WÜNSCHE
Das Segel Übermut
an längst gebrochenen Rahen,
Kies für den Garten Erinnerung,
ein Nebeltuch
für die noch trauernden Augen,
den Heimkehrfaden
fürs Labyrinth einer Schnecke
und für den Irrgarten Leben
das Mariengarn Glück.
Man ist frappiert, welche Register der Lyriker, Erzähler und Essayist zu ziehen imstande ist. Neben deutscher Kultur- und Geistesgeschichte ist es vor allem der weltliterarische Kontext, der sein Poesieverständnis geprägt und bestimmt hat. Biblische Überlieferung und griechische Mythologie, von daher beziehen seine Texte ihre Gleichniskraft. „Die Gewalt des Paradoxons“ bewegt die Gedichte. Sie sorgt für die geheimen Vibrationen und Spannungen. Die Kraft der Abstraktion, die zugleich eine Kunst des Verkürzens ist, läßt Sinnzusammenhänge, bislang Verborgenes aufleuchten. Die Naturbilder werden fast immer zu Gleichnissen komprimiert. So wird das Gedicht, auf das Uwe Grüning baut und besteht, lebensbestimmend, setzt es doch auf Erhaltung. Jedes seiner Gedichte ein festgehaltener Lebensmoment…
Wulf Kirsten, 1997
Die Besinnung Grünings auf den Mythos stelle Traditionsbezüge her und schafft poetische Reichhaltigkeit, den seine Lyrik auch bereit ist zu gehen und dessen Nachvollzug dem Aufnehmenden oft genug staunend den Atem verschlägt. In seinen Essays zeigt sich ein profundes Wissen, das auch die Lyrik durchdringt und dort in pointiert formulierten Sentenzen seinen Ausdruck findet.
Christian Bergmann, 2005
Verlag Neues Leben, Klappentext, 2008
Uwe Grüning verfügt über ein imponierendes universelles Wissen und Ganzheitsdenken, das ihn Kleingeistern aller Couleur verdächtig macht. Seine Texte beziehen ihre Gleichniskraft aus deutscher Kultur- und Geistesgeschichte sowie biblischer Überlieferung und griechischer Mythologie. Seine Naturbilder werden fast immer zu Gleichnissen komprimiert – die Gewalt des Paradoxons bewegt die Gedichte. Sie sorgt für die geheimen Vibrationen und Spannungen, die Kraft der Abstraktion, die zugleich eine Kunst des Verkürzens ist, läßt Sinnzusammenhänge und bislang Verborgenes aufleuchten, das Ambivalente menschlichen Daseins bildet eine gedachte Einheit.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2008
– Gedichte von Uwe Grüning in der wiedererstandenen Reihe des Poesiealbums. –
„Keine Zeit braucht den Dichter so sehr wie diejenige, die ihn entbehren zu können glaubt.“ – So wirbt der Herausgeber, Klaus-P. Anders, für die wiedererstandene Reihe des POESIEALBUMS. Ins Leben gerufen in der DDR, 1967, von Bernd Jentzsch, galt sie bis in die Zeit des politischen Umbruchs als Sammelobjekt von Lyrik mit Weltgeltung. Ihr legendärer Niedrigpreis von nur 90 Pfennigen trug eminent zur Verbreitung der Hefte bei. Zur Konzeption gehörten auch Beispiele der bildenden Kunst, abgedruckt auf dem Umschlag und im Mittelteil jeden Heftes. Mit der Kritik an der Biermann-Ausweisung in einem offenen Brief an Honecker, 1976, kehrte Jentzsch von einer Reise in die Schweiz nicht zurück. An seine Stelle trat Richard Pietraß, der die Reihe bis 1991 betreute. Seither ruhte sie. Plötzlich, vor einem Jahr, hielt ich ein Heft im vertrauten Layout in den Händen, Poesiealbum neu, als Ausgabe der Edition kunst & dichtung in Leipzig. Und kurz darauf erfuhr ich von der Initiative des Verlages in Wilhelmshorst, der der ursprünglichen Editionsidee folgt. Auch der legendäre Wechsel der Herausgeber ist bis dato wieder erfolgt: Nach Jentzsch versieht Pietraß die Herausgeberschaft. Vor Uwe Grüning finden sich Editionen mit Texten von Peter Huchel, Ernst Jandl und Ezra Pound. Inzwischen erschien auch das Ludvík Kundera gewidmete Heft.
Mit den von Christian Bergmann zusammengestellten Grüning-Gedichten ist eine repräsentative Auswahl entstanden. Einige sind mit dem Entstehungsdatum versehen wie „Sommerabend – für Peter Huchel“; 1964, und „Gullivers Logbuch“, 1968. Letzteres, in jener Zeit entstanden, als Grüning noch im Wilhelmshorster Dichterhause verkehrte, weist bereits den typischen Klang auf, Melancholie und Reichtum an Sonorität. Das Poetische erscheint in der Verquickung verschiedener Aussageebenen.
Über den Leuchtturmkronen – die Spinnennetze aus Kupfer
so dicht geflochten,
daß keine Botschaft entrinnen kann
Huchels Einfluß, dessen „Termiten“ beispielsweise düsterste Bilder entwerfen wie:
Die Öde wird Geschichte.
(…)
Und nicht erforscht wird werden
Ein Geschlecht,
Eifrig bemüht,
Sich zu vernichten.
– scheint sich, wenn man zurückschaut, bei Grüning kongenial niederzuschlagen:
Auch die Vögel
sterben lassen
(…)
und die Blumen
ausrotten
auslöschen
mit vergiftetem Atem der Tiere
und verschweigen was in uns war
und verschweigen verschweigen
verschweige
Der Einstieg – „Erinnerung an eine Gebirgsstadt“ – kann als Bekenntnis gelten:
Ich wußte damals noch nicht, daß ein Weg nach Leiningen führt
Denn damit greift der Autor zurück auf seine zu Anerkennung erkorene, aber unbemerkt gebliebene Metapher, die den Titel des Prosabandes bildet, der aufgrund der ungestümen Entwicklung 1989 von der Öffentlichkeit bis zum heutigen Tage kaum wahrgenommen wurde.
Ein anderes Kapitel beweist die Affinität des Dichters zu mythischen Themen. „Die Magier II“ – aus dem eindrucksvollen, für die DDR einzigartigen Gedichtband Spiegelungen (1981) – demonstrieren Ohnmacht, Nacht und „Urnenwalder, die schwarze / Totenvögel durchziehn.“ „Dädalus“, „Endende Irrfahrt“, „Mahnung“, „Penelope“, „Kore“, „Laß mich trauern um dich, Eurydike!“ und andere stehen im Kontext zur griechischen Mythologie. Starke, Tod und Vergänglichkeit spiegelnde, oft erschütternde Bilder, Bilder als Widerspiegelung aber auch von Zeitgeschehen, Erfahrung, Resignation. Im Schlußteil überwiegt der Blick auf „Landschaften des Abschieds“.
Es ist
eine unter der Marter
sanft gewordene Zeit
Vögel sind fortgeflogen.
Wohin, wohin?
Oktober, geh!
(…)
Du Gaukler färbst das Sterbende noch schön.
Bilder, durchdrungen von einem Empfinden über die Schönheit der Schöpfung, die Vergänglichkeit und den Ausbruch unsäglicher Taten.
Ein Gefühl von Fremdheit und Angst
fiel mich an
(…)
als ich heimfuhr,
im Rücken Libussas
flammendes Königreich
und vor mir
den Eisenhimmel des Ostens.
(„Heimfahrt von Prag“)
Sie gipfeln in der verblüffenden Gewißheit des lyrischen Ichs:
ein Verbannter zu sein,
untertan
keinem Herrn dieser Welt,
mit meiner Geliebten, der Trauer
(…)
Peter Gehrisch, Ostragehege, Heft 52, 2008
UND DER BLICK
den das Meer hob
und die Inseln der Worte
fanden zusammen
doch über dem Land
ein wütender Wille
steht
sonnenstarr.
Lauschend
dem Sandkorn,
der Sog der Wurzeln
stockt:
wort-biblisch
den Himmel durchstrich
der metallene Vogel
pupillenlos leben
im heulenden
Schutt
unter den Füßen
die elbische Brücke
Stadt
stoßsäulenhart
hintergangen die Sprache
des Schmerzes
verschattet
das Wort,
spricht zu sich selber
Unzählige (wir)
kennen das
zweifingrige Lachen
aaaaaaaaaaaaaaafür Uwe Grüning
Erich Arendt
Christian Bergmann: Periphere Lexik in der Lyrik Uwe Grünings
Ostragehege, Heft 25, 2002
Jan Brachmann: Stiller Hochmeister
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.1.2022
Volker Müller: Uwe Grüning feiert seinen 80. Geburtstag
Freie Presse, 15.1.2022
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