Stephan Hermlin: Zu Theodor Kramers Gedicht „Requiem für einen Faschisten“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Theodor Kramers Gedicht „Requiem für einen Faschisten“ aus dem Band Theodor Kramer: Gesammelte Gedichte 1. –

 

 

 

 

THEODOR KRAMER

Requiem für einen Faschisten

Du warst in allem einer ihrer Besten,
Erschrocken fühl ich heut mich dir verwandt;
Du schwelgtest gerne bei den gleichen Festen
Und zogst wie ich oft wochenlang durchs Land.
Es füllte dich wie mich der gleiche Ekel
Vor dem Geklügel ohne innern Drang,
Vor jedem Wortgekletzel und Gehäkel;
Nichts galt dir als der schöne Überschwang.

So zog es dich zu ihnen, die marschierten;
Wer weiß da, wann du auf dem Marsch ins Nichts
Gewahr der Zeichen wurdest, die sie zierten?
Du liegst gefällt am Tage des Gerichts.
Ich hätte dich mit eigner Hand erschlagen;
Doch unser keiner hatte die Geduld,
In deiner Sprache dir den Weg zu sagen:
Dein Tod ist unsre, ist auch meine Schuld.

Ich setz für dich zu Abend diese Zeilen,
Da schrill die Grille ihre Beine reibt,
Wie du es liebtest, und der Seim im geilen
Faulbaum im Kreis die schwarzen Käfer treibt.
Daß wir des Tods und Ursprungs nicht vergessen,
Wann jeder Brot hat und zum Brot auch Wein,
Vom Überschwang zu singen wie besessen,
Soll um dich, Bruder, meine Klage sein.

 

Theodor Kramer liest sein Gedicht „Requiem für einen Faschisten“.

 

Ein Gedicht von Theodor Kramer

Dies ist nicht mein Gedicht, aber es ist ein Gedicht eines meiner Dichter unter den Zeitgenossen, des Österreichers Theodor Kramer, der vor wenigen Jahren kurz nach seiner Rückkehr aus dem englischen Exil starb. Mich wundert, daß die Epoche, die so sehr auf Bestandsaufnahme und Wiederentdeckungen aus ist, noch immer diesen großen Dichter übersieht, diesen österreichischen Juden, der unter Bauern, Holzfällern, Ziegelbrennern zu Hause war, Anfang der dreißiger Jahre bekannt wurde, zur gleichen Zeit wie der ihm wesensverwandte Norddeutsche Peter Huchel, und vergessen ward, als Hitler nach Österreich kam. Ein Wiener Verlag brachte nach der Befreiung zwei kleine Gedichtbände Kramers heraus, die längst vergriffen sein müssen. Aber obwohl inzwischen zwei weitere Bände seiner Gedichte erschienen sind, ist sein Name kaum wieder nach Deutschland gedrungen.
Es handelt sich, wie aus dem Titel hervorgeht, um ein politisches Gedicht. Ich hoffe, daß das niemanden stört. Man kann ja schnell von ihm zur politischen Prosa zurückkehren. Es ist für mich ein ergreifendes Gedicht, von stiller Eindringlichkeit, zuversichtlich, bodenlos traurig. Hier trauert einer um seinen Feind und um sich selber. Zuerst sind da eine Menge abstrakter Begriffe, die ein Gedicht in Gefahr bringen, aber die letzte Strophe hält es fest, weist ihm seinen Platz in der Welt an.
Ich setze das Gedicht hierher, weil es schön ist und weil es das Lebensgefühl von Leuten meines Schlags ausdrückt. Ich denke an die Jungen meiner Generation, meine Schulkameraden, die vor beinahe dreißig Jahren das Leben von mir trennte, bis wir uns als Feinde gegenüberstanden. Sie hatten geglaubt, Deutschland, das einen perfiden Angriff nach dem anderen vorbereitete, vor einem Angriff schützen zu müssen. Man hatte sie aufgerufen, das Abendland zu verteidigen. „Doch unser keiner hatte die Geduld…“ Habe ich sie jetzt? Erlauben sie, mit denen Geduld zu haben ich mir schwor, mir auch, Geduld zu haben?
Ich sehe schon, daß Kramers Gedicht doch manche Leute stören wird. Das tut mir leid.

Stephan Hermlin, aus Dieter E. Zimmer (Hrsg.): Mein Gedicht, Limes Verlag, 1966

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