Walter Busse: Zu Gottfried Benns Gedicht „Letzter Frühling“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Gottfried Benns Gedicht „Letzter Frühling“ aus Gottfried Benn: Späte Gedichte. –

 

 

 

 

GOTTFRIED BENN

Letzter Frühling

Nimm die Forsythien tief in dich hinein
und wenn der Flieder kommt, vermisch auch diesen
mit deinem Blut und Glück und Elendsein,
dem dunklen Grund, auf den du angewiesen.

Langsame Tage. Alles überwunden.
Und fragst du nicht, ob Ende, ob Beginn,
dann tragen dich vielleicht die Stunden
noch bis zum Juni mit den Rosen hin.

 

Orpheus im Hinterzimmer

Ein Selbstgespräch; denke keiner, er sei gemeint. Zwar fragt Benn immer und immer wieder bei Freunden auf dem Lande an, welche Blumen blühen, welche Sträucher wachsen, welche Stauden gepflanzt seien, aber er will nicht hin, sondern sich in der Not mit dem Unkraut der Schrebergärten begnügen. Die Sträuße, die Ilse Benn mit kluger Hand in die Vasen ordnet, haben Besucher mitgebracht, oder sie kommen aus dem Laden an der Ecke – niemals wieder „Emigration“ aus Berlin.
Alles, was Benn nun schreibt, zehntausend Jahre Mythos und die Belle-Alliance-Straße im Herzen, entsteht in der finsterlichen Hinterstube der Praxis mit dem Blick durchs einzige Fenster auf Wäsche, die im Hof von der Leine tropft. Die Sträucher, die der Ptolemäer vom Bayrischen Platz für seinen letzten Frühling benennt, blühen auch ohne Pflege in den Trümmergärten der Nachbarstraßen, die gelben Forsythien der allerersten Frühlingstage, die eben nicht anzuhalten sind, bis die nachwachsenden grünen Blätter die Anmut verderben, die weißen und lila Dolden an halbverdorrten Fliederbüschen, die blassen Blüten der Rosensträucher im Juni. Es sind die Signale der Jahreszeit für den Großstädter der sich notwendig den feinsten Sinn für die Natur bewahrt und, er wäre anders nicht Benn, im Blut hat, daß der Euphemismus Natura auch durch den Begriff Mortura ersetzt werden kann (Schopenhauer).
Die Welt hatte er seit eh zur Verachtung den Eliten freigegeben, die Menschennatur dazu („schon eine Pille nimmt dich auf den Arm“), Bäume, Pflanzen, Blumen aber nicht. „Wir alle erkennen mit Goethe in der Natur das große Mittel der Beschwichtigung für die moderne Seele“, schrieb Nietzsche. Die sehr moderne Arztseele aus der Bozener Straße, die sich für den letzten Frühling des ungeliebten „Aprèslude“ (1955) mit dem Blick in die Vorgärten beschwichtigt, kennt also das Rezept aus Weimar. Aber Benn modifiziert nun deutlich den dortigen Orpheus der ewigkeitlichen Urworte („… nach dem Gesetz, wonach du angetreten. So mußt du sein…“) mit der Erfahrung seiner Ausdruckswelt:

mit deinem Blut und Glück und Elendsein, dem dunklen Grund, auf den du angewiesen.

Die Juni-Rosen, vorm Tod 1956 hat Benn noch sehen können. Trost bei Rilke, im vorhinein:

Errichtet keinen Denkstein. Laßt die Rose nur jedes Jahr zu seinen Gunsten blühn. Denn Orpheus ists. Seine Metarmorphose in dem und dem.

Bei Benn geht das so:

Ein Strauch mit Blüten in einer Stadtstraße – das genügt… Wir sind aus Riesenstädten, in der City, nur in ihr, schwärmen und klagen die Musen.

Walter Busseaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Fünfter Band, Insel Verlag, 1980

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