Walter Hinck: Zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „Reklame“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „Reklame“ aus Ingeborg Bachmann: Gesammelte Werke. Band 1

 

 

 

 

INGEBORG BACHMANN

Reklame

Wohin aber gehen wir
ohne sorge sei ohne sorge
wenn es dunkel und wenn es kalt wird
sei ohne sorge
aber
mit musik
was sollen wir tun
heiter und mit musik
und denken
heiter
angesichts eines Endes
mit musik
und wohin tragen wir
am besten
unsre Fragen und den Schauer aller Jahre
in die Traumwäscherei ohne sorge sei ohne sorge
was aber geschieht
am besten
wenn Totenstille

eintritt

 

Das Improvisationsduo OUT OF THE BLUE (Agnes Heginger: Stimme, Karlheinz Essl: Elektronik) interpretieren Ingeborg Bachmanns Gedicht „Reklame“. Konzert am 5.11.2011 im Syrnau (Zwettl).

 

Traumwäscherei

Als ich diese Verse zum erstenmal las, fiel mir unmittelbar ein Gedicht aus dem siebzehnten Jahrhundert ein, das Sonett „Abend“ von Andreas Gryphius. Ähnliche Motive: Dunkelheit, Sorge, Tod und die Frage nach dem Nachher. Dem Dichter des Barockzeitalters kommen der Tag und das Leben vor wie eine „renne bahn“, auf der „die zeit verthan“ ist. Er sammelt alle seine Hoffnung im Gebet an den „höchsten Gott“:

Laß
wenn der müde Leib entschläfft
die Seele wachen
Und wenn der letzte Tag wird mit mir abend machen
So reiß mich auß dem thal der Finsternuß zu Dir.

Im Sonett ist die Tageszeit, der Abend, nur Fingerzeig auf eine tiefere Bedeutung, das Sichtbare nur ein Flechtwerk von Zeichen für eine spirituelle Welt: in die Natur und Kreatur hat Gott bei der Schöpfung einen Sinn gelegt, den wir entsiegeln müssen. Für den Gläubigen lichtet sich das Dunkel des Diesseits durch die Verheißung von Ewigkeit.
Auch im Gedicht Ingeborg Bachmanns wird der Sorge Trost angeboten, ja aufgedrängt, in einer Wechselrede von Frage und Antwort (Scheinantwort). Die Kursivschrift deutet eine andere Art von Rede an, hilft uns die Antworten als Einflüsterungen zu verstehen. In der Abfolge der vier Fragen wird zunehmender Ernst erkennbar. Geht die erste Frage aus dem Bedürfnis nach Geborgenheit hervor, so wünscht die zweite Orientierung in der geistigen und existentiellen Unsicherheit, die aus der Gewißheit unserer Endlichkeit entspringt. Sie löst die Fragen nach einer letzten Instanz aus und nach dem, was beim Eintreten des Todes und danach geschieht.
Ständig unterbricht die Reklame das Fragen, und ihre Scheinantworten sind Versuche, die Fragenden zu beschwichtigen, zu beruhigen, einzulullen; sie möchte abwiegeln. Der Singsang der Werbesprache appelliert an die Sorglosigkeit und verspricht Heiterkeit – Musik ist Droge. Wo im Sonett des Barockdichters das Gebet zum Vermittler der Hoffnung wird, wiederholt die Reklame mit der Eintönigkeit von Gebetsmühlen ihr Beschwörungs- und Betäubungsvokabular. Werbung ist Abwerbung, Ablenkung des Menschen von seiner Suche nach einem Daseinsziel. Die Litanei der Werbesprache reizt Süchte nach flachem Glück.
Alle Züge der Reklame schillern noch einmal auf in der vieldeutigen Metapher „Traumwäscherei“. Erste Assoziationen, die sich bei mir einstellten, waren: Traumfabrik und Gehirnwäsche. Ingeborg Bachmann hat sowohl eine Erzählung wie ein Hörspiel mit dem Titel Ein Geschäft mit Träumen geschrieben (1952): Träume können Gegenbilder zur Welt der gesellschaftlichen Zwänge erstehen lassen oder solche Zwänge zu Albträumen verdeutlichen; fragwürdig sind die Geschäfte der Konsumindustrie, wenn sie mit den Mitteln der Massenbeeinflussung alle menschlichen Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen, die den Verkaufsstrategien entgegenwirken könnten, verdrängen, um dafür Ersatzbefriedigungen anzubieten. „Traumwäscherei“ ist eine Metapher für ebendiese Verdrängung. Das Gedicht zeigt nicht nur, wie der Mensch von verführerischen Stimmen umstellt ist und von Reklameverheißungen berieselt wird, die ins Unterbewußtsein drängen, sondern auch, wann und wo die suggestive Gewalt der Reklame versagt: im Angesicht des Todes. Das Wort „Totenstille“ läßt die Sprache der Beschwichtigung plötzlich verstummen.
Zu ihrem Gedicht „Reklame“ mag Ingeborg Bachmann Anstöße durch eine Amerika-Reise im Jahre 1955 erhalten haben. Bei uns waren damals Werbeindustrie und Medien, zumal das Fernsehen, noch in der Entwicklung zurück. Heute sind sie in unserem Leben eine Großmacht. Längst auch hat sich bei uns die Zivilisations- und Kulturkritik über das Thema der Bewußtseinsmanipulation hergemacht – und es zerschwätzt. Da ist es gut, wieder ein Gedicht zu lesen, das die Kniffe der Verführung nicht beredet, sondern sie selbst zum sprachlichen Ereignis werden läßt.

Walter Hinckaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Dreizehnter Band, Insel Verlag, 1990

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