Ursula Krechel: Zu Peter-Paul Zahls Gedicht „der drucker“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Peter-Paul Zahls Gedicht „der drucker“ aus dem Band Peter-Paul Zahl: Schutzimpfung. –

 

 

 

 

PETER-PAUL ZAHL

der drucker

ich hab sie Lola Montez genannt.
sie macht 4000 druck die stunde.
wieviel phon/weiß ich nicht.

wenn sie mich ärgert
bei dünnem papier/öl ich sie nicht.
sie ist schwarz gestrichen/ich nicht.
sie ist laut. ich bin still.
was soll man auch sagen.
sie produziert. ich helf ihr dabei.
produzent bin ich nicht.
das ist der chef.
er sitzt in einem schallisolierten büro.
jeden freitag geh ich hinein und quittiere.

ich hab sie Lola Montez genannt.
sie macht 4000 druck die stunde.
wieviel phon/weiß ich nicht.

wenn sie sehr alt ist
wirft man sie fort.
mich nicht.

 

Das sang- und klanglose Ende der Maschinenstürmerei

Lola Montez, der Inbegriff einer exklusiven, ausgehaltenen Frau, der Geliebten par excellence, die ihren königlichen Gönner zur äußersten Verschwendung treibt, ist ins proletarische Milieu gekommen: als ein Zitat, das der Drucker beherrscht, das ihn beherrscht, das in eine andere Welt weist, in der jemand, der etwas, der jemanden benennt, auch über ihn verfügt.
Peter-Paul Zahl ist gelernter Drucker. Er gründete 1967 in West-Berlin eine Druckerei und einen Kleinverlag, in dem so vergnügliche Texte wie die Zwergschulergänzungshefte erschienen. In Zahls Druckerei wurde auch die Untergrundzeitschrift 883 gedruckt. Dieser Umstand brachte Zahl Hausdurchsuchungen, Überwachungen: Ausgangsbasis für eine Randständigkeit auf dem Weg ins anarchistische Niemandsland. Seit 1972 sitzt Peter-Paul Zahl in Haft. Mit den begrenzten, eingeschränkten Mitteln, die er als „Knastschreiber“, wie er sich selbst nennt, hat, aber mit unverminderter Energie beschreibt er Unterdrückung, Raubbau an den gesellschaftlichen Kräften, denen er Veränderungsmöglichkeiten, utopisches Denken in der Bundesrepublik zutraut. Auch wenn er vom Mangel spricht, schreibt er einen utopischen Zustand herbei, in dem nicht mehr vom Mangel die Rede sein muß.
Zahl ist in vielen seiner Gedichte und in jedem Fall in seinem Roman Die Glücklichen der optimistischste und auch schelmischste unter den jüngeren deutschen Autoren. Es scheint, als habe ihn sein erzwungener Abstand zu den vitalen Erfahrungen der siebziger Jahre, der schleichende Verlust an lebbaren Utopien, der Zerfall einer Bewegung in vielfältig mögliche politische und soziale Bewegungsabläufe auf eine Weise unschuldig gehalten, die es ihm möglich macht, sich Formen des emphatischen Sprechens zu bedienen, die anderen Autoren abhanden gekommen sind. Seine politisch notwendige Publizität ist auch eine literarische Gefährdung. Wo Zahl emphatisch spricht, ist ihm ein liberaler Gratisbeifall sicher: die Erleichterung darüber, daß er überhaupt noch spricht und nicht mundtot gemacht worden ist.
In einem Interview mit Ralf Schnell sagte Zahl 1979:

Der Staatsschutz ist praktisch die beste PR.

Und weiter:

Ich habe mich im Gegensatz zu vielen anderen im Knast völlig offen verhalten und begreife mich als Teil der Bewegung, die draußen vorhanden ist, ich stehe mit ihr im Dialog. Und Teil dieses Dialogs sind auch Gedichte und Prosa, wo ich gemeinsame Erfahrungen verarbeite. Indem ich aber durch die existentielle Situation im Knast gezwungen bin, Dinge schärfer und krasser zu sehen und auszuformulieren, glaube ich, durch die gewisse Ferne, die ich habe, manche Dinge wie im Fernglas klein und übersichtlich betrachten zu können, habe ich auch den Abstand, den die Leute, die im Getümmel drinstehen, nicht mehr haben.

„der drucker“ ist ganz und gar kein optimistisches Gedicht. Es zieht seinen ästhetischen Gewinn gerade aus der einfachen Situation, daß jemand staunend feststellt, wie er Helfer, Hilfs-Arbeiter einer kostbaren Maschine geworden ist. Es handelt von der Hilflosigkeit in der Realität und der Kraft und Abwehr in der Phantasie, in der Namensgebung – und im Besprechen der Maschine. Sie, die eine imaginäre Geliebte sein könnte, gehört dem Drucker nicht, er verfügt nicht über sie. Ihre technischen Launen – „wenn sie mich ärgert“ – sind durch Widerständigkeit zu ignorieren. Sie wird einfach nicht geölt. Da ist nichts mehr von der Freude an der Beherrschung der Technik, wie sie in Theodor Fontanes Ballade „Die Brück’ am Tay“ auffällig war. Die Besitzverhältnisse und die Machtverhältnisse sind klar abgesteckt, der Drucker sitzt am kürzeren Hebel: „sie produziert. ich helf ihr dabei.“ – und noch ein weiteres Mal: „produzent bin ich nicht.“ Die hoffärtige, laute Druckmaschine braucht bei ihrem komplizierten, schnellen Arbeitsgang nur noch einen bescheidenen Helfer: den stummen Diener, der gar nicht so genau wissen will, mit wieviel Phon die exklusive Lola ihn übertönt – „was soll man auch sagen.“ So lakonisch steht der Drucker, der nicht mehr druckt, sondern nur noch der Maschine hilft, neben der eigenen Entfremdung.
Der Arbeitsvorgang selbst läßt keinen Widerstand zu. Vorbei der Zustand, als Handarbeiter ihre Hand erhoben gegen die Maschinen, die die Arbeit schneller, besser, kostengünstiger verrichteten. Vorbei der Zustand, daß sich Arbeiter mit anderen Arbeitern kollektiv-anarchisch oder institutionell gegen ihre Verdrängung wehren. Die Maschinenstürmerei setzte voraus: ein Feind war auszumachen, die Maschine oder ihr Eigentümer. Die Arbeiter erprobten ihr Selbstbewußtsein, indem sie ihre Kräfte an der ihnen vorgesetzten Maschine maßen.
Mit einer Dame, mit der Geliebten eines anderen, mißt man nicht seine Kräfte. Lola Montez kommt aus einem anderen Stall. Man riecht die Rasse, weiß aber nichts Genaues. Sie hält in Bann, hält auf Abstand, kein Arbeiter legt seine schmutzige Hand an sie. Sie duldet allenfalls Lakaien, Schleppenträger, einen, der ihr „hilft“. Die Machtverhältnisse sind von vornherein klar und unwiderruflich: Gekämpft wird nicht. Aber auch ihr wirklicher Besitzer hat nur eine zweischneidige Freude an ihr. Er schützt sich vor ihr, vor ihren Launen, ihren lautstarken Ausfällen „in einem schallisolierten büro“. So geht man nicht mit der Dame seines Herzens um, zumal wenn sie einen teuer zu stehen kommt.
Der Trost, die Pointe, ist bescheiden: Lola Montez ist einem brutaleren Verschleißprozeß ausgesetzt als der Drucker. Sie wird kein Altenteil haben, der kurze, phonstarke Rausch ist ihre Sache. Fast bieder wirkt die Hoffnung am Schluß, nicht weggeworfen zu werden wie Lola Montez, wenn sie abgeschrieben ist. Hier hat nicht nur der Arbeiter die unheimliche Druckmaschine im Blick, hier tröstet sich auch der Drucker-Mann über seinen bescheideneren erotischen Verschleiß als den der Maschinendame.
Was ist balladesk an diesem Gedicht? Zunächst die Vorgabe, der Drucker und seine personifizierte Druckmaschine, die Quasi-Geliebte zwischen ihm und dem Chef. Es gibt in der Entwicklung der Ballade im 20. Jahrhundert vom Brettl zum Chanson unzählige hitzige und zum Teil schlüpfrige Texte, die von Anspielungen und Aussparungen leben. Aber Zahl verhindert geradezu das Drama, das in jeder Balladenvorgabe steckt. Er führt versteinerte Verhältnisse vor, die so schnell nicht mehr zum Tanzen zu bringen sind. Auffällig ist weiterhin, daß die 1. und die 3. Strophe gleich sind. Die Wiederholung suggeriert in der Ballade eine Steigerung, Dramatisierung; hier wird mit diesem Motiv gespielt. Die Auflösung findet nur noch in der ironischen Pointe statt, nicht in der Handlung.

Lesarten. Gedichte, Lieder Balladen. Ausgewählt und kommentiert von Ursula Krechel, Luchterhand Verlag, 1982

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