DUDELSACKSTÜCK
Das Meer schreit mit sinnloser Stimme,
Behandelt gleich Tot und Lebendig,
Vermutlich gelangweilt von der Erscheinung des
aaaaaHimmels,
Nach Millionen Nächten ohne Schlaf,
Ohne Zweck, ohne Selbsttäuschung.
Stein ebenso. Ein Kiesel ist eingekerkert
Wie nichts im Universum.
Geboren für schwarzen Schlaf. Oder wird manchmal
Gewahr der Sonne roten Punkts
Und träumt, er sei die Leibesfrucht Gottes.
Über den Stein rast der Wind
Kann sich mit nichts vermischen
Gleich dem Gehör des blinden Steines.
Oder wendet sich, als ob der Stein von
Himmelsrichtungen träume.
Ein Baum kämpft, Blätter zu treiben,
Trinkt Meer und frißt Fels
Eine alte Frau, herabgestürzt aus dem All,
Ungewappnet für derlei Bedingungen.
Sie hält durch, denn sie hat ganz den Verstand verloren.
Tag für Tag, Ewigkeit auf Ewigkeit,
Keinerlei Nachlassen, keinerlei Fortschritt.
Ist jedoch weder Mißgeburt noch Experiment.
Hier wandern staunende Engel hindurch,
Hier beugen sich alle Sterne herab.
von Ted Hughes (1930 in Yorkshire geboren) als „Dichtung der Gewalt“ bezeichnet, ja sogar als faschistisch denunziert. Dies geschah im gleichen Unverstand, der alles geistige Erbe, das vom politischen Faschismus der Hitlerzeit für seine Zwecke mißbraucht wurde, mit dessen Stigma behaftete. Hughes’ „poetry of violence“ ist das Werk eines stark religiös ausgerichteten Menschen. Schopenhauer, D.H. Lawrence, neuerdings Nietzsche sowie ein weitgefächertes Studium der Religionsgeschichte und Anthropologie haben ihren weltanschaulichen Hintergrund geprägt: eine antiromantische Naturlyrik, welche die Natur in ihrer Schönheit, zugleich aber auch in ihrer Grausamkeit darstellt und dabei im Leben selbst nach einer letzten religiösen Veränderung sucht. In Crow (1970), seinem zuletzt erschienenen Gedichtband, der in England und Amerika zum Lyrik-Bestseller wurde, hat Hughes seine Weltbilder durch die Sinnumkehrung christlicher Mythen und Symbole in einer Reihe von mythologischen Fabeln um eine Krähe zu veranschaulichen versucht. – Die hier übersetzten, früheren Texte zeigen Ted Hughes auf dem Weg zu einem privaten Mythos, dessen Verbindlichkeit in der Eigenwilligkeit seiner Existenz besteht.
Neben die New Lines Poets, deren nüchterne, alltagsbezogene Sachlichkeit den Grundton englischer Lyrik in den 50er und 60er Jahren ausmachte, trat Hughes mit seinen Erstveröffentlichungen The Hawk in the Rain (1957) und Lupercal (1960) als Außenseiter. Heute sieht man in ihm weithin den bedeutendsten englischen Lyriker seiner Generation, der auch auf andere Dichter wie Peter Redgrove, Ted Walker und David Wevill bereits unverkennbaren Einfluß ausübt.
Egbert Faas, Vorwort
Während etwa die französische, spanische und auch die amerikanische Lyrik der Gegenwart dem deutschen Leser durch Uebersetzungen wenigstens in Umrissen bekannt ist, weiss man hierzulande nur recht wenig von der zeitgenössischen englischen Poesie. Nach dem Tode von T.S. Eliot ist allenfalls noch der inzwischen auch schon 65jährige Wystan Hugh Auden einem grösseren Publikum bekannt, was seinen Grund nicht zuletzt in dem Interesse Gottfried Benns an diesem Autor haben dürfte.
So ist es denn zu begrüssen, dass das Literarische Colloquium Berlin in der preiswerten Reihe seiner LCB-Editionen jetzt mit Ted Hughes einen englischen Lyriker vorstellt, der zu den wichtigsten Autoren seiner Generation zählt. Der kleine Auswahlband heisst Gedanken-Fuchs und bringt, neben den Uebertragungen von Egbert Faas die englischen Originale.
Man hat, wie Faas schreibt, die Lyrik von Ted Hughes als „poetry of Violence“, als Dichtung der Gewalt charakterisiert und sogar als faschistisch zu denunzieren versucht. Das aber ist gänzlich falsch. Hughes, dessen Texte sich deutlich von der Nüchternheit und Sachlichkeit, der in den fünfziger und sechziger Jahren in England vorherrschenden Poesie unterscheiden, ist von Religion und vitalistischer Philosophie mitbeeinflusst; das Studium der Anthropologie und der Religionsgeschichte hat Hughes Lyrik geprägt: eine bildstarke Naturlyrik, die antiromantisch ist und die auch nichts zu tun hat mit der naturmagischen Dichtung deutscher Provenienz, die vielmehr – so Faas – „die Natur in ihrer Schönheit, zugleich aber auch in ihrer Grausamkeit darstellt und dabei im Leben selbst nach einer letzten religiösen Veränderung sucht.“
Ein Interview von Egbert Faas mit Ted Hughes am 10.5.1970
– Ted Hughes’ mythopoetisches Verfahren. –
für Wolfgang Kaußen
Krähe und Habicht sind mit dem Raben verwandt, zumindest unter den Vorzeichen der mytho-poetischen Ornithologie des Ted Hughes und des poetischen Kalküls von Edgar Allan Poe. Nicht dass Hughes ähnlich kalkuliert gearbeitet hätte wie der zwischen den Kulturen und Kontinenten oszillierende Haupterfinder der poetischen Moderne. Verwandt sind diese lyrisch gewordenen Vogelarten in ihrer Nähe zum Mythos. In Poes Gedicht sitzt der Rabe auf einer Büste der Pallas Athene über der Tür zum Zimmer des Dichters und wirft Schatten, in denen des Dichters Seele auf dem Boden strömt, ohne sich je wieder erheben zu können: Nevermore.
Krähe, einen Artikel, ob bestimmt oder unbestimmt, zu verwenden, verbietet sich, Krähe des Ted Hughes trifft Odysseus und Proteus. Krähe spricht über sich in der dritten Person. Krähe ist ein Geschöpf und Alptraum Gottes, ein Untier, subversiv und souverän, halb Fledermaus, halb Galgenvogel, Rabenvater und Mutter von Minervas Eule in einem. Krähes Flug würden nur Selbstmörder deuten.
Die mythische Landschaft des Ted Hughes ist Yorkshire und Devonshire und nirgendwo, wilde Natur, von Zivilisationsschäden kaum angefochten. In ihr haust das Ungeschlachte, das Rohe, aber auch das Verletzte, Unerlöste. Hughes verkörperte den chthonischen Dichter, der das Elementare in seinen Gedichten und szenischen Texten feierte, als ein Gewaltereignis, das inmitten der Zivilisation aufbrechen kann und mit dem jederzeit zu rechnen ist. Wenn Krähe im Gedicht „Crow’s Vanity“ in „the evil mirror“ schaut, erkennt er „mistings of civilization“ oder „mistings of skyscrapers“, gar „webs of cities“. Aber es genügt eine Bewegung, und alles ist auf diesem Spiegel weggewischt. Auftaucht statt dessen ein „spread of swampferns“.
Hughes’ mythische Welt verlangt nach Beschwörung, nach Anrufung durch das Wort, das er zuweilen gegen den Logos einzusetzen scheint. Denn ganz zum Logos will er seine Mythen nicht werden lassen; und so kehrt er nicht selten das Gedicht gegen sich selbst – durchaus nicht aus Sprachskepsis, sondern aus schierer Leidenschaft für das vermeintlich Ursprüngliche.
Nach eigener Aussage wurde Ted Hughes mythische Weltsicht und Dichtung durch James Frazers seinerseits legendäres Mythenkompendium The Golden Bow und Robert Graves’ The White Goddess entscheidend beeinflusst. Poesie bedeutete für Hughes, die Sprachquellen im Irrationalen und in der visionären Ekstase zu fassen. Neben den genannten Vorläufern stand Hughes demnach auch in der Tradition von D.H. Lawrence, aber auch eines W.B. Yeats, Ezra Pound und David Jones. Die Gebrochenheit des Mythos, wie ihn Hughes’ Mentor T.S. Eliot im Waste Land als partieller Adept von James Frazer einst vorgeführt hatte, versuchte Hughes augenscheinlich rückgängig zu machen.
Etwas Anderes kommt hinzu: Das mythologische Interesse von Sylvia Plath, das ihre Lyrik vergleichsweise intensiv prägte und sich durch Hughes’ Einfluss weiter verdichtete und in den Bereich des Mystischen erweiterte oder, je nach Deutungsrichtung, transzendierte. Es fällt freilich auf, dass in Plath’ Gedichten die Zitate griechischer Mythologie weniger mit anderen Mythologien vermischt, sondern gewissermaßen authentischer ins Sprachbild gerückt werden. Ihre von Ted Hughes posthum herausgegebenen Collected Poems beginnen und enden mit griechisch-antiken Anklängen und sind auch insgesamt von ihnen durchsetzt.1 Das Gedicht „Conversation Among the Ruins“ (1956) setzt ein Bild von Giorgio de Chirico sprachlich um, dessen gebrochene, ins Surreale gesteigerte antike Bildlichkeit Plath nachdrücklich geprägt hat, nicht aber Hughes.
Through portico of my elegant house you stalk
With your wild furies, disturbing garlands of fruit
[…]
Fractured pillars frame prospects of rock;
While you stand heroic in coat and tie, I sit
Composed in Grecian tunic and psyche-knot,
Rooted to your black look, the play turned tragic:
With such blight wrought on your bankrupt estate,
What ceremony of words can patch the havoc?2
Man kann in diesem seltsamen Eindringling in das illusionäre Arkadien auch ein erstes poetisches Porträt von Ted Hughes sehen, den sie im Februar jenes Jahres kennen gelernt hatte. Es zeigt sich, dass Plath in ihrem letzten Gedicht („Edge“) sieben Jahre später ein ähnliches Bild aufruft, in dem sie sich jedoch bereits entpersönlicht und als Tote ins Gedächtnis der Nachwelt einschreiben will:
The woman is perfected.
Her dead
Body wears the smile of accomplishment,
The illusion of a Greek necessity
Flows in the scrolls of her toga,
Her bare
Feet seem tobe saying:
We have come so far, it is over.3
Hughes verwies nicht auf diese antik-mythologische Bildlichkeit als Spezifikum der Plathschen Lyrik; wohl aber arbeitete er in seinem Essay „On Sylvia Plath“ (1994) den Spannungsbogen in den mythologischen Ariel-Gedichten heraus und verglich ihn mit dem Wiedergeburtsdrama in ihrem Roman The Bell Jar.4 Anders als Plath rief Hughes die mythischen Welten, darunter die Antike, mit programmatischem Interesse auf. Durch sie und ihre poetische Verlebendigung wollte er gleichsam Widerstandskräfte gegen die zivilisatorische Entfremdung mobilisieren. Das Gedicht setzte er dabei als Mythos-Regenerator ein und das mit einer Verve, die an Botho Strauß’ Anschlag auf die „sekundäre Welt“ in seinem notorischen Großessay „Anschwellender Bocksgesang“ erinnert.5
Dabei hatte Hughes’ anderer Mentor von einst, W.H. Auden, bereits 1967 in seinen T.S. Eliot Memorial Lectures auf die unbedingte Notwendigkeit des Sekundären verwiesen. Auden hatte darin seine Vorstellung von einer (mythischen) Dichtung entwickelt, die als sekundäres Phänomen die Wahrheit über die die „primäre Welt“ in Erfahrung bringe. Kunst, so Audens implizite an Tolkien orientierte These, stelle Verbindungen zur archaisch-mythischen Welt dar in welcher Art und Form auch immer.6 Auden regte dabei Stil- und Motivvergleiche an zwischen den griechischen und isländischen Epen, was bei ihm zu Reflexionen über das Verhältnis und die literarische Wirkung von isländischer Parataxis zu griechischer Hypotaxis führte sowie zu Betrachtungen über das Sinnnbild der Wunde – in der Ilias, der Njal-Saga und, wie zu ergänzen wäre, der christlichen Parzival-Legende. In der selben Vorlesung sprach sich Auden jedoch kategorisch gegen den Versuch aus, Auschwitz ähnlich zu mythisieren; denn dergleichen könne nur zu „aesthetic enjoyment of horror“ führen, was prinzipiell verwerflich („wicked“) sei.7
Das Wissen über das Böse könne und müsse demnach aufgrund moralischer Erwägungen durchaus verschiedene Formen der Darstellung erfordern. Die Shoa hielt Auden für grundsätzlich von künstlerischen Transformationen ausgeschlossen; allein historiografische Analysen sollten sich dieser Zivilisationskatastrophe annehmen.
Die Frage nach der Natur des Bösen stellte Hughes seinerseits mit radikaler Folgerichtigkeit und erkannte in ihr eine Grundsubstanz des Mythischen, die sich unter anderem in den Szenarien urtümlicher Gewalt ausdrückte. Exemplarisch rückte Hughes diese Frage nach dem Bösen in den Mittelpunkt seiner szenischen Dichtung Gaudete (1977), in der ein anglikanischer Geistlicher namens Nicholas Lumb von den Elementargeistern entführt wird. Um die Leere, die dieser hinterlässt zu füllen, erschaffen besagte Geister aus einem Eichenstamm ein Duplikat von Lumb, der in seiner Gemeinde ein Fraueninstitut gründet, Frau um Frau verführt unter dem Vorwand, mit ihr den neuen Messiahs zeugen zu wollen. Die Szenen gelten dem letzten Tag dieses Wechselbalgs Nicholas Lumb, denn die Ehemänner haben inzwischen mitbekommen, welchen Zweck dieses ominöse Fraueninstitut erfüllen soll. Der Wechselbalg oder genauer: das in Lumb verwandelte Stück Eichenholz kommt um, und man sieht zuletzt den eigentlichen Geistlichen, der nun an der Westküste Irlands der „weißen Göttin“ huldigt und seine eigene Heidnisierung zelebriert.8
Das Böse oder moralisch Verwerfliche vollzieht sich in Hughes Dichtungen zumeist ohne erkennbaren geschichtlichen Zusammenhang, ganz im Gegensatz zu Sylvia Plath, die zunehmend ihre deutsche Herkunft vor dem Hintergrund der Shoa problematisierte. Nicht zu unterschätzen ist jedoch bei der Bewertung der mythischen Gemengelage im Werk von Ted Hughes, dass er nach dem Suizid seiner Frau deren Mythisierung gleichsam hautnah erlebte. Der Mythos Sylvia Plath wurde zu seinem Hausungeist, forderte von ihm aber, sich mit diesen sehr konkreten Fragen der Mythenbildung auseinanderzusetzen, sei es als (in der Öffentlichkeit eher wortkarger) Zeuge, als Herausgeber oder als Kritiker des mythischen Bildes der Dichterin. Und noch ein weiteres biographisches Moment kommt hinzu, das in unserem Zusammenhang nicht übersehen werden darf: Kaum ein anderer Schriftsteller aus dem Umfeld der „Angry Young Men“-Generation hatte sich anfangs prononcierter gegen das Establishment gerichtet als Hughes. Dass gerade er im Jahre 1985 zum poeta laureatus gekürt wurde und daß er dieses Amt tatsächlich angenommen hatte, empfanden viele Kritiker als bizarr, wenn nicht sogar als inkonsequent. Man konnte dieses Amt jedoch auch als eine weitere Arbeitsform am Mythos verstehen, in diesem Fall am ,Mythos Monarchie‘ und seinen Versatzstücken in Gestalt von Sarah Fergusons Hochzeitskleid, das er nun zu bedichten hatte, von den diversen Festtagen der königlichen Familie zu schweigen. Oder hatte Hughes inzwischen das in sich gebildet, was seine Dichtungen sonst am wenigsten auszeichnete: Ironie? Konnte Hughes als poeta laureatus zum Parodisten dieser Spielart des Medien-Mythos werden? Wirklich zu beantworten sind diese Fragen nicht, da er selbst darüber so gut wie jede Aussage verweigerte. Nachweislich gelitten hat jedoch Hughes’ poetisches Können unter diesem kuriosen Amt nicht, was nicht von allen Berufenen gesagt werden kann. Was Hughes noch zuletzt gelang, die Dichtungen Tales from Ovid (1997) und Birthday Letters (1998) sowie die Übertragung der Oresteia (1999) des Aeschylos und die Neufassung der Alcestis nach Euripides (posth. 1999) gehört fraglos zum Bedeutendsten, was er geschaffen hat.
Kehren wir also zu dem immens fruchtbaren Gebiet seines mythologischen Schaffens und seines Umfeldes zurück, und fragen wir weiter nach der Art seiner Mythologeme. Hughes war der Schamane und Druide unter den englischen Dichtern.9 Seine frühe Lyrik betrieb Unzucht mit dem Wilden und seinem Getier, für ihn das nebelschwangere Feuchtgebiet des Mythischen. Versucht man nun die spezifisch antike Dimension von Hughes’ mythischem Interesse herauszuarbeiten, dann fällt zunächst auf, wie entschieden er die pädagogische Seite der griechischen Mythologie betonte, so vor allem in seinem Versuch „Myth and Education“ (1976).10 Griechenland sah er als Schauplatz der vehementen Auseinandersetzung zwischen archaischer und platonisch reflektierter Mythenenwelt, die Plato konsequent pädagogisch eingesetzt habe, um die Vorstellungskraft der zu Erziehenden zu entwickeln. Die Hauptthese von Hughes lautet, dass die Mythen allesamt aus Hieroglyphen bestehen, die eines bestimmten, sie interpretierenden, mit Leben erfüllenden Bewußtseinshintergrunds bedürfen. Er illustriert diese These dadurch, dass er ein provozierendes Bild aufruft: „the crucifiction of Hitler“. Hughes Argument lautet: Ohne die geschichtlichen Zusammenhänge dieser Worte bliebe diese Hieroglyphe kryptisch und unverständlich. Erst wenn wir uns der beiden Bedeutungshälften dieser als Ganzes extremen Hieroglyphe bewusst werden, so Hughes, läuten in uns alle Alarmglocken moralischen Empfindens. Die Geschichte von Christus und Hitler, meint Hughes, hätten je auf ihre Weise unser Bewusstsein radikal verändert.11 Und dieser Radikalität bedürfe es offenbar, damit aus vermeintlichen Hieroglyphen Mythen werden können.
Wohl auch um die Spannweite seines eigenen mythischen Verständnisses zu illustrieren, beschäftigte sich Hughes in einem späteren Versuch über Mythen mit dem Sangeswahn des Zaunkönigs, der für die Dauer seines Liedes eine Art epileptischen Anfall erleide, wobei er mit weit aufgerissenem Schnabel senkrecht nach oben singe.12 Die mythische Fauna bestand für Hughes in erster Linie aus Arten, die vom Aussterben bedroht sind, so der Grashüpfer und das schwarze Nashorn, denen er lyrische Denkmäler gesetzt hat.13 Gleiches gilt für bedrohte Ethnien wie die Indianer in ihren Reservaten, die er gleichfalls bedichtete.14 Anders gesagt: Während die griechischen Mythen die Gegenwart der Götter beschworen, konzentriert sich die Mythenwelt bei Ted Hughes oft auf die Gegenwart des Abwesenden. Präsent ist in diesen Gedichten die drohende Leerstelle. Hughes hatte die Verlorenen im Blick, die sich selbst fremd geworden waren:
Born at the bottom of the heap. And as he grew upwards
The welts of his brow deepened, fold upo fold.
Like the Tragic Mask.
Cary Grant was his living double.15
Mit diesen Zeilen beginnt sein Gedicht „Sacrifice“, in dem das Mythische abgesehen vom Titel in der griechischen Maske zitiert wird, bis sich dieses Zitat im tödlichen Sturz der Tochter von der Leiter erfüllt.
Hughes’ elegisch-prophetischer Gestus gehörte unmittelbar zu seinem Selbstverständnis und poetischen Ausdrucksregister. Das Um- oder Überschreiben von Mythen fügt sich in Hughes Lyrik in sein anderes Stilprinzip, das des Verblüffens. Dichtet er über Prometheus, so fällt in seinem Gedicht jede herkömmliche Assoziation von diesem Mythos ab. Er ist nicht mehr an einen Felsen geschmiedet, sondern befindet sich auf demselben – auf seltsam freiem Fuß:
PROMETHEUS ON HIS CRAG
Shouts and his words
Go off in every direction
Like birds
Like startled birds
They cry the way they fly away
Start up others which follow
For words are the birds of everything –
So soon
Everything is on the wing and gone
So speech starts hopefully to hold
Pieces of the wordy earth together
But pops to space-silence and space-cold
Emptied by words
Scattered and gone.
aaaaaaaaaaAnd the mouth shuts
Savagely on a mouthful
Of space-fright which makes the ears ring.16
Man könnte hier von einer Umpolung des Mythos sprechen: Nicht der eine Raubvogel attackiert wiederholt die Leber des Prometheus, sondern dessen Worte gehen von ihm vogelgleich aus. Allenfalls erinnert noch der schließende Mund an die sich schließende Wunde. Was er umschließt ist „space-fright“, eine Raumfurcht, die physische Schmerzen verursacht. Die Pointe freilich ist: Die Worte des Prometheus sind leer, und sie entleeren ihrerseits konventionelle Bedeutungsgehalte. Als eigentliche Geschöpfe lassen sie sich nicht ansprechen. Ihr Bereich ist die „space-silence and space-cold“, Entfremdungsbereiche, die zuletzt umschlagen in „space-fright“, eine, paradox gesagt, transzendentale Existenzangst, die vergessen lässt, wo sich Prometheus befindet: exponiert auf dem Tartarus.
Dieses Gedicht ist ein Beispiel für Hughes mildere Lesart des griechischen Mythos. Eine stellenweise an Heiner Müller erinnernde,17 das Mythische gewaltsam aufbrechende oder die Gewalt im Mythos freisetzende Lesart findet sich dagegen bei Hughes besonders in seinen Übertragungen aus dem Griechischen, etwa in der Oresteia des Aeschylos. Anders als Müller beharrte Hughes jedoch auf dem Schleier des Mystischen, der jede seiner Adaptionen umgab.
Auffallend ist, dass sich einige Teile seiner späten Dichtung Birthday Letters kritisch mit Sylvia Plath’ Umgang mit griechisch-mythischer Motivik auseinandersetzt, so vor allem in den Elegien Caryatids (1) – (2) und Moonwalk.18
What were those caryatids bearing?
It was the first poem of yours I had seen.
It was the only poem you ever wrote
That I disliked through the eyes of a stranger.19
Die Frage, was die Karyatiden am Erechteion der Akropolis eigentlich tragen, was ihre Evokation im Gedicht leisten soll, ist eine Grundfrage von Hughes, die er nicht nur retrospektiv an Sylvia Plaths Dichtung richtete, sondern auch an sich selbst und seine Verwendung mythischer Bilder. Der Zeilenbruch nach „ever wrote“ suggeriert für Momente, dass dieses Gedicht das einzige gewesen sein könnte, das Plath je geschrieben hat. Was folgte, seien Variationen dieses einen Themas gewesen. Dieser Eindruck verstärkt sich dann, wenn man das Versende als Pause liest. Doch die entscheidende Aussage ist, Plaths exzessive Verwendung mythischer Bilder habe gerade in ihrer Frühphase auf einen Fremden befremdlich wirken können.
A sea of lapis lazuli painted
Glitteringly afresh, just for you,
By de Chirico.20
Diese Anspielung auf Plaths Vorliebe für de Chiricos Kunst versteht sich wiederum als ein bezeichnendes Beispiel für die vermittelte, nicht unmittelbare Art ihrer Mythen-Rezeption, wogegen sich Hughes als ein Dichter noch in den Birthday Letters positioniert, der authentischer, unverstellter mit den Mythen Umgang pflegte. Gleichzeitig inszenierte er mit dieser späten Dichtung einen vielschichtigen mythologischen Komplex, eben das Phänomen Sylvia Plath und die Geschichte seiner Beziehung zu ihr und diesem Phänomen.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaAround us
On the moon-brown hills, the stars rested
Their possible anaesthesia,
All the mythologies, all inaccessible.
The sardine-boats – off with Cassiopeia.
Every stone a rosetta
Ofmoon marks.21
Auch diese Kompositionen eines mythopoetischen Bildes ist charakteristisch für den späten Ted Hughes. Sie wirkt gleichsam entspannter; das Extreme ist ihr entzogen. Statt dessen beobachten wir eine Symbolbildung. Die scheinbar abstrakt gewordene Welt der Mythen wirkt unzugänglich, doch ersteht sie neu durch die Konkretheit der „sardine-boats“, Kassiopeia, die Mutter der Andromeda, mit sich nehmen auf dem Weg zu dem, was sie seit mythologischen Zeiten gewesen ist: ein Sternbild. Und die Steine gelten jetzt als fossilierte Mondspuren. Allein diese Stelle zeigt, wie unmöglich es ist, für Hughes eine probate Kategorie im Kontext der britischen Gegenwartslyrik zu finden. Das ist symbolistische Spätestromantik und Mythosgenese, deren kritische Relativierung das lyrische Ich der Elegie sogleich übernimmt:
I could no more join you
[…]
I walked beside you
As if seeing you for the first time22
Das Moment der Entfremdung mitten in mythischen Emphasen gehört konstitutiv zum Mythopoeten Ted Hughes. Werner von Koppenfels brachte Hughes’ Anliegen und Schaffensbedingung auf den Begriff:
Wie Blake, wie D.H. Lawrence ist Hughes verfolgt vom Bewußtsein eines überall grassierenden falschen Lebens. Das Austrocknen der Quellen von Mythos und Religion macht den Dichter zum Wassersucher.23
Dieses Suchende unterscheidet Hughes’ trotz aller mystischen Gestimmtheit vielfach gebrochen mythopoetischen Ansatz prinzipell etwa auch von Robert Graves, der gewissermaßen aus dem Vollen der antiken Mythen und Welt schöpfte und auf ihre primär narrativ-episch Wiederherstellung bedacht war. Hughes dagegen oszillierte zwischen den mythischen Welten und seiner eigenen Biografie, wenngleich er das Oszillieren nicht so kulturumfassend betrieb wie Ezra Pound in den Cantos, deren kulturelle Amplitude vom kretischen Dialekt bis zu Kangi reicht.24 Verwandt dagegen sind die mythopoetischen Verfahren von Pound und Hughes darin, daß sie das mythologische Narrativ brechen und in ein poetisches Perspektiv verwandeln, das auf einzelne Szenen oder Bilder eingestellt wird.:
„To Naxos? Yes, we’ll take you to Naxos,
Cum’ along lad.’ ,Not that way!’
,Aye, that way is Naxos.“25
Obzwar sich Hughes wie gesehen in den Birthday Letters kritisch mit Sylvia Plaths poetischer Verarbeitung der griechischen Mythologie auseinandergesetzt hat, gerade auch weil sie keinen wirklichen Zugang zu deren keltischen Gegenstücken, die Hughes so wesentlich waren, finden konnte, zeigt sich doch, dass auch Hughes in seiner letzten großen Schaffensphase sich zunehmend und immer ausschließlich der griechischen Mythologie annahm. Davon zeugen die Übertragungen Tales from Ovid, Oresteia und Alcestis. Nur seiner umfänglichen Ovid-Bearbeitung hat Hughes ein Vorwort beigegeben, in dem er nicht nur Ovids Einfluß auf Shakespeare hervorhebt, insbesondere auf die Dichtung Venus and Adonis, das Schreckensdrama Titus Andronicus und Cymbeline, ein Drama, in dem die vielfach bedrohte Protagonistin Imogen gleichsam als Omen die grauenvolle Geschichte Ovids von Tereus und Philomela liest.26 Was Hughes jedoch vor allem betont ist dieses:
Ovid was interested in passion. Or rather, in what a passion feels like to the one possessed by it. Not just ordinary passion either, but human passion in extremis – passion where it combusts, or levitates, or mutates into an experience of the supernatural.27
Damit bezeichnete Hughes nicht nur seine Motivation, sich der Metamorphosen anzunehmen, sondern auch Auswahlprinzip und Tonlage seiner Übertragungen.
Dass Leidenschaft unerhörtes Leiden schaffen kann, dürfte Hughes an den Metamorphosen fasziniert haben. So kommt es schwerlich von Ungefähr, daß seine Bearbeitung der Tereus- und Philomena-Episode zur sprachlich eindrücklichsten seiner Auswahl werden konnte, die Geschichte eines von der Schönheit seiner Schwägerin obsessierten Königs, der zur Marionette seiner Leidenschaft wird, diese Schwägerin, Philomena, quält, vergewaltigt, mutiliert, („… the obsessed King / Like an automaton / Returned to the body he had mutilated / For his gruesome pleasure“),28 gefangen und vor deren Schwester, seiner Frau, Procne, die nach ihr sehnlichst verlangt hatte, verborgen hält. Die gefolterte, inzwischen zungenlose Philomena webt ihre Geschichte in thrakischen Schriftzeichen in ein Tuch, das zu ihrer Schwester geschmuggelt wird. Diese erkennt das eben nicht unaussprechliche, sondern benennbare Leid ihrer Schwester, befreit sie aus dem Verließ; beide richten dann im Palast ihres Gemahls Tereus ein Blutbad an, und setzen Itys, den Königssohn, Tereus als Mahl vor.
Hughes bietet bei der Übertragung dieser Episoden des Grauens eine Sprache auf, die bis zur Überdehnung geladen scheint mit Emotion und doch kontrolliert wirkt. Was ihn am meisten interessiert haben dürfte, ist die Tatsache, daß Ovid am Punkt der schlimmstmöglichen Wendung, welche diese Geschichte genommen hat, die Verwandlung einsetzen läßt: Alle Beteiligten verwandeln sich in Vögel, Tereus in einen archischen, de facto ausgestorbenen Vogel, Philomena in eine Nachtigall, damit sie kunstvoll ihr Leid singen kann, und die Rächerin Procne in eine den Ort des Grauens ständig umkreisende Schwalbe.
Doch weder Hughes Ovid- noch seine Aeschylos-Übertragungen zeugen von einem regietheatralischen Akutalisierungsbedürfnis; ein solches ist eher ablesbar in seiner Alcestis – weitaus deutlicher als etwa in Hugo von Hofmannsthals Version des euripideischen Trauerspiels. Diese ,Aktualisierung‘ ereignet sich auf zwei Ebenen, einer sprachlichen und motivisch-autobiografischen. Wenn der Tod im einführenden Streitgespräch mit Apollo begründet, weshalb er des Königs Admetos habhaft werden wollte, liest sich dies bei Hughes so:
His death would have been a national catastrophe.
A nuclear bomb spewing a long cloud
Of consequences.29
Dieses Wechselgespräch zwischen Apollo und dem Tod ist bei Hughes doppelt so lang wie im Original. Sequenzen wie die folgende, dem Tod zugeschriebene, ist Hughes Erfindung:
I am the magnet of the cosmos.
What you call death
Is simply my natural power,
The pul1 of my gravity. And life
Is a brief weightlessness – an aberration
Form the status quo – which is me.30
Die zweite durchaus autobiografisch zu nennende Interessenebene von Seiten Hughes bezieht sich auf den mythisch-allegorischen Stoff der Alcestis selbst: Dass eine Frau freiwillig in den Tod geht, sich dem Tod überantwortet, damit der Geliebte weiter leben kann, hat Hughes offenbar unmittelbar (wieder) angesprochen, als er an den Birthday Letters arbeitete, die ihm die Realpräsenz der toten Sylvia Plath erneut vor Augen führte.
Das Ringen mit dem Tod ist in der Alcestis dem Helden Herakles überlassen. In den Birthday Letters scheint diese Aufgabe dem quasi herkulaneischen, sich selbst mythisch werdenden Dichters überlassen.
Rüdiger Görner, Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Band 244, 2007
Helmut Winter: Das nüchterne Engagement. Zur jüngsten englischen Lyrik, Merkur, Heft 229, April 1967
SCHNITZELJAGD
Für Ted Hughes
Heimsuchen wollte ich dich. Ich suchte.
Verlassen hast du deine Tonne
Hughenes. Angelweit offen
Die Bohlen des Tors. Der Klingelzug schellte
Der Stille. Ich knüllte den Zettel
Mit den Hieroglyphen, gehütet
Seit deiner Krönung am Ohridsee.
Die Osterglocken drängten in Haufen
Zur Schlacht, und kalte Funken
Umspielten, während Schild an Schild
Die Heckenwehr stand, dein hohes Dach.
Mir blieb, dir ins Wortland zu folgen:
Jäger deiner Erleuchtung. Erschaffen
Hast du den Otter, die Eule, die göttliche
Krähe. Ein Gatter knarrte, ich stand
Am irdischen Ufer des Taw. Schwarze
Tinte verströmend, schreibt er sich schnörkelnd
Ins Land. Die Wiesen, rübenbesät
Und gekerbt von einer Herde schlachtreifer
Widder, flankiert von den Tanks
Der Käsefabrik. Wasserlilien und Kresse
Reiherflügel. Ginster fegte mich vom Tableau.
Blieb mir das Moor, dein Morgenland.
Regen und Wind bliesen den Marsch. Böen
Beutelten den Wagen, schwarze Löcher
Versoffen den Grund. Rinnsale fluteten
Kreuzflußrätsel. Ich fand nicht die erlösende
Furt. Schnaken und Schnucken im Moosschatten
Vor der Wetterpeitsche.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaDann du –
Letztes der Kette wilder Pferde mit fliegenden
Mähnen. So entkamst du der Meute, die dich
Hetzte, bis du dich in die Flamme warfst.
Richard Pietraß
Ted Hughes liest aus Crow. Video von Yoav Segal; Musik: Leafcutter John.
Schreibe einen Kommentar