradition der Möglichkeiten dieses bestimmten Lebens. Doch zu der Zeit, als ich, in Amerika, aufwuchs, war eine solche Situation undenkbar.
Meine eigenen Kalenderheiligen sind Heilige dieser Statur, angefangen bei Columbus und ähnlichen Männern, deren Imagination die Welt, in der ich lebe, verwirklichte, vergegenständlichte, könnte man sagen. Es sind Poe – der, wie Williams deutlich macht, der lokalen Situation eine Welt abtrotzte, die nichts mit den Gewohnheiten englischer Art zu tun hatte; Whitman – wegen der Autorisierung des Lebens, auf dem er insistierte; Melville – die allererste Imagination der Isolation unserer Lage; Pound – der, wie jeder Yankee, aus der Intelligenz eine Erfindung der Notwendigkeit machte; Hart Crane – dessen „Versagen“ die Möglichkeit unserer Reaktion auf das, was uns zu fühlen gegeben ist, zurückholte. Es mag gut sein, daß durch das Fehlen einer solchen anspielungsreichen Gesellschaft, wie die europäische Literatur sie, ihren eigenen Bedingungen gehorchend, zwangsläufig entwickelt hat, daß der Amerikaner im Gegensatz dazu jedes einzelne Ding um sich her so erfassen muß – „als ob es nie zuvor / geschehen wäre“. Gerhardt war es auch, der als erster zu mir von der Isolation sprach, die er in uns, als Schriftstellern spüre, davon, wie jeder so singulär, so allein in seinem Leben zu sein scheine. Olson, in einem Gedicht, das er „An Gerhardt, dort, zwischen den Dingen Europas…“ nannte, sagt an einer Stelle beinah barsch:

Oder komm her
wo wir dich begrüßen werden
mit nichts als dem was ist, mit
keinen nützlichen anspielungen, mit keinen vögeln
außer denen die wir steinigen, nichts zu essen
als uns, kein ende und kein anfang, versichere ich dir, doch
keineswegs primitiv, zu leben wie wir in einem raum den wir nicht erst ausdenken müssen
Und mit vorgängern die, obwohl sie nicht unsre substantive sind verben
gleich sind!

Ich denke an Williams’ äußerst verächtliche Antwort, die er dem britischen Englischprofessor gab, der ihn in Seattle, Washington, ausgerechnet da, nach einer Lesung fragte, wolier er seine Sprache habe – worauf Williams antwortete: „Aus dem Mund polnischer Mütter“ – womit er nicht polnisch meinte, sondern das herbe, krude, gehemmte „schlechte Englisch“ der Immigrantenfrauen, die ihn als Patientinnen in seiner Arztpraxis konsultiert hatten. Meine „Heiligen“, also, sind die Männer, die für mich eine explizite Möglichkeit in der Sprache, die mir zum Gebrauch gegeben war, definierten, die das Amerikanersein nicht zu etwas chauvinistisch Nationalem machten, sondern zum hautnahen Faktum eines Lebens an einem Ort zu einer Zeit.
Um nun vom Schreiben selber zu sprechen, was ich nur zögernd und provisorisch tun kann – einfach weil ich von Heisenbergs Diktum, die Beobachtung beeinträchtige die Funktion, überzeugt bin – so bin ich auch hier in vielem abhängig gewesen von Schreibmethoden und Beispielen (auf die es, natürlich, ankommt), die mir die genannten Männer gegeben haben. In den Vierzigerjahren gab es so viel Gerede über das Gedicht, über Bedeutungsschichten, Ambivalenzen, Symbole, Anspielungen. Man hatte sogar das Gefühl, die Dichtungskritik selber werde sich als die bedeutsamste literarische Aktivität der Zeit erweisen – als ob Kunstgeschichte relevanter werden könnte als Malerei, oder Kinderpsychologie interessanter als Kinder.
Pound dagegen sprach von der eigentlichen Bedingung des Schreibens, und er war es, den ich als Führer benutzte – und heute, zwanzig Jahre später, noch benutze, weil sein Rat Momente der Wahrnehmung vermittelte, die für mein Vorstellungsvermögen von heute so aktuell sind, wie sie es waren, als ich zuerst auf sie stieß. Zum Beispiel sein Zitat aus Remy de Gourmont, „Frei zu schreiben, was man sich wählt, ist das einzige Vergnügen des Schriftstellers“, ist für mich immer noch der einzige Maßstab des Geschäfts, dessen ich mir bewußt bin. Durch ihn erfuhr ich von Integrität, wenn er von dem Mann spricht, der zu seinem Wort steht. Weiter, er sprach so klar von der expliziten Situation des Schreibens, wie hier:

Wenn man eine Verszeile macht (und danach die Zeilen zu Passagen verknüpft), hat man bestimmte grundlegende Elemente:
Das soll heißen, man hat die verschiedenen „artikulierten Laute“ der Sprache, ihres Alphabets nämlich, und die verschiedenen Buchstabengruppen in Silben.
Diese Silben haben verschiedenes Gewicht und verschiedene Dauer
A. ursprüngliches Gewicht und ursprüngliche Dauer
B. Gewicht und Dauer, die ihnen durch die anderen, um sie herum stehenden, Silbengruppen beigelegt zu sein scheinen.
Diese sind das Medium, mit dem der Dichter sein Vorhaben in die
Zeit schneidet.

Gegen das Für und Wider von Geschmack und Meinung, von dem die Dichtungskritik so weitgehend abhängt, lenkte Pound die Aufmerksamkeit auf den spezifischen Charakter der Tätigkeit:

Rhythmus ist eine in die Zeit geschnittene Form, so wie eine Zeichnung determinierter Raum ist…
Hör auf das Geräusch, das er macht…

Es ist jedoch eigentlich Charles Olson, dem ich für alle Freiheit, die ich als Dichter habe, danken muß, und ich würde ihn auf eine Stufe mit Pound und Williams und den anderen, die ich genannt habe, stellen. Freiheit ist immer ein schwieriger Erfahrungsbereich für mich gewesen, weil ich, als ich jünger war, meinte, sie habe Vorstellungen von Erfahrungen zu liefern, und Vorstellungen der Welt, die ich zwangsläufigerweise nicht besaß – etwas, wohin man fliehen könnte. Ich habe, glaube ich, den Sinn von „frei zu schreiben, was man sich wählt“ mißverstanden, den de Gourmont und Pound vermutlich gemeint haben, weil ich „frei“ im Sinn von „ohne deutliche Begrenzung“ verstand und das „was man sich wählt“ für einen Willensakt hielt. Den Sinn von Olsons Bescheid – „Grenzen / sinds wo jeder von uns / drinsteckt“ – habe ich darum nur langsam begriffen, einfach weil ich solche „Grenzen“ für eine Hemmung der Möglichkeiten gehalten hatte, statt daß ich die Möglichkeiten als solche sah, die durch sie erst provoziert werden. Trotz Pound – oder besser, weil ich nicht hoffen konnte, solche Mittel, wie er sie hatte, zu erringen – mußte ich mir meinen eigenen Weg suchen, und zunächst war ich völlig im Ungewissen, wie er aussehen könnte.
Folglich war das, was Olson mir während der späten Vierziger- und frühen Fünfzigerjahre klarmachte, von sehr großem Nutzen. Ich spreche von der Denkungsart, die in seinem Essay „Projektiver Vers“, den er um diese Zeit etwa schrieb, deutlich wird. Lassen Sie mich ein Beispiel von dem, was ich meine, anführen:

Die Dinge, die in jedem gegebenen Moment der Komposition (in jedem Moment des Wiedererkennens, können wir sagen) vorkommen, können und müssen genau so behandelt werden, wie sie im Gedicht vorkommen, und nicht auf Grund irgendwelcher Ideen oder vorgefaßter Meinungen von außerhalb –, des Gedichts; müssen weiter als eine Folge von Dingen in einem Feld solcherart manipuliert werden, daß eine Folge von Spannungspunkten (die sie ja auch sind) so angelegt ist, daß sie hält, und zwar genau innerhalb des Inhalts und des Kontexts des Gedichts hält, das sich selbst, durch den Dichter und all dies hindurch, ins Dasein gezwungen hat.

Vor nicht langer Zeit hat mir Robert Duncan im Gespräch erklärt, er verstehe Wahl als Wiedererkenntnis, das heißt, Wahl sei bezeichnenderweise der Akt des Wiedererkennens, und ich glaube es. Was man „sich wählt“ beim Schreiben, ist bedeutsamerweise von dieser Natur, für mich, und die Komposition ist das Faktum und die Auswirkung einer derartigen Aktivität. Man steckt, also, nicht Dinge in Gedichte hinein, wenigstens hat mich meine eigene Erfahrung beim Schreiben keines anderen belehrt. Es gibt nie ein „Thema“, über welches man eine Aktivität in Gang setzt, die „Dichtung“ heißt. Auch kann man nicht, wie Williams sagt, „die Natur kopieren“, von dem nehmen, was, wie man anderweits hört, trefflich in Erscheinung tritt, ob es sich hierbei um einen Reim handelt oder eine sogenannte Erfindung.
Wieviel besser man das auch sagen könnte: was Olson mir klargemacht hat, war, daß Schreiben eine äußerst spezifische Offenbarung des eigenen Inhalts sein konnte, und der Welt, auf die sich ein jedes Leben einlassen muß. Das hat nichts mit „Personalismus“ zu tun – was, wie Persönlichkeit, ein spiegelbildlicher Begriff ist, ein Kosmetikum der Absichten. Im Gegenteil, was aus dem Schreiben, das ich am meisten schätze, hervorgeht, ist ein Inhalt, dem man nicht vorgreifen kann, der „dir sagt was du nicht weißt“, den man nur unter Todesgefahr untergraben, verdrehen oder entstellen kann.
Von dem, was ich geschrieben habe, wußte ich wenig, bis ich es geschrieben hatte. Wenn ich gelegentlich gesagt habe, mich freue was ich schreibe, so meine ich, daß das Schreiben für mich die lebensfähigste und offenste Möglichkeitsform auf der Welt ist. Dinge sind dort geschehen, wie sie nirgendswo sonst geschehen sind – und ich rede nicht von „Vorspiegelung“, die, das sei gesagt, „so wirklich wie nur möglich“ ist. In Gedichten habe ich mein Leben entdeckt und von ihm Zeugnis abgelegt, auf Arten, wie ich sie von keiner anderen Möglichkeit bekommen habe. Kann mir alles das gefallen, als was ich mich erweisen mag, oder spielt das keine Rolle? Lebe ich bloß meiner eigenen Billigung? Beim Schreiben schien es mir, daß solche kleinen Existenzbegriffe vollständig abwesend wären, und daß, endlich, die Welt „wahr würde“. Weit davon entfernt, ihre Grenze oder ihr Regisseur zu sein, ist es das Wunder, daß ich mich selbst auch in ihr gefunden habe.

Robert Creeley, aus Walter Höllerer (Hrsg.): Ein Gedicht und sein Autor, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1969

 

Die Texte von Robert Creeley

und von Günter Grass hatten ein Motiv gemeinsam: Zorn und Ärger. „Zorn“ hieß das Gedicht, das Robert Creeley als erstes las, und Günter Grass gab seinem „Essay in Versen“ die Überschrift: „Ärger, Wut, Zorn“. So ganz von ungefähr kam diese unbeabsichtigte Motivübereinstimmung nicht.
Robert Creeley, Dozent an der Universität Buffalo, ist der am meisten poetische und auch der am schärfsten reflektierende Autor aus der Gruppe, die vom Black Mountain College und von San Francisco aus vor zwölf, vierzehn Jahren Amerika mit einer neuen, unkonventionellen Dichtung bekannt gemacht hat. Sie wurde bei uns unter dem Namen „Dichter der Beat Generation“ und unter „Junge amerikanische Lyrik“ bekannt. Als Gregory Corso mit mir zusammen 1961 eine Anthologie mit diesem Titel herausgab, stellten wir fest, daß die Gedichte von Robert Creeley am schwersten zu übersetzen waren. Es waren meist kurze, gedrängte Parabeln im Lautlosen, mit understatement, mit verborgener Ironie geschrieben, – Momentaufnahmen zum Teil aus dem Alltag, aber von Situationen, die nicht offen zutage lagen, die schwer zu erfassen waren, die das Individuum in der gesellschaftlichen Zwickmühle zeigten und seine Bemühung, trotz dieser Bedrängnis zu bestehen und sich dabei sogar die Träume zu erhalten. Aber das ist schon zu grob charakterisiert. Ein Gedicht wie„Die Verschwörung“: „du schickst mir deine Gedichte, ich schick dir meine…“ oder „Es heißt“: „Auf und ab, was fällt, wird träger und träger“, … solche Gedichte ziehen Verbindungslinien zwischen Personen, wie sie sich heute gegenüberstehen, zeichnen die Spuren von etwas Lebendigem in einer Umgebung, in der es das Selbständig-Lebendige, das Selbständig-Denkende nicht eben leicht hat. In Creeleys Vorspruch zum Roman stehen die bezeichnenden Sätze:

Eine verdächtig einfache Auffassung vom Leben ist es, daß es, in jedem einzelnen Menschen, endgültig ist. Ja, für ihn, natürlich; aber für diese Welt, das frage ich mich, – oder glaube eher, es ist nur in den Beziehungen, die Menschen zustande bringen, daß sie überhaupt leben. – Die Leute wollen eine Insel, auf welcher die Welt endlich ein Ort umschrieben von sichtbaren Horizonten sein wird. – Ich habe gefunden, daß die Zeit… einen weiterträgt, weg von dieser oder jeder anderen Insel. Die Leute, sie auch, sind weg.

Creeleys ,Zorn‘ hängt mit dieser Beobachtung zusammen. In dem Gedicht „Zorn“ und in anderen längeren Gedichten gibt er, mit einer diffizil reagierenden Rhythmik und Grammatik, im Parlando-Stil, gleichsam ein Selbstgespräch wieder, das sich auch an die anderen wendet, aus der Abgeschlossenheit heraus.

Walter Höllerer, aus Walter Höllerer (Hrsg.): Ein Gedicht und sein Autor, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1969

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