Tadeusz Dąbrowski: Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Tadeusz Dąbrowski: Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund

Dąbrowski-Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund

BIS ES AUFGEHT

1.
dichtung ist es dann
wenn du’s fühlst

dieses
gewisse etwas

fühlst du’s?

2.
(wenn nicht
lies das gedicht nochmal
von vorn)

 

 

 

Nachwort 

Die Lyrik ist das kostbarste Geschenk, das die polnische Literatur der Welt gemacht hat. Nimmt man nur die zweite Hälfte des für die Polen langen, überlangen zwanzigsten Jahrhunderts, die Zeit des zweiten Weltkriegs bis heute, so stehen einem sofort die großen Namen vor Augen: Czesław Miłosz und sein Ringen mit dem katholischen Gott, das mit einer liebevollen Versöhnung endete; Tadeusz Różewicz und sein radikaler Bruch mit der poetischen Sprache; Julia Hartwig und Wisława Szymborska, die ein skeptisches Dichten und Denken jenseits der Ideologien inszenieren; der unvergleichliche Ironiker und Weltbürger Zbigniew Herbert und sein alter ego Herr Cogito, die die Welt und ihre Moral mit dem Maßstab der Kunst neu vermessen haben; Adam Zagajewski, der menschenkluge Melancholiker, der als unermüdlicher Wanderer darauf hofft, die Schönheiten der Welt zu entdecken. Und viele, viele andere, die zwischen Danzig und Krakau darauf vertrauen, dass die poetische Sprache immer noch die Kraft hat, einen Zipfel unserer Existenz zu lupfen.
Zu dieser Gruppe tritt nun Tadeusz Dąbrowski hinzu, ein junger Dichter aus Gdansk, gerade dreißig Jahre alt und doch schwer belesen, ein nachdenklicher, grüblerischer Zeitgenosse, der in seinen fünf Gedichtbänden danach Ausschau hält, was von den großen Versprechungen der Welt und der Poesie übriggeblieben ist für seine Generation. In seinen philosophischen Träumereien fragt er noch einmal die großen Fragen und gibt zögernde Antworten, wie es sich für einen gut trainierten Skeptiker gehört. „Zuviele von diesen Ichs; wenn ich sie nur einsammeln könnte, zu einem Ich versammeln“, ruft er einmal aus, aber er weiß auch, dass diese Hoffnung trügerisch ist. Das eine, eherne, stabile Ich ist nicht mehr zu haben: 

In alten Zeiten konstruierte sich der Mensch eine Identität.
Jetzt sucht er sie. Und ich suche auch – dann und wann
finde ich etwas, das nach ihr aussieht.

Dieses Etwas schaue (mich an?) mir Augen wie Spiegeln:
immer das gleiche Erschrecken, dieselbe Hoffnung,

dass die Wahrheit mitten unter uns ist.

Eigentümlich ist diesen Gedichten, dass sie nicht den Versuch beschreiben, durch Bewegung, Flucht oder Aufbruch die Welt zu erfassen und den Ort oder Nicht-Ort auf ihr zu finden, der dem Dichter zukommt. Das gehört für Tadeusz Dąbrowski bereits zum illusionären Repertoire unserer Existenz – zu glauben, durch Betriebsamkeit die Wahrheit zu finden.
Er setzt – ganz altmodisch und sehr überzeugend – auf Versenkung, Kontemplation, Konzentration, Stillstand, auf das, was Gedichte leisten können, um der rasenden Welt eine andere entgegenzuhalten. So entstehen fragile, zarte Gebilde, mit denen man gut leben kann – und wenn nicht, empfiehlt es sich, die Gebrauchsanleitung auf der letzten Seiten zu lesen, „bis es aufgeht“. 

Michael Krüger, Nachwort

 

Die Gedichte

des polnischen Lyrikers Tadeusz Dąbrowski sind atemberaubende Satiren zwischen ironischer Anekdote und biographischer Fiktion. Er vermischt mit sprachlicher Leichtigkeit und formaler Strenge das Erhabene, die Abstraktion mit der Alltäglichkeit. Er ist dabei stets auch Bürger des Internetzeitalters, das uns alle zu Selbstdarstellern, Pornographen und Informationsflutern, zu Überreizten wie Überreizern gleichermaßen werden lässt. „Für Dąbrowski besteht unsere Welt aus unzählbaren Anregungen, einen Blick auf die ,andere Seite‘ zu werfen. Unter die Sohle, unter die Haut, hinter den Vorhang und unter das Haar. Dort findet er wirklich Erstaunliches.“ (Tadeusz Nyczek). Die Auswahl umfasst die beiden aktuellen Bände Dąbrowskis. Als Übersetzer wurde der Lyriker Andre Rudolph gewonnen, Übersetzungen von Monika Rinck und Alexander Gumz ergänzen die Sammlung. Michael Krüger, der Verleger des Hanser Verlags, hat das Buch mit einem Nachwort versehen.

amazon.de, Ankündigung

 

Sterben müsste man, um es perfekt zu machen

– Der polnische Lyriker Tadeusz Dąbrowski zitiert sowohl Heidegger als auch Frank Black und sinniert über jene Quadratur des Kreises, mit der die Poesie seit jeher ringt. –

Der Wiesbadener luxbooks-Verlag ist binnen kurzer Zeit zu einer feinen Adresse für zeitgenössische Dichter geworden. Den Auftakt zur neu etablierten „Slavica“-Reihe bilden Gedichte des polnischen Lyrikers Tadeusz Dąbrowski. Unter dem Titel Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund ist eine Auswahl von 49 Gedichten versammelt. Linksseitig Weiß auf Schwarz in polnischer Originalsprache, rechtsseitig Schwarz auf Weiß in der deutschen Übersetzung, die neben den Lyrikern Monika Rinck und Alexander Gumz größtenteils Andre Rudolph überzeugend vorgenommen hat, werden die Gedichte dadurch fast beiläufig auch zum Kulminationspunkt eines „poetischen Quartetts“.
Wo mit dem Schwarzen Quadrat auf Kasimir Malewitschs Bild Schwarzes Quadrat auf weißem Grund (1915) angespielt wird, kann man reduzierte und abstrakte Verse erwarten. Tatsächlich sind diese Gedichte höchst präzise gearbeitet. Doch bei aller Klarheit und Konzentration seiner Sprache schreibt Dąbrowski keine fröstelige Gedankenlyrik. Es geht auch sinnlich, erotisch zu, wie etwa in dem titellosen „Aus Versehen habe ich dich aus der Tabledance- / Bar rausgetragen auf Händen direkt in mein Bett und / gründlich in den Laken verrieben“.
Das erste Gedicht, das Dąbrowski als Erstklässler schrieb, widmete er seiner Lehrerin, in die er bis über beide Ohren verliebt war. Die enge Beziehung zwischen Text und Körper bildet nach wie vor einen zentralen Aspekt seiner Lyrik. Der eigene und der fremde Körper werden in ihrer Schönheit, Bedürftigkeit und Unzulänglichkeit beschrieben, bewundert oder misstrauisch beäugt, ihre Veränderung durch die Zeit protokolliert. Gelegentlich wird das Moment der Befremdung dabei weit vorangetrieben:

Heute habe ich mir aus deinem Nacktfoto ein Auge
rausgesucht und auf Bildschirmgröße gezoomt, bis
an die Grenze der Auflösung.

Immer neu setzen die Verse an, hinter Zauber und Geheimnis des Wahrgenommenen, Einmaligen zu kommen, bessere Worte zu finden – und schrecken zugleich davor zurück. Aus dieser Paradoxie entstehen die spannungsreichen, skrupulösen, bisweilen selbstironisch klingenden Gedichte. Sie berichten von den feinsten Abstufungen eines Sich-Näherns, das sich verwandelt in ein Nachdenken über Sprache und ihre Grenzen, über Erkenntnis und ihre Grenzen, über Glauben und Zweifel, über Flüchtigkeit und Dauer, über das fragile Ich und seine Vielschichtigkeit, kurzum: über jene Quadraturen des Kreises, mit denen die Poesie von jeher ringt:

mit jedem wort das hinzukommt maure ich mich dichter
ein in diesem gedicht um es perfekt zu machen müsste ich
sterben darin viele male habe ich gehört das wichtigste
sei der mensch also lasse ich im gedicht eine lücke durch

die ich mich durchquetschen kann
ganz zuletzt kannst du dort eindringen um meine spur zu besichtigen
[…]

Unschwer lässt sich folgern, dass auch der Tod immer wieder zur Sprache kommt. So überzeugend werden hier erstletzte Fragen aufgeworfen, dass man beim Alter ihres Autors kurz staunt: Tadeusz Dąbrowski wurde 1979 geboren. Nicht nur in Polen, wo er als Lyriker, Essayist, Kritiker und Redakteur der Literaturzeitschrift Topos tätig ist, werden seine Gedichte geschätzt. Längst haben sie sich auch über Landes- und Sprachgrenzen hinaus weiterverbreitet; Dąbrowski weiß von Übersetzungen in inzwischen mindestens 18 Sprachen. Auch in den Übersetzungen strahlen diese Verse stark aus. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass sie sich bei aller Ernsthaftigkeit und Genauigkeit fest in der Gegenwart verankern. Nicht nur in den Motti von Schwarzes Quadrat werden mit Zitaten von Martin Heidegger und Frank Black, dem ehemaligen Pixies-Sänger, Hochkultur und Popkultur miteinander vermittelt. Auch durch Verweise auf Quentin Tarantino, Woody Allen, die Türme des World Trade Centers, die sich rätselhaft „jede Nacht / rasend schnell selbst wieder aufbauen, um dann am Tag faul // wieder einzustürzen“, stehen Dąbrowskis Gedichte mitten in ihrer, unserer Zeit.

Beate Tröger, der Freitag, 5.4.2011

Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund.

Wo der Bulgare Gospodinov mit dem alten Fotoapparat Smena die Leerstellen der Geschichte einzufangen sucht, zoomt der Pole Tadeusz Dąbrowski aus einem Nacktfoto ein Auge heraus – bis auf Bildschirmgröße – um mit einem „letzten klick / auf die andere Seiten zu kommen, die Seele“. In seinen Versen macht er sich die Verfahren digitaler Medien zu Nutze. Das mailt, zoomt und telefoniert per Handy, dass es nur so pixelt. Und dennoch bricht das lyrische Haus nicht auseinander. Es steht in einem anderen Alltag als dem der dörflichen Beschaulichkeit. Die Pose des nächtlich durch Table-Dance-Kneipen tourenden sexbesessenen Abenteurers übt Dąbrowski gern. Sein Alter Ego bildet sich Hunger und Durst ein und probt verschiedene gewöhnliche und absurde Todesarten. Seine Entwürfe schickt der dreißigjährige Dichter durch eine Hölle der Verwandlung. So geht er mit der Liebe um, mit dem Traum, der Wahrheit und den Zeiten. Die unendlichen Möglichkeiten, die der Pole bedenkt, leben nur für Augenblicke: als Bild, als Bewegung oder herausfordernde Geste. Worte weiten sich zu begehbaren Räumen, zu einem Haus, in dem das zeitgenössische Gedicht Signale sendet und empfängt. Auch die Identität des Ich ist nichts Festgelegtes. „Dieses Gedicht ist das Leben, ich mache alles, um in jedem Vers ich selbst zu bleiben“ – ein aussichtsloser Überlebenskampf – und zugleich ein ironisches Spiel mit Sprache und Klischees vom Dichten. Und während er sich mit jedem Wort, das dazukommt, dichter im Gedicht „einmauert“, lässt er eine Lücke, damit er sich ganz zuletzt doch noch „durchquetschen“ kann. Ganz perfekt, also dicht, soll es ja nicht werden. Bisher ist keiner seiner fünf Lyrikbände auf Deutsch erschienen. Die hier versammelte Auswahl macht auf einen Autor der jüngsten Generation aufmerksam, der mit neuartigen Fragestellungen und Schreibweisen an die Großen der polnischen Dichtung anknüpft. Wo andere dem Zeitgeist der unaufhörlichen Beschleunigung mit einander jagenden Sprachfetzen huldigen oder den Blick auf den einzelnen Gegenstand fokussieren, setzt Dąbrowski auf die Kraft der Imagination.

Dorothea von Törne, Die Welt, 12.6.2010

Gott ist ein tollpatschiger Riese

– Eine Entdeckung: die Gedichte des Polen Tadeusz Dąbrowski. Hier ist ein Junger drauf und dran, die große Tradition der polnischen Lyrik fortzuschreiben. –

Die Gedichte von Tadeusz Dąbrowski kommen vom Parlando, vom Sprechen, her. Oft ist es ein Ich, das über sich und die Welt nachdenkt, doch nie im Gestus des Grübelns, sondern leichthin und fast beschwingt. Man spürt schon bei der ersten Lektüre dieses 31-jährigen Lyrikers aus Gdansk, dass die Dinge, die ihn beschäftigen, in allen Einzelheiten durch ihn hindurchgegangen sind. Die Leichtigkeit ist mühsam errungen, vom spontan Hingeschriebenen ist dieser Alltagsphilosoph meilenweit entfernt.
Das Frappierende an der Lyrik dieses Skeptikers ist vielleicht, dass die Welt so zurückhaltend wie eindringlich in sie eingesickert ist. Nicht selten geht es um die großen Fragen. Der alte „Streit zwischen Gut und Böse“ tobt in Tadeusz Dąbrowski ebenso, wie Nietzsches Gedanke von der Ewigen Wiederkehr ihn festzustellen veranlasst, dass wir daran nur glauben, „weil wir auf Ähnlichkeiten aus sind, doch ein Frühling / ist dem anderen nicht ähnlicher als / dem Winter. Du hast kein Recht zu sagen, dass du der bist, / der du gestern warst…“ Gott ist bei Dąbrowski nur ein „tollpatschiger Riese“, der zusieht, wie auf einer Autobahn Laster ineinander krachen oder ein Hurrikan Florida verwüstet. Aber so ganz möchte das lyrische Ich der großen geheimen Kraft doch nicht abschwören.
So wird im Folgenden darüber spekuliert, ob es dem glücklosen Riesen denn wenigstens gelingen werde, „mich lebend ins Jenseits hinüberzutragen“. Das Unglück ist ständig präsent in Dąbrowskis Gedichten, ob es um den mythischen Absturz des Ikarus in der Figur eines Betrunkenen geht, der über den Treppenabsatz einer Metrostation stolpert, oder um das wuchernde Krebsgeschwür eines „Jungen in der Onkologie“. Ohne Ironie kommen diese Gedichte nicht aus, das ist ihre Weise, sich vor der hereinbrandenden Wirklichkeit zu schützen. Dąbrowski, so schreibt Michael Krüger in seinem Nachwort zum Band, setzt „auf Versenkung, Kontemplation, Konzentration, Stillstand – auf das, was Gedichte leisten können, um der rasenden Welt eine andere entgegenzuhalten“.
Diese erstaunlichen Gedichte tragen tatsächlich etwas unterschwellig Widerständiges mit sich, und so kann man Krüger nur darin zustimmen, dass hier ein Junger drauf und dran ist, die große Tradition der polnischen Lyrik auf seine Weise fortzuschreiben: indem er anknüpft an das „skeptische Dichten und Denken jenseits der Ideologien“, wie es etwa die Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska oder der menschenkluge Melancholiker Adam Zagajewski vertreten. Schön auch die Ausstattung des Bandes, für die man bei Luxbooks den Titel fast wörtlich genommen hat: Während die polnischen Originaltexte dieser zweisprachigen Ausgabe weiß auf schwarzes Papier gedruckt sind, finden sich die Übersetzungen wie üblich schwarz auf weiß in dem quadratischen Bändchen wieder.

Volker Sielaff, Der Tagesspiegel, 20.6.2010

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Astrid Kaminski: Reparatur am Bilderrahmen
Berliner Zeitung, 26.8.2010

 

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Tadeusz Dąbrowskis Dichterlesung am Hunter College, 14. November 2017.

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